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Supertest Mercedes Actros: Hubraum zählt doch

21.01.2015 08:00 Uhr
Supertest Mercedes Actros: Hubraum zählt doch
Im Test: Actros 1842
© Foto: Karel Sefrna

Wer Actros fährt, hat die Wahl zwischen 421 PS aus 12,8 oder 430 PS aus 10,7 Liter. Ist Hubraum wirklich nicht zu ersetzen?

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Das Motoren- und Kabinenangebot bei der Konfiguration eines Mercedes Actros ist recht üppig - um nicht zu sagen unübersichtlich. Der Käufer hat die Qual der Wahl. Für viele Nutzer ist die aerodynamisch optimierte Streamspace-Kabine mit 2,5 Meter Breite ohne Sonnenblende gesetzt, spart sie doch einiges an kostbarem Diesel, bietet aber dank Hochdach und ebenem Fahrerhausboden trotzdem ausreichend Platz für den Fernverkehr.

Beim passenden Abtrieb wird's dann schon schwierig - vor allem, seit Mercedes zum 12,8-Liter auch noch einen 10,7-Liter nachgeschoben hat. Der "große" Sechszylinder offeriert 421 oder 450 PS, der "kleine" 428 Pferdestärken. Wir haben uns innerhalb des reichhaltigen Angebots für den schwächeren der beiden 13-Liter-Aggregate entschieden: den 420er mit variablem Drehmoment und prüfen, wie gut er sich auf der TRUCKER-Testrunde macht.

MOTOR. Der OM 471-Reihensechszylinder läuft ruhig und vibrationsarm. Zudem stand der Testwagen wohl gut im Futter. Der langhubig ausgelegte Vierventiler (156 mm Hub zu 132 mm Bohrung) mit symetrischem Turbo und Wastegate tritt trotz nominal niedrigerer Leistung kaum schlechter an als der 450er im Referenz-Truck. "TopTorque", eine Drehmomenterhöhung im direkten Gang von 2100 auf 2300 Newtonmeter, bügelt so manchen Anstieg flach und hilft Schaltungen und somit kräftezehrende Zugkraftunterbrechungen zu vermeiden.

SCHON BEI 900 TOUREN LÄUFT DER MOTOR KRÄFTIG UND RUHIG

GETRIEBE. Dank niedertouriger Auslegung legt die automatisierte Powershift-Schaltung schon bei niedrigsten Drehzahlen die jeweils höchstmögliche Fahrstufe ein. Sie harmoniert gut mit dem 12,8-Liter. In der kleinen Gruppe lässt sie den Sechszylinder etwas weiter ausdrehen und überspringt sinnvoll Gangstufen. In der großen Gruppe orientiert sie sich am grünen Bereich (bis 1500/min), wechselt, auf niedrigen Verbrauch bedacht, die Gänge und schaltet früh hoch. Das klappt selbst auf der Landstraße gut, wo der 1842 bei 60 km/h dank langer Achsübersetzung mit lediglich knapp über 850 Touren im zwölften Gang seine Bahn zieht. Lohn dieser Auslegung: Ein neuer Verbrauchsrekord auf der TRUCKER-Testrunde!

An der Schaltarbeit selbst könnte Mercedes trotzdem ein wenig nachbessern. In manchen Situationen ist der Gangwechsel zwar akzeptabel schnell, deshalb aber auch ein wenig ruppig. Die Bedienung der Schaltung über den rechts am Lenkrad angeordneten Hebel, der alle Funktionen steuert, findet Gefallen. Mit insgesamt vier Rückwärtsgängen, die sich beim Reversieren wechseln lassen, findet sich für jedes Manöver die passende Übersetzung.

Bei der Vorwärtsfahrt hat Daimler das kraftfreie Rollen in Neutral (Ecoroll genannt) perfektioniert. Der Benz legt Neutral nur ein, wenn sich dadurch tatsächlich Meter beim Ausrollen gut machen lassen. Und zudem ist der in Wörth gebaute LKW noch immer der einzige, bei dem Ecoroll auch ohne aktivierten Tempomat arbeitet und auch akkurat einrückt.

