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Greif der Vernunft

01.04.2019 08:00 Uhr
Greif der Vernunft

Mit 450 PS und R-Highline-Kabine soll der Scania R 450 die goldene Mitte zwischen Komfort und Wirtschaftlichkeit sein. Unser Test klärt, ob's stimmt.

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TESTFAHRZEUG Modell: Scania R 450 Highline

Hubraum: 12.700 cm3

PS (kW): 450 (331) bei 1900/min

Drehmoment (Nm): 2350 bei 1000-1300/min

Leergewicht: 7321 kg (400 l Diesel, 60 l AdBlue)

Scania und V8-Motor, das gehört zusammen wie der Reifen zur Felge! So werden das zumindest viele Leser sehen. Fakt ist allerdings: Auch die Kunden der Lkw-Marke mit dem Greif im Logo müssen kostenorientiert arbeiten. Und der Achtzylinder ist in der Anschaffung nicht nur teurer, er verschlechtert durch sein höheres Gewicht auch die Nutzlastbilanz und genehmigt sich nachweislich einen Schluck mehr Kraftstoff als der DC13-Reihensechszylinder. Daher ist es kaum verwunderlich, dass die meisten R- und S-Modelle mit "nur" sechs Töpfen die Scania-Werke im schwedischen Södertälje, im niederländischen Zwolle oder im französischen Angers verlassen.

VIEL PLATZ IM R-HIGHLINE AUCH FÜR MEHRTÄGIGE TOUREN

So auch bei dieser in "Spicyrot" lackierten Testzugmaschine. Mit 450 PS und R-Highline-Kabine verkörpert sie den Scania der Vernunft, zu dem vor allem größere Flotten gerne greifen. Und wenn wir ehrlich sind: Mehr braucht eigentlich niemand! Die Platzverhältnisse im R-Highline genügen auch für mehrtägige Touren völlig und die mittlere Leistungseinstellung des Reihensechszylinders reicht selbst bei voller Beladung jederzeit zum problemlosen Mitschwimmen im Verkehr. Wozu vor allem das hohe Drehmoment von 2350 Newtonmeter beiträgt. Das hat zur Folge, dass sich auch Scania-Sechszylinderfahrer ein klein wenig wie ein König fühlen dürfen. Denn mehr Drehmoment bietet - wenn auch nur knapp - bis dato kein anderer Wettbewerber in dieser Leistungsklasse. Doch dazu später mehr ...

Mit Vorsicht ist beim Schweden das Thema Gewicht zu genießen. Natürlich ist die Testzugmaschine deutlich leichter als ein vergleichbares R-Modell mit V8. Ein Fliegengewicht ist sie aber keineswegs. Exakt 7321 Kilogramm bringt unser R 450 inklusive 400 Liter Diesel und 60 Liter Ad-Blue auf die Waage, da ist beispielsweise ein Volvo FH deutlich leichter.

Dieses Manko nimmt der Vernunft-Greif mit auf unsere standardisierte und wie immer per unserem Referenz-Actros abgeglichene Supertest-Runde. Wie jedes Testfahrzeug mit weniger als 500 PS stellt unser auf 24 Tonnen ausgeladener Krone-Testtrailer die Transportaufgabe.

Vor allem mit diesem eher leichten Gewicht auf dem Königszapfen ist die Wahl einer möglichst langen Hinterachsübersetzung goldrichtig für einen niedrigen Spritverbrauch. Der Hersteller gibt dem Testfahrzeug deshalb die mit i=2,35 längstmögliche Achse seines Programms mit. Exakt 1077 Touren liegen bei Reisetempo 85 an, womit der Schwede aber deutlich höher dreht als beispielsweise DAF-Testfahrzeuge, deren Motoren die Niederländer problemlos 1000/min in diesem Geschwindigkeitsfeld verordnen.

DAS OPTICRUISE-GETRIEBE STUFT AM BERG FRÜH ZURÜCK

Trotzdem agiert die Steuerungs-Elektronik des Scania-GPS-Tempomaten "CCAP" vorsichtig. Selbst mit 31 Tonnen Gesamtgewicht schaltet sie schon am Beginn von anspruchsvollen Steigungen in den elften Gang zurück, anstatt - wie sonst üblich - die höchste Fahrstufe möglichst lange zu halten. Ein Grund offenbart sich beim Blick auf die Drehmomentkurve des 450ers. Denn der Sechszylinder bringt es zwar - wie eingangs erwähnt - auf 2350 Newtonmeter Drehmoment. Die liegen aber "erst" ab 1000 Touren voll an und damit deutlich später als bei den meisten Wettbewerbern. Immerhin setzt der R 450 sein höheres Drehzahlniveau in Tempo um. Am Kindinger Berg auf der A 9 - anspruchsvollste und längste Steigung unserer Testrunde - schafft er um zwei Sekunden besser als der Rest in neuer Klassenbestzeit und nimmt langsameren Konkurrenten wie dem DAF CF 450 (s. TRUCKER 3/2019) allein auf diesem kurzen Teilstück 29 Sekunden ab!

