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Kabotage macht Fahrer zu Asphaltnomaden

22.05.2014 08:00 Uhr
Kabotage macht Fahrer zu Asphaltnomaden
Fahrer und Gewerkschaften demonstrierten in Brüssel gegen weitere Liberalisierungen im Straßentransport, die zu Sozialdumping führen
© Foto: picture alliance/dpa/Julien Warnand

Die EU-Kommission will die völlige Freigabe der Kabotage. Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften sind empört. Eine Analyse des Parlaments warnt vor ungebremster Liberalisierung.

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Auf einem Parkplatz am KV-Umschlagterminal Köln-Eifeltor sitzen sie: Sie spielen Karten, bereiten sich auf ihrem Campingkocher Mahlzeiten zu und warten. Warten auf die nächste Ladung, die sie mit dem LKW ihres Unternehmens durch halb Europa fahren werden - oder nur ein paar Kilometer zu einem deutschen oder belgischen Empfänger.

Sie sind die Nomaden Europas: LKW-Fahrer aus Rumänien und ein paar aus der Türkei. Auf anderen Parkplätzen in Westeuropa sitzen zur selben Zeit Polen, Litauer, Letten, Bulgaren und Slowaken - und tun das Gleiche. Beispielsweise am Asiadock im Hafen von Antwerpen, wo es kostenlose Parkmöglichkeiten gibt und billige Supermärkte, aber nur eine einfache Toilette und keine Duschen.

Am Asiadock verbringen die Fahrer aus Osteuropa ihre wöchentlichen Ruhezeiten. Und von hier werden sie nach zwei bis drei Monaten in Belgien für zwei Wochen in ihre Heimat gefahren, wie die Gewerkschaft UBOT-FGTB beobachtet hat. Mit Reisebussen - die LKW bleiben in Belgien, um mit anderen osteuropäischen Fahrern auf Frachtreise zu gehen.

Der Lohn für das freudlose Dasein: Ein festes Monatssalär von 250 bis 450 Euro plus Tagegelder von 40 bis 45 Euro pro Lenktag. Daraus ergibt sich, einer Studie des Europäischen Parlaments aus dem Jahr 2013 zufolge, ein Durchschnittseinkommen von 1200 Euro, wobei aber nur das feste Gehalt für die Berechnung der Sozialbeiträge herangezogen wird.

Zum Vergleich: Das Gehalt westeuropäischer Fahrer liegt bei 2500 bis 3000 Euro. "Für das Geld, das ich in einem Monat verdiene, muss meine Frau vier Monate in der Fabrik arbeiten", begründet ein bulgarischer Fahrer, warum er diese Bedingungen auf sich nimmt.

MASSIVE GEFAHR VON LOHN- UND SOZIALDUMPING

Bis Brüssel haben sich die Zustände auf dem Asiadock offenbar nicht herumgesprochen. In ihrem "Bericht zur Lage des EU-Straßengüterverkehrs-Marktes" spricht sich die EU-Kommission für die völlige Freigabe der Kabotage aus. Bisher dürfen gebietsfremde Transportunternehmen maximal drei Kabotagefahrten in einer Woche im Anschluss an einen grenzüberschreitenden Transport durchführen - in Zukunft wären dem Einsatz der Asphaltnomaden auch in den nationalen Verkehren keine Grenzen mehr gesetzt.

Die von den Gegnern einer Kabotagefreigabe ins Feld geführten Argumente - Verlust von Arbeitsplätzen, Gefahr von Lohn- und Sozialdumping und unfairer Wettbewerb durch Nicht-Beachtung der Kabotageregeln - lassen sich statistisch nicht nachweisen, argumentieren die Kommissare.

BGL WARNT VOR VERLUST GUTER ARBEITSPLÄTZE

Solche Äußerungen lösen nicht nur bei den Gewerkschaften Wut aus und tragen EU-Verkehrskommissar Siim Kallas den Vorwurf ein, gegenüber Sozialdumping gleichgültig zu sein. "Trotz Binnenmarkt bestehen massive Wettbewerbsverzerrungen, die in einen ungeschminkten Lohn- und Sozialdumpingwettbewerb einmünden", sagt Adalbert Wandt, Präsident des Bundesverbandes Güterkraftverkehr BGL.