Zwei kleine Auffälligkeiten bei der Kupplung gibt es noch zu berichten: Beim Anfahren kuppelt der Automat schon mal zu schnell ein, lässt dafür andererseits manchmal die Kupplung zu lange schleifen.

FAHRWERK. Beim Fahren sind leichte Vibrationen im Lenkrad spürbar - vor allem, wenn die Straße schlechter wird. Generell ist der aktuelle Actros keine Sänfte. Die Vierbalg-Luftfederung der Hinterachse federt eher sportlich straff. Immerhin schafft es die Komfortlagerung der großen Kabine in Verbindung mit der entsprechend weicher ausgelegten Zweiblatt-Parabelfeder vorne, akzeptablen Langstreckenkomfort zu realisieren. In schnell angegangenen Kurven macht sich aber eine deutlich wahrnehmbare Kabinenneigung bemerkbar - während Nickbewegungen beim Bremsen nicht festzustellen sind. Die Lenkung legt Mercedes im Vergleich zu früher direkt und mit variablem Übersetzungsverhältnis (17,0 bis 20,0:1) aus. Dennoch erlauben fünf Umdrehungen von Anschlag bis Anschlag nicht die Präzision eines Iveco, MAN oder Scania.

BREMSEN. Trotz grundsätzlichem Komfort- und Sicherheitsgewinn durch einen Retarder, kann man sich die mit Wasser als Medium arbeitende Hydrobremse im Falle des Actros fast sparen. Die starke Performance-Motorbremse des Test-LKW (400 kW/ 544 PS bei 2300/min) bot auf der TRUCKER-Testrunde ausreichend Leistung und ist hervorragend ins Bremsmanagement integriert. Selbst mit 40 Tonnen gibt es nur zwei, drei Gefällstücke, in denen der Fahrer beibremsen muss. Die Betriebsbremse selbst zeigt sich von ausgezeichneter Wirkung, spricht schnell an und lässt sich sehr gut dosieren. Auf die diversen Trailerwechsel während des Tests stellte sie sich ruck zuck ein.

EINFACHE, ÜBERSICHTLICHE BEDIENUNG, UMFANGREICHER BORDCOMPUTER

BEDIENUNG. Die Handhabung des Daimlers gelingt kinderleicht, alle Bedienkräfte sind auf erfreulich niedrigem Niveau - ohne gefühllos zu wirken. An den Starterknopf haben sich die meisten Chauffeure inzwischen gewöhnt. Viele Mercedes-Fahrer schätzen auch den optionalen Komfortschlüssel mit seinen zahlreichen Funktionen wie Lichtcheck, Reifendruckkontrolle und noch einer Menge Spielereien mehr. Auf die von vielen Fahrern als Gimmick empfundene elektronische Handbremse verzichten die Stuttgarter.

Das Fußpedal des Mercedes zur Lenksäulenentriegelung findet Gefallen. Bei der Positionierung der Pedale erleichtert der geringe Höhenunterschied zwischen Brems- und Gaspedal den einfachen Wechsel. Zudem glänzt der Mercedes mit einem übersichtlichen Armaturenbrett. Seine Instrumentierung nimmt viele Anleihen beim PKW. Der Fahrerplatz des Sternen-Lasters ist gut sortiert, übersichtlich und in punkto Ergonomie aktuell das Non-Plus-Ultra. Die im Multifunktionslenkrad untergebrachten Funktionen erschließen sich auch ohne großes Studium der Bedienungsanleitung.

