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Trucking in Brasilien: Fußball über alles

14.04.2014 08:00 Uhr
Trucking in Brasilien: Fußball über alles
Beim Bau des Stadions verdienten nicht alle legal
© Foto: Gregor Soller

Die Fußball-WM spaltet Brasilien: Einerseits stört die Korruption. Andererseits profitiert man von der Sonderkonjunktur und ist stolz auf die WM. Das gilt auch für die Fahrer in und um Sao Paulo.

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Ob ich meinen Job liebe? Klar liebe ich meinen Job", erklärt Waldomiro Pereira. Es macht Spaß und bringt gutes Geld! Diese Aussage stammt allerdings nicht von einem Spieler der ersten brasilianischen Fußballauswahl, sondern von einem Fahrer eines Mercedes-Benz Atron 2729-Betonmischer, der für die Firma Concreserv in Sao Paulo läuft.

Damit bringt Waldomiro Beton zu einer Zufahrtsstraße des Corinthians-Stadions, um dort Bürgersteige zu betonieren. Das neue Stadion, dem bereits ein Kran aufs Dach stürzte und wo es zu Bauverzögerungen kam, soll einst dem größten Videoscreen Brasiliens und 68.000 Fans Platz bieten. Ende Februar werden die letzten Dachelemente aufgesetzt. Die Befürchtung, dass das etwas spät sein könnte, teilt Waldomiro nicht: Es gibt in Brasilien immer einen dritten Weg", erklärt er lachend. Will heißen: Sollte die geplante Spieltaktik nicht aufgehen und der Notfallplan B nicht greifen, wählen die Brasilianer eben eine dritte Variante. In Sachen Verdienst spielt er auf jeden Fall Erstliga unter den Kollegen. Die acht Stunden Schicht bei Concreserv bringen ihm mit täglichen Sonderzulagen rund 1000 Euro netto im Monat, was für brasilianische Verhältnisse gutes Geld ist. Gefordert ist Waldomiro vor allem im Chaos des täglichen Verkehrs, wo man eher wie ein Stürmer fahren sollte: Wer bremst, verliert!

Im Gegensatz zu den asiatischen Staaten, in denen immer der Stärkere Vorfahrt hat, respektiert man hier die Geschwindigkeit aller Fahrzeugklassen, weshalb bei den täglichen Platzkämpfen auch Motorradfahrer oder kleine PKW als Sieger hervorgehen können, sofern sie schnell und trickreich genug agieren.

TROTZ DER GUTEN BEZAHLUNG SIND DIE KARTENPREISE UNERSCHWINGLICH

Auch Adalberto José Barros fährt für Concreserv. Das Fahren liegt ihm in den Genen: Er hat sechs Brüder und alle sind LKW-Fahrer. Entsprechend stolz ist er auf seinen Job. Der könnte seiner Meinung nach trotzdem etwas besser bezahlt sein, denn den Eintritt zu einem WM-Spiel kann er sich bei den Kartenpreisen nicht leisten. Immerhin habe die Infrastruktur durch die WM einen Schub erhalten - zumindest in den Städten, in denen Stadien gebaut werden.

Dass dabei auch viel Schmiergeld an die Politik floss, stößt seinem Kollegen Jaumacy de Matos Brito ebenso sauer auf wie die Eintrittspreise. Darum wird er die WM am Fernseher verfolgen. Dass seine Söhne erzählen können, dass ihr Vater beim Stadionbau geholfen hat, macht ihn trotzdem stolz, denn auch er liebt Fußball. Auch bei ihm liegt das Fahren in der Familie: Bereits sein Vater war Trucker, und deshalb fährt er jetzt auch. Für ihn ist der Atron-Mischer ein Aufstieg vom VW 8.150 Delivery, den er vorher lenkte.

Den gelieferten Beton ziehen Antonio Da Paz, genannt Ligeirinho, was so viel bedeutet wie "schneller Läufer" und Antonio Ferreira glatt. Die Schicht der gut gelaunten Antonios, die wir ohne Vorankündigung mitten bei der Arbeit "überfallen", beginnt um 7.30 Uhr und endet pünktlich acht Stunden später. Neben dem Stadion sind die beiden Antonios auch an er benachbarten neuen Uni zu Gange. Die harten Jobs sind schon getan, jetzt stehen noch Detailarbeiten an: Mal eine Mauer aufrichten, mal ein Stück Gehweg oder Vorplatz betonieren: "Das machen wir mit links", erklären die drei lachend.

Die Schichtzeiten werden auch andernorts seltener überschritten. Hier folgt Brasilien verstärkt internationalen Richtlinien, die der EU und den USA entsprechen, außerdem wird deren Einhaltung stärker kontrolliert. Für LKW herrscht auf den Stadtautobahnen Sao Paulos striktes Rechtsfahrgebot, was bei meist vier bis fünf Fahrstreifen keine allzu große Einschränkung darstellt, trotzdem ist Vorsicht geboten: Die ganz rechte Spur bleibt den Bussen vorbehalten, die linken den PKW und Zweirädern, wobei letztere immer dort fahren, wo die Lücke zwischen zwei Fahrzeugen am Größten ist. Das und auch die Geschwindigkeitslimits werden mittlerweile regelmäßig überprüft, ohne dass es zu einer spürbaren Verlangsamung des Verkehrs geführt hätte. "Man sagt, dass Sao Paulo immer unter Strom steht", erklärt Waldomiro. Also sollte man hier immer am Ball bleiben, wenn man nicht untergehen will. "Das gilt übrigens auch dann, wenn Du im Stau stehst."

