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Vergleichstest Mercedes Actros 1842/1845

30.04.2013 08:00 Uhr
Vergleichstest Mercedes Actros 1842/1845
Sekt oder Selters? - Das war die Frage beim Vergleichstest des TRUCKER
© Foto: Karel Sefrna

Machen 421 oder 449 PS beim Actros den Unterschied? Oder ist es nicht wichtiger, die passende Kabine zu finden? TRUCKER vergleicht das asketische Streamspace "schmal" als 1842 in EEV mit dem geräumigen Bigspace als 1845 in Euro 6.

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Aller guten Dinge sind bekanntlich drei. Im Fall unseres Vergleichstests sind es drei Fragen, deren Beantwortung Fahrer und Unternehmer gleichermaßen interessiert: Muss es bei den populären Motorisierungen des New Actros unbedingt ein 450er sein oder erfüllt ein 420er die gestellten Aufgaben nicht genauso gut? Mit welchem Strafaufschlag wird Euro 6 an der Tankstelle belegt? Und muss es eine der Großraumkabinen mit ebenem Boden sein?

Im Falle des Motors findet sich die Antwort relativ schnell - zumindest wenn man das Glück hat, einen 420er zu bekommen, der so gut im Futter steht, wie der Reihensechszylinder des Test-Trucks! Offensichtlich haben im Werk Mannheim, wo der OM471 das Licht der Welt erblickt, die optimalen Komponenten zusammengefunden. Der langhubige Vierventiler mit dem typisch, asymmetrischen Turbolader tritt trotz nominal niedrigerer Leistung ebenso vehement an wie sein 28 PS stärkerer Bruder. In der Beschleunigung sind es nur Zehntelsekunden, die fehlen, an manchen Bergen "bügelt" der furiose 420er den stärkeren 450er sogar!

Nachdem sich die Leistungskurven von EEV und Euro 6 nach Aussage von Mercedes nicht unterscheiden, kann diese gute Performance ihren Grund zumindest nicht an der anderen Schadstoffeinstufung des 420ers liegen. Auf dem Papier verfügt der 1842 über ein maximales Drehmoment von 2100 Nm - ein Wert, der noch vor ein paar Jahren einem 460er oder 480er gut zu Gesicht stand. Tatsächlich powert der 420er dank Toptorque, einer Drehmomentanhebung im höchsten Gang, sogar mit bis zu 2300 Nm die Berge hoch oder legt schon bei niedrigsten Drehzahlen die höchste Fahrstufe ein. Ein Grund für den nahezu perfekten, hochagilen Auftritt des 1842 liegt sicher auch in der Kabine begründet. Das kompakte Fahrerhaus sitzt straffer auf dem Rahmen als die breiten "Hütten". Geräusche und Fahrbahnbeschaffenheit gelangen ungefilterter zum Fahrer. In Kurven und beim Bremsen wankt und schwankt es viel weniger. Dadurch wirkt der Actros mit Streamspace 2.3 direkter, sportlicher und verbindlich. Allerdings bestätigen die Messwerte, dass der Eindruck einer sehr guten Leistungseinstellung sich auch objektiv bewahrheitet. Sind alle 420er so, kann das Urteil nur lauten: Her damit, der 450er ist rausgeschmissenes Geld!

EURO 6 MAG NOCH SAUBERER SEIN - KOSTET ABER 1,5 LITER PRO 100 KM

Der Blick auf die Verbrauchsergebnisse führt gleich zu einer zweiten, bitteren, wenn auch nicht ganz unerwarteten Erkenntnis: Euro 6 hat erhebliche Mehrkosten bei den Betriebsstoffen zur Folge! Warum wir das so umständlich formulieren? Ganz einfach: Der EEV-Motor braucht zwar doppelt so viel Adblue, aber rund fünf (!) Prozent weniger Kraftstoff. Zugegeben hatte der 1845 Euro 6 einen denkbar schlechten Testtag erwischt (s. Bild Seite 40). Trotz Referenz-LKW war es schwer, diesen Nachteil komplett zu kompensieren. Zudem kämpft der große Benz mit Bigspace auch noch mit dem schlechteren Luftwiderstand. Dennoch ist der Unterschied eklatant. Zum Vergleich (oder zur Bestätigung): Ein im Juli letzten Jahres getesteter 1851 in Euro 6 genehmigte sich 27,2 l/100 km. Der kürzlich beim Euro Truck Test gefahrene 1845 Streamspace 2.5 EEV schaffte die gleiche Aufgabe mit 25,1 l/100 km.