Das Menü des Bordcomputers hat Mercedes übersichtlich und im Stil aktueller Computer-Betriebssysteme organisiert. Zudem zeigt sich das Display für PPC (Predictive Powertrain Control = GPS-Tempomat) mit neuen Funktionen und mehr Informationsgehalt. Die Klimatisierung im Actros gibt kaum Raum für Kritik. Einmal eingestellt, erfreut die elektronische Regelung durch zugfreie Belüftung und konstante Temperatur. Groß gewachsene Fahrer monieren allenfalls den eingeschränkten Verstellbereich des Sitzes in Längsrichtung. Auch das Lenkrad könnte ein wenig weiter in der Neigung verstellbar sein. Der fallweise montierte Beifahrer-Klappsitz schafft im Solobetrieb Flexibilität und Platz. Als Dauerlösung zum Sitzen ist er aber unzumutbar.

Dass Daimler nicht an einen besseren Frontaufstieg, einen besseren Zugang zur Arbeitsplattform sowie eine vernünftigere Anbringung der Kabel und Leitungen hinter dem Fahrerhaus gedacht hat, wird hoffentlich bei der nächsten Modellpflege berücksichtigt.

SICHT. Die Gehäuse der Actros-Spiegel sind so groß, der Abstand zur A-Säule so klein, dass sogar ein Transporter im toten Winkel verschwindet - was vor allem in Kreisverkehren ärgerlich und vor allem gefährlich ist. Das Wischfeld der Scheibenwischer fällt ausreichend groß aus, gut gefällt das einstellbare Intervall sowie die automatische Wischerregelung. Auch vor dem Beifahrer bleibt kein allzu großes ungewischtes Feld stehen. Generell sind die Waschdüsen im Scheibenwischerarm platziert. Die Reinigung erfolgt entsprechend schnell und effektiv. Nicht zu vergessen fehlt es am freien Blick auf quer über der Fahrbahn montierte Ampeln.

FAHRASSISTENZSYSTEME. Wie nicht anders erwartet, macht der GPS-Tempomat "PPC" auch im Power-Benz eine gute Figur. Mit plus fünf/minus sieben bei gesetzten 85 km/h ist man noch flott unterwegs und nutzt gleichzeitig die kinetische Energie des Lasters, um an geeigneter Stelle Sprit zu sparen. ESP kommt spät und setzt sanft ein. Eher dynamische Fahrer können mit dieser Charakteristik viel Schwung mitnehmen - ohne sich und die Umwelt zu gefährden! Der Abstandstempomat arbeitet ebenfalls akkurat. Wer auf maximalen Abstand geht, erfreut sich an einer sicheren Regelung, die es leidlich gut schafft, den Spritverbrauch nicht zu sehr in die Höhe zu treiben.

Das Niveau des aktuellen Notbremsassistenten müssen andere Hersteller erst erreichen. Alles Wichtige hält der Benz im übersichtlichen Display bereit - wie schnell ist er, wie schnell ist der Vordermann und wie groß der Abstand. Wer alles nutzt, kann optimal vorausschauend fahren. Und was viele Fahrer am meisten freut: Der Spurbindungsassistent meldet sich nur zu Wort, wenn's absolut sein muss.

TROTZ INSGESAMT GUTER LEISTUNG BLEIBT RAUM FÜR OPTIMIERUNGEN

PRAXISEINSATZ. Bei der nächsten Modellpflege würde es sich lohnen, in eine vernünftige Spoilerverstellung der Windleiteinrichtung auf dem Dach zu investieren. Das Economy-Paket ist so teuer, dass eine Kurbel, wie sie Renault oder DAF haben, durchaus beinhaltet sein müsste! Noch ein Wort zu den Paketen: der Testtruck verfügte über Safety-Pack-Top, Economy-Top und Comfort-Top und damit alles, was gut und teuer ist. Und teuer heißt in dem Fall fast 29.000 Euro! Trotzdem sind die "Packs" am Ende die bessere Wahl, weil die enthaltenen Ausstattungsdetails viel günstiger sind als die Einzelpreise bei separater Bestellung.