Die Anpowerfunktion des GPS-Tempomaten kommt also Tempo und Verbrauch gleichermaßen zugute. Die nutzt das System allerdings nur, wenn es errechnet hat, dass die folgende Steigung dann ohne Rückschaltung zu schaffen ist. In solchen Fällen ist das System übrigens durchaus bereit, dem DC13 auch den Drehzahlkeller von 950 Touren zuzumuten - was der Motor passabel, sprich ohne nennenswerte Vibrationen oder Brummgeräusche pariert. Allerdings erlauben wir uns die Frage, warum Scania das Anpowern am Fuße der Steigung nicht bis zum Tempobegrenzer durchzieht, sondern die Reisegeschwindigkeit um höchstens drei km/h überschreitet? Mit zu viel Schwung kann man nicht in einen Berg starten ...

Zusätzlich offenbart CCAP beim Testfahrzeug Regelungenauigkeiten, die wir von dem sonst überaus souverän agierenden System bislang nicht kannten: Mehrmals interpretierte die Elektronik Topografie und Windverhältnisse auf der Teststrecke fehl. In der Folge fiel das Tempo unter die eingestellte Hysterese, was einen zusätzlichen Gasstoß zur Folge hat.

Um den mitzubekommen, muss der Fahrer allerdings genau hinhören, denn die aufwendige Geräuschdämmung, unter anderem mit doppelt verglasten Seitenscheiben, hat zur Folge, dass der aktuelle Scania auch ohne V8 der derzeit leiseste Lkw am Markt ist. Womit wir sicher auch einen Grund für das eingangs erwähnte höhere Gewicht gefunden hätten ...

SEHR SPARSAM, ABER TROTZDEM SCHNELL ÜBER DIE TESTRUNDE

In diesem Zusammenhang ist auch die blattgefederte Vorderachse, über die das Testfahrzeug Bodenunebenheiten filtert, eine gute Wahl. Gegenüber der optionalen Luftfederung spart sie deutlich Gewicht und offenbart ein direkteres Fahrverhalten - auch wenn das natürlich reine Geschmacksache ist. Gut dazu passt die traditionell direkte Lenkung des R 450, die sich sogar noch etwas fahraktiver gibt als bei den Achtzylindern - schließlich lastet hier kein schwerer V8 auf der Vorderachse.

Die hohe Materialgüte und die perfekte Verarbeitung des Greifs bedürfen eigentlich keiner Erwähnung mehr, was natürlich auch für die Flotten-Modelle gilt. Insofern muss man sich in keiner Weise als Scania-Fahrer zweiter Klasse fühlen, wenn sich der Chef für einen R 450 entscheidet.

Dem dürfte die Anschaffung ebenfalls Freude machen: Das Testfahrzeug überwand unsere Testrunde mit durchschnittlich sehr sparsamen 24,2 l/100 km und gehört mit 80,4 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit trotzdem zu den schnellsten. Lediglich der AdBlue-Konsum fällt mit neun Prozent bezogen zum Dieselverbrauch höher aus - ein verschmerzbarer Tribut an die abgasrückführungsfreie Schadstoffreduktion (Only-SCR) auf das gängige Euro-6-Niveau. JB

MOTOR IM KURZURTEIL

auch bei niedrigen Drehzahlen nahezu frei von Vibrationen, gleichmäßige Leistungsentfaltung und kraftvoller Durchzug

sein maximales Drehmoment liefert der Motor erst ab 1000 Touren

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Sascha W. Die S-Kabine darf es schon sein, zumindest im Fernverkehr. Finde den ebenen Boden da eher wichtiger als den Komfort beim Einsteigen. V8 muss, glaube ich, in Deutschland in den wenigsten Regionen wirklich sein, aber wenn man ihn hat, ist es auch klasse!

Alex H. Ich fahre nen R 500 und will gar keinen S. Der Komfort beim Ein- und Aussteigen ist mir wichtiger.

Tim K. Ich fahre selbst auch den R 450 und bin mehr als zufrieden. Der Motor zieht super und am Berg hat man so weit keine Probleme. Im Vergleich zum Vorgänger R 480 zieht der aktuelle R 450 sogar noch besser. Und über ausreichend Platz braucht man, glaub ich, nicht diskutieren. Auf dem Motortunnel haste ne Stehhöhe von über 1,90 Meter!

Michael V. Nein, die S-Kabine muss nicht sein, der R reicht. Die Schränke und Betten sind nicht kleiner als im S, nur hat er halt einen kleinen Motortunnel, der aber auch Vorteile haben kann.