VIELE FAVELAS WURDEN WEGEN DER WM EINFACH BEISEITE GERÄUMT

Den dürfte es am neuen Stadion trotzdem wieder geben: Zwar werden die Zufahrtsstraßen direkt an den Stadien ausgebaut, wofür ganze Favela-Siedlungen beiseite geräumt und durch Straßen und "offiziell genehmigte Bauten" ersetzt werden. Doch schon zwei Kilometer vor und hinter dem Stadion wird wohl alles beim alten bleiben. Heißt: Bis zu dreißig Zentimeter tiefe Schlaglöcher auf vergleichsweise engen vierspurigen Straßen, auf denen sich ein Großteil des Verkehrs zum Spiel und danach wieder nach Hause quälen wird.

Ortswechsel: Bei Juiz de Fora im Bundesstaat Minas Gerais im Südosten Brasiliens verbindet die Autobahn 040 Belo Horizonte und Rio de Janeiro, die zweitgrößte Stadt des Landes. An einer Raststätte macht Aelio Rocha mit seinem Scania Pause. Auch er liebt seinen Job und den Fußball. Der 50-Jährige sitzt seit 25 Jahren auf dem Bock und pendelt aktuell zwischen Belo Horizonte und Rio. Dafür braucht er pro Richtung ungefähr neun Stunden. Geladen hat er Zement. Natürlich spürt er die Auswirkungen der WM auf seinen Job: Zwar beliefert er nur ein Baugeschäft, doch die Nachfrage nach Zement zog vor allem im vergangenen Jahr deutlich an.

SEHR VIELE SEHEN DIE WM KRITISCH - UND SIND DOCH AUCH STOLZ DARAUF

Im 55 Autos umfassenden Fuhrpark von Transporte Uniao Pequeri laufen neben 40 Volvos und Scanias noch 15 Mercedes-Benz. Marken-Präferenzen hat Aelio keine. Hauptsache er ist zu Spielbeginn in Rio immer pünktlich zu Hause. Schließlich hat er indirekt ja auch am Bau des Maracana-Stadions mitgeholfen.

Auch der 55-jährige Remo Sacho ist Fußballfan. Er sitzt seit 35 Jahren am Steuer und lenkt seinen Axor von Guiana gen Rio. Dazu braucht er 21 Stunden. Auch ihm brachte die WM mehr Arbeit. Gerade legt er eine große Pause ein. Paulo Silva ist dagegen fast am Ziel: Er kommt aus der Hauptstadt Brasilia und transportiert Abfall nach Juiz de Fora. Seine lange Pause, während der er einen Blick unter die Kabine wirft, verbringt er in Flip-Flops, mit denen er nicht gern fotografiert wird: "Damit kann man nicht fahren, aber Pause machen", erklärt er. "Wir haben den heißesten Januar seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen und es wird Zeit, dass es endlich mal wieder regnet".

Tatsächlich ist direkt neben der Autobahn bereits ein kleines Buschfeuer ausgebrochen. Es wird zur Kenntnis genommen, mehr nicht. Silva und seine Kollegen sehen nachts immer wieder kleine Brände, die meist von allein erlöschen - noch: "Wenn es weiter so trocken bleibt, kriegen wir hier echt Probleme."

Neben den modernen Fernverkehrszügen passieren immer wieder klassische Mercedes-Benz-Rundhauber die Raststätte: Die Allzweckwaffen der ländlichen Versorgung legen die ersten Teile ihrer Reise meist auf unbefestigten Wegen ohne große Infrastruktur zurück und müssen entsprechend viel abkönnen: Immer noch sind mehr als 80 Prozent aller brasilianischen Straßen unbefestigt. Zwar ist Euro 5 seit 2012 und ABS seit 2014 Vorschrift, doch es gibt keine Mautspreizung wie in Deutschland.

ZWISCHEN SÜD- UND NORDBRASILIEN BESTEHEN GROSSE UNTERSCHIEDE

Im Süden des Landes lösen große Fernverkehrsautos die Solo-LKW mit Pritsche ab. Meist laufen die als 6x2 und 6x4 für 26 respektive 30 Meter lange und bis zu 74 Tonnen schwere Züge. Doch im Norden bleiben die klassischen Baumuster nach wie vor unverzichtbar: Statt Fußbällen werden hier weiterhin Kokosnüsse oder Melonen geladen. Und nach dem Doppelrummel von WM 2014 und Sommerolympiade 2016 werden wieder die landwirtschaftlichen Produkte und Bodenschätze die wichtigsten Transportgüter des sportbegeisterten Landes sein.

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