"In der Praxis wurden in großem Umfang sozial gut abgesicherte Arbeitsplätze in Westeuropa und Deutschland durch Dumpingpersonal aus den EU Beitrittsländern ersetzt." Wandt tritt der These der Kommission entgegen, die Löhne der alten EU-Länder und der Beitrittsländer hätten sich so signifikant angenähert, dass die Schutzfunktion der Kabotagebestimmungen unnötig geworden sei.

Der BGL zieht zum Beweis das Verhältnis von Fahrer- und Treibstoffkosten zueinander heran: Demnach sind in Polen die Fahrer nur halb so teuer wie der Treibstoff, in Deutschland 1,4 Mal und in Dänemark doppelt so teuer.

Die Folgen: In der Zeit von 2007 bis 2012 reduzierte sich die Verkehrsleistung deutscher LKW im grenzüberschreitenden Straßengüterverkehr von 39,1 Mrd. auf 25,9 Milliarden Tonnenkilometer, während die Leistung ausländischer LKW von 150,5 auf 167,5 Milliarden Tonnenkilometer hochgeschnellt ist. Anders ausgedrückt: Der Marktanteil der deutschen LKW ging von 20,6 auf 13,4 Prozent zurück.

Gewinner sind die LKW aus den EU-Beitrittsländern seit 2004. Alte Transportnationen wie Niederlande und Dänemark erwischte es noch schlimmer als die deutschen Kollegen, belegt die deutsche Mautstatistik: Im Jahr 2013 legten die deutschen LKW 0,6 Prozent weniger Mautkilometer zurück als im Vorjahr. Die LKW aus der alten EU verloren 6,3 Prozent, während die Beitrittsstaaten um acht Prozent zulegten. Kein Wunder, dass auch die westeuropäischen Gewerkschaften alarmiert sind.

"Das wollen wir nicht! Nicht, weil wir für eine Abschottung von Märkten sind, sondern weil die Voraussetzungen für eine Freigabe nicht gegeben sind", sagt Andrea Kocsis, stellvertretende Verdi-Vorsitzende. "Die Bedingungen in den einzelnen EU-Staaten sind viel zu weit auseinander, als dass es einen Wettbewerb um die beste Dienstleistung geben könnte." Vielmehr würde eine komplette Freigabe der Kabotage das Lohn- und Sozialdumping in der Branche weiter vorantreiben. Die Gewerkschaft betont, dass es ihr nicht darum gehe "jemanden aus dem Land zu schmeißen", sondern darum, dass die Menschen für ihre Arbeit würdig entlohnt werden. "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort", lautet der Verdi-Standpunkt.

PARLAMENT STÖSST AUF ALARMIERENDE ZUSTÄNDE

BGL-Präsident Wandt und Gewerkschaftschefin Kocsis finden argumentative Unterstützung beim Europäischen Parlament (EP). Die EU-Volksvertreter hatten 2013 in der Studie "Die sozialen und Arbeitsbedingungen von Güterverkehrsunternehmen" beleuchten lassen. Sie stießen auf alarmierende Zustände. Demnach verloren zahlreiche westeuropäische Fahrer ihren Arbeitsplatz an billigere osteuropäische Kollegen - oder mussten Lohnabschläge von 30 Prozent hinnehmen. In einer Fahrerumfrage des EP berichteten alle befragten Lenker von schlechteren oder sogar drastisch schlechteren Löhnen.

Eine Angleichung der Lohnniveaus findet zwar statt, aber nicht auf dem höheren Niveau der EU-15-Staaten, sondern deutlich darunter. Dazu kommt: Laut einer Studie der Europäischen Transportarbeitergewerkschaft ETF werden 60 Prozent der gebietsfremden Fahrer auf Basis der gefahrenen Kilometer bezahlt. Trifft das zu, wäre es ein Skandal: In Deutschland ist diese Entlohnungsform aus Gründen der Verkehrssicherheit strikt untersagt. "Das einzige Marktsegment, in dem gebietsansässige Fahrer noch ein akzeptables Gehalt bekommen, ist der lokale Gütertransport oder ist der Transport empfindlicher, verderblicher und hochwertiger Güter", heißt es in der EP-Studie. Ein Einfallsloch für Sozialdumping ist laut Studie der Vor- und Nachlauf zum Kombinierten Verkehr.