KABINE. Eine gute Dämmung hält während der Schichtzeit die Motorgeräusche weitgehend ab und isoliert während der Pause wirkungsvoller gegen Lärm, Hitze und Kälte. Streamspace reicht auf jeden Fall für die Mehrzahl aller Einsätze. Zudem spart sie ob der besseren Aerodynamik Kraftstoff, ist einen Zentner leichter und ein paar Tausender billiger als die große Gigaspace-Kabine. Empfehlenswert ist die automatische Klimaanlage - die akkurater arbeitet als das mechanische Pendant. Sie lässt sich einfach einstellen und hält ohne weiteres Zutun die voreingestellte Temperatur. Der Klimasitz mit Massagefunktion ist eine tolle Sache - wenn auch teuer! Nur beim Einstieg kommt der Actros nicht gut weg: Kaum ein Fahrer kann sich mit der hoch platzierten Kabine anfreunden. Und ein ebener Boden wird nicht von allen Chauffeuren als so wichtig erachtet.

Bei der Qualität setzt der Mercedes hohe Maßstäbe. Ein durchdachtes Lichtkonzept erleichtert die Orientierung. Zudem gefällt der Actros mit einem effektiven Abblendlicht. Auch ohne "Big" und "Giga" können Fahrer bis 1,90 Meter problemlos stehen. Da lässt sich dann auch gleich das "Mückennetz" oder die Verdunkelungsblende am ansonsten elektrisch betätigten Schiebedach arretieren.

GEWICHT. In der "Ära-Euro-6" mit riesigen Katalysatoren, voluminösen Kühlsystemen und schwerer Abgasrückführung sind 7520 Kilo Fahrzeuggewicht (mit 400 Liter Diesel, 60 Liter Adblue und dem Fahrer) für ein gut ausgestattetes Fernverkehrsauto einigermaßen akzeptabel. Letztlich zeigt sich der 1842 Streamspace als wirklich gelungener Kompromiss. Mehr Power als ein 43er, fast so stark wie ein 45er und trotzdem sparsam wie ein 350-PS-Laster.

GG

KABINE UND NACHTEINSATZ

Streamspace heißt bei Mercedes der Kompromiss aus Aerodynamik und Hochdach. Wegen des starken Einzugs fehlt Stauraum. 900 Liter sind aber für die meisten Einsätze o.k. Für den ebenen Boden bezahlt der Fahrer mit einer Kletterpartie beim Einsteigen. Sitz- und Lenkradverstellbereich sind gut - setzen aber keine Maßstäbe. Das obere Bett fällt breiter aus, es durch das optionale Gepäcknetz zu ersetzen ist überlegenswert.

Gut ist das aufstellbare Kopfteil unten. Klimasitze und Komfortmatratzen finden Gefallen, sind aber teuer (1029,- + 284,- Euro). Die Sitzpolster der Standardsitze könnten etwas weicher sein. Zumindest darf man die einfache Verstellung als beispielhaft ansehen. In der Nacht gefällt der Actros durch ein sehr gutes Abblend- und ebenfalls gutes Fernlicht (Bi-Xenon). Das Lichtkonzept im Innenraum ist durchdacht. Rasierspiegel, Druckluftpistole, zahlreiche (und hoch abgesicherte) Steckdosen und das im Lot fixierbare Bett zeugen von Praxistauglichkeit. Die braune Ausstattung ist pflegeintensiv und schwer sauber zu halten.

SPASSFAKTOR

Die Mischung stimmt

Die Realität ist beim 1842 besser, als es die Papierform vermuten lässt. Der Benz fährt sich kinderleicht, ist komfortabel und findet einen guten Kompromiss aus Aerodynamik und Lebensraum. Zudem ist er schön verarbeitet und hat pfiffige Details.

TRUCKER-FAZIT

Mehr Hubraum hilft ...

Ein 1843er ist leichter und hat sieben PS mehr. Trotzdem sind zwei Liter Hubraum und (mit TopTorque) 300 Nm mehr Drehmoment stechende Argumente. Das Schöne: In der Teillast ist der 1842 dank GPS-Tempomat genauso sparsam. Aber wenn's darauf ankommt, packt er kraftvoll(er) zu. Es gilt, was schon immer galt: Hubraum ist nicht zu ersetzen - außer durch mehr Hubraum!

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