Da mag sich jeder selbst ausrechnen, wie hoch eine Mautspreizung ausfallen muss, damit sich Euro 6 rechnet. Wer noch vor dem Stichtag kauft, braucht viele gute Argumente, um bei der Bestellung nicht doch "EEV" anzukreuzen. Damit wären zwei der eingangs gestellten Fragen beantwortet: 1845 oder 1842, EEV oder Euro 6? Da lässt der 1842 in EEV keine Zweifel!

Geht es nach den Fahrern, können wir uns die Antwort auf Frage drei, die nach der passenden Kabine, ohnehin sparen. Wer nimmt schon freiwillig Streamspace 2.3, wenn er auch ein Bigspace haben kann- wohl niemand. Die Frage lautet dann wohl eher: Wie groß sind die Abstriche tatsächlich, wenn der Chef aus Gründen der Nutzlast oder wegen des Einkaufspreises mit dem Kompaktfahrerhaus liebäugelt?

Sie sind zumindest nicht gar so groß wie zunächst erwartet. Und sie sind nicht annähernd so groß wie früher, als Benz-Kutscher in ähnlicher Situation die Entscheidung zwischen Actros MP3 Megaspace und Axor Hochdach treffen mussten. Während der Axor im Fernverkehr ein - sorry - besserer Karnickelstall war, bietet Streamspace 2.3 zumindest den identischen Fahrerplatz wie die Bigspace-Kabine. Die Betten sind etwas kürzer. Wer aber nicht gerade ein Riese ist, findet auch dort genügend Platz. Wie beengt man den 1842er findet, hängt von der Reihenfolge ab. Wer mit Streamspace 2.3 startet, findet einen wohnlichen LKW mit angenehmer Atmosphäre vor, dessen 170 Millimeter hoher Motortunnel die Bewegungsfreiheit etwas einschränkt, auf dessen Motortunnel man aber mit leicht eingezogenem Kopf noch ganz gut stehen kann. Auch wenn gegenüber der Großraumkabine ein Drittel an Stauvolumen fehlt, findet sich fürs normale Dreitages-Gepäck ausreichend Platz. Mit etwas Geschick lassen sich auch die Utensilien für eine ganze Woche verstauen.

Nach 500 Kilometern Testfahrt und einem flotten Ritt auf der Handling-Runde ist man gut Freund mit dem geradlinigen 1842er. Der Umstieg ins Bigspace des 1845 führt höchstens dazu, sich ein wenig verloren zu fühlen. Die Kompaktheit des schmalen Streamspace hat auch etwas heimeliges, wie ein gut geschnittener Anzug. Ganz anders geht es dem Umsteiger von Groß-Hoch auf Klein-Schmal. Der Kommentar des Kollegen im O-Ton: "Ach du Sch..., ist das eng!" Frei nach Einstein ist mal wieder alles relativ!

KLEINER MOTOR, EEV-NORM, ABER DIE GROSSE KABINE

Der ideale LKW wäre also aktuell eine Mischung aus unseren beiden Testkandidaten: ein 1842 mit Bigspace. Zumindest, wenn nicht jedes Kilo zählt, wenn man mehr als drei Nächte draußen ist und wenn man mehr auf Komfort denn auf Erdverbundenheit steht. Die weichere Lagerung der Großraumkabine sorgt für erheblich mehr Langstreckenkomfort. Die bessere Dämmung hält während der Schichtzeit die Motorgeräusche besser ab und isoliert während der Pause wirkungsvoller gegen Straßenlärm, Sommerhitze und Winterkälte. Andererseits entkoppelt sie den Fahrer nicht so komplett wie es die "Sansoschäfchenweich"-Federung eines Megaspace vergangener Tage gemacht hat. Trotz größerer Relativbewegung des Fahrerhauses hat der Chauffeur noch Gefühl in der Lenkung und verreißt das Volant nicht in Kurven, weil ihn die Kabine ähnlich einer Schiffsschaukel "flach legt".