Thomas van C. Bin mit meinem R 450 eigentlich top zufrieden. Fahre größtenteils in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt und in bergigen Regionen merkt man schon, dass die 450 PS einfach zu wenig sind. Sonst bin ich sehr zufrieden, von der ersten Minute an.

Paul A. V8 muss nicht immer sein, aber ein S ist schon wesentlich angenehmer als der R!

Marten N. Wir haben den R - völlig ausreichend!

Opa Jens. Ich finde, es muss überhaupt kein Scania sein!

Björn H. Es darf sogar gerne noch größer sein als ein S: Mein Traumauto wäre ein S 730 Hauber Longline mit manuellem Schaltgetriebe!

KABINEN-WERTUNG

Der R-Highline entspricht in etwa der Topline-Kabine des Vorgängermodells. Insofern dürfen die Platzverhältnisse als großzügig bezeichnet werden. Die Staufächer oberhalb der Frontscheibe sind mit denen der aktuellen Top-Kabine "S-Highline" identisch. Das kommt daher, dass Scania bei beiden Fahrerhäusern das gleiche Hochdach verwendet und die R-Kabine lediglich tiefer montiert. Deshalb verbleibt ein moderater Motortunnel von 5 Zentimeter Höhe. Die Stehhöhe beträgt in der Kabinenmitte ausreichende 1,91 Meter, vor dem Beifahrersitz sind es 2,07 Meter. Egal ob R oder S, in Sachen Materialauswahl und Haptik setzt die aktuelle Scania-Kabine auch knapp zwei Jahre nach ihrer Vorstellung den Klassenmaßstab. Hier herrscht Oberklassen-Ambiente, sprich, alle Schalter und Regler greifen sich auffallend wertig und rasten satt. Gönnen sollte man sich das optional ohne Auszug breite Bett, mit dem der umständliche Kabinenumbau in der Pause mit Sitzvorschub und Bettauszug entfällt.

In vielen Punkten vorbildlich

Das meiner Meinung nach größte Manko des Scania gleich vorweg: Ich kann einfach nicht bequem sitzen. Wegen meiner zugegebenermaßen langen Beine stoße ich mit dem linken Knie ständig gegen den vorstehenden Türgriff. Davon abgesehen zählt der Scania aber zum Besten, was der Markt derzeit hergibt. Er ist äußerst leise und Lenkung, Fahrwerk sowie das automatisierte Getriebe arbeiten top! Den Maßstab setzt der Scania auch beim Thema Sicht: Die nach vorn verlegte Sitzposition sorgt zusammen mit dem tief heruntergezogenen Armaturenträger für beste Übersichtlichkeit. Auch mit den Spiegeln komme ich gut zurecht, mal sehen, ob Scania sie trotzdem bald durch Kamerasysteme ersetzt?

TRUCKER-Tester Wolfgang Obermaier

SERVICE UND WARTUNG

Wie bei jedem TRUCKER-Supertest begutachtete der TÜV SÜD auch den Scania R 450 Highline in Sachen Service und Wartung. Mit bis zu150.000 Kilometer Wartungsintervall spielt der Schwede in der oberen Liga mit. Allerdings erfordern solche Distanzen ein teures Motoröl. Den Ölstand überwacht der Bordcomputer; wer manuell prüfen möchte, muss das Fahrerhaus kippen. Motoröl und Kühlwasser lassen sich hinter der Frontklappe einfach ergänzen, ebenfalls leicht von der Hand geht das Auffüllen von Lenköl und Scheibenwaschwasser. Schwieriger gestaltet sich der Wechsel des Luftfilters, an den man nur bei gekippter Kabine herankommt.

Test mit Referenz

Jeder Test wird von unserem 38 Tonnen schweren Referenz-Zug, einem MB Actros 1845 mit Schmitz-Cargobull-Curtainsider, begleitet. Mit dem haben wir unter guten Bedingungen Verbrauchswerte erfahren. Verändern sich die beim Test, wissen wir, dass der Testtruck andere Bedingungen hatte. Über das Verhältnis der Veränderung können wir die Werte der Test-Lkw auf eine einheitliche Basis beziehen. Vorteil: Unsere Daten sind vergleichbar. Wir finden es unseriös, Werte zu vergleichen, die ohne Referenz unter wechselnden Bedingungen erfahren wurden. Den Test mit Referenz-Lkw gibt es in der Fachpresse nur bei uns und er wird auch von der Industrie praktiziert. AdBlue-Verbräuche sind anteilig in die Etappenergebnisse eingerechnet.

FAZIT Sparsam und sehr schnell

Der Scania R 450 bringt das Kunststück fertig, mit dem Kraftstoff sehr sparsam umzugehen, aber trotzdem eine hohe Transportgeschwindigkeit zu realisieren. Den Chef wird's freuen und auch der Fahrer hat ob der Platzverhältnisse keinen Grund zu klagen, wenn er einen R 450 mit Highline-Dach bekommt.

TRUCKER-Tester Jan Burgdorf

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