WESTUNTERNEHMER MIT BRIEFKÄSTEN IM OSTEN

"Problematisch ist, dass die Beförderung von Gütern in Verbindung mit einer Beförderung im kombinierten Güterverkehr gemäß der Definition in der Richtlinie 92/106/EWG nicht von der Kabotageregelung der Verordnung (EG) Nr. 1072/2009 abgedeckt ist", steht dort. Transportunternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat haben die Möglichkeit, die Zu- oder Ablaufstrecke auf der Straße als Teil einer Beförderung im kombinierten Güterverkehr durchzuführen. Kein Wunder, dass sich Häfen und KV-Terminal als Anlaufpunkte für Niedriglohn-Fahrer etablieren.

Die EP-Studie zeigt auch auf, wer die Billigfahrer organisiert und von ihnen profitiert: "Gebietsfremde Fahrer werden von Briefkastenfirmen eingestellt, die von westeuropäischen Unternehmen in osteuropäischen Mitgliedstaaten gegründet werden, in denen die Kosten hinsichtlich der Gehälter, Sozialabgaben und Steuern erheblich niedriger liegen als in den EU-15-Staaten." Diese Firmen unterhalten dort bestenfalls ein Büro, in dem die Arbeitsunterlagen und die Auszeichnungen aus den Kontrollgeräten aufbewahrt werden. Operativ haben sie keine Bedeutung.

GESETZE SIND VORHANDEN, ABER KEINER KONTROLLIERT

Schon die derzeitigen Kabotagebeschränkungen und die völlige Freigabe von Drittlandtransporten lassen genügend Schlupflöcher, um den Markt umzukrempeln. Und selbst Unternehmen, die illegale Transporte ausführen, müssen sich offenbar keine Sorgen vor einer Entdeckung und Ahndung machen.

Die EP-Studie stellt schwache oder nicht vorhandene Durchsetzungsmechanismen in den Mitgliedsstaaten gegen Sozialdumping fest. Eine Harmonisierung von Kontrollen und Strafen gibt es nicht. Es gibt nicht einmal Zahlen zum unlauteren Wettbewerb durch Verstoß gegen Kabotageregeln.

So haben selbst die unverschämtesten Geschäftsmodelle eine lange Lebenszeit. 2012 fiel das lettische Unternehmen Dinotrans auf, weil es philippinische Fahrer zu einem Monatslohn von 600 Euro beschäftigte. Schon in den späten 90er-Jahren bekamen osteuropäische Fahrer aus Ungarn und Bulgarien - damals keine EU-Mitglieder - in Österreich unter nicht abschließend geklärten Umständen Arbeitspapiere und fuhren als Billigkräfte durch Westeuropa.

Heute gibt es Rechtsgrundlagen, mit denen sich das Phänomen der Asphaltnomaden regeln ließe - wenn die Behörden sie anwenden würden. Ein scharfes Schwert ist die Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 593/2008. Dort ist in Artikel 8 Absatz 2 festgelegt, dass, wenn ein Arbeitnehmer seine Arbeit vorübergehend in einem anderen Staat als seinem Herkunftsland verrichtet, das Recht des Gastgeberlandes gilt.

BGL-Präsident Wandt setzt seine Hoffnung darauf, dass der ab 2015 geltende Mindestlohn das Sozialdumping in Deutschland bremst. "Im Gesetzentwurf ist klargestellt, dass auch für Arbeitnehmer und Arbeitgeber mit Sitz im Ausland der Mindestlohn für jede Werk- und Dienstleistung in Deutschland zur Anwendung kommt. Der Mindestlohn gilt für jedwede Fahrtätigkeit im Güterkraftverkehr auf deutschem Territorium", stellt Wandt klar.

Voraussetzung ist, dass er durchgesetzt wird. In anderen EU-Staaten hat ein gesetzlicher Mindestlohn das Sozialdumping im Transportsektor bisher nicht stoppen können.

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