Einziges Manko der großen Hütte ist der unkomfortable Einstieg über vier Stufen in luftige Höhen. Zugegeben wird aber im Fernverkehr nicht so oft ausgestiegen, dass einen die Kletterpartie stören würde. Echt beschwerlich ist es nur, das Wochengepäck ins Fahrerhaus wuchten zu müssen. Das war aber beim Megaspace nicht anders und Renault-Magnum-Fahrer wissen auch ein Lied davon zu singen ...

Das ideale Auto haben wir also gefunden - wenngleich der Actros im Falle des Testwagens mit Großraumfahrerhaus, Retarder und trotz Alufelgen mit 7760 Kilo recht schwer geraten ist. Der Kunde zahlt da die Zeche für künftige Schadstoffnormen im Voraus. Weil in der Nach-Euro-6-Ära noch höhere Einspritz- und Verbrennungsdrücke kommen, müssen die Aggregate noch robuster und damit schwerer werden. Den Nachteil der Sternen-Laster hat der Wettbewerb dann spätestens in ein paar Jahren ...

ALLES BESSER ALS BEIM MP3, ABER NICHT BESSER ALS ANDERSWO

Was den neuen Actros sonst angeht, glänzen beide Testwagen mit den schon in der Vergangenheit beschriebenen Qualitäten: Die Lenkung ist direkter, das Fahrwerk nicht mehr ganz so weich wie beim Vorgänger. Man kann sehr gut damit leben. Maßstäbe setzt der Benz damit nicht - MAN und Scania sind trotz langer Bauzeit nicht schlechter, Volvo hat sogar deutlich zugelegt. Die Betriebsbremsen erfüllen ebenfalls hohe Erwartungen. Aber in diesem Punkt gibt sich kein Hersteller eine Blöße. Wirklich gut ist der extrem leistungsfähige Wasserretarder mit bis zu 4000 Nm Bremsmoment. Auch die Motorbremse mit maximal 400 kW Bremsleistung macht in vielen Anwendungen einen Retarder fast überflüssig. Da hat der Stern die Nase vorn.

Auch wenn's um die Assistenzsysteme geht, reicht niemand den Entwicklern aus Baden-Württemberg das Wasser. Das Niveau des aktuellen Notbremsassistenten müssen andere erst erreichen. Auch ESP, Spurbindung und Abstandstempomat arbeiten tadellos. Zudem glänzt der New Actros mit vorbildlicher Info für den Fahrer. Alles Wichtige hält der Benz im übersichtlichen Display bereit - wie schnell ist er, wie schnell ist der Vordermann, wie groß der Abstand. Wer alles nutzt, kann optimal vorausschauend fahren. Oder aber, er bestellt den GPS-Tempomaten PPC. Aber das ist ein anderes Kapitel, über das wir in vorangegangenen Heften berichteten. Die Frage ist also nicht Sekt oder Selters, sondern: Sekt oder Champagner?

TRUCKER FAZIT

Die Kabine ist wichtiger als der Motor

Ungeachtet der Einschätzung, ob man noch (den extrem sparsamen) EEV oder schon Euro 6 kauft, fällt der Unterschied zwischen 420er und 450er viel kleiner aus als von uns erwartet. Dank eines maximalen Drehmoments von 2300 Nm mit Toptorque bei der 421-PS-Version, kann man sich die nächste Leistungsstufe fast sparen. Aber auch wenn der New Actros mit der schmalen Kabine einen fahraktiveren Eindruck hinterlässt, würden wir nicht mal im schweren Verteilerverkehr auf die breite Kabine verzichten wollen. Es muss nicht unbedingt ein Bigspace sein. Aber 2,5 Meter Breite und die Option "ohne Motortunnel" sind gesetzt. So wie beim Trucker-Referenz-Auto auch!

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