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Test: Ist mehr immer besser?

04.03.2019 08:00 Uhr
Test: Ist mehr immer besser?
Eineiige Zwillinge? Nur optisch, denn technisch unterscheiden sich die beiden Test-FH in vielen Details
© Foto: Karel Sefrna

Einen Volvo FH mit 420 PS sieht man selten auf unseren Straßen. Zu Recht, oder entpuppt sich die schwächste FH-Motorisierung als Geheimtipp? Das klärt der direkte Vergleich mit einem FH 460.

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IM TEST

IM TEST

Modell: Volvo FH 420 Globetrotter Modell: Volvo FH 460 Globetrotter
Hubraum: 12.800 cm3 Hubraum: 12.800 cm3
PS (kW): 420 (309) bei 1400-1800/min PS (kW): 460 (338) bei 1400-1800/min
Drehmoment (Nm): 2100 bei 860-1400/min Drehmoment (Nm): 2300 bei 900-1400/min
Leergewicht: 7211 kg (400 l Diesel, 60 l AdBlue) Leergewicht: 7081 kg (400 l Diesel, 60 l AdBlue)

Volvo-Kunden stehen auf Leistung. Zumindest suggeriert diesen Eindruck der Blick auf die Typenschilder der über deutsche Straßen rollenden FH: 460, 500 und gar 540 PS werden dort in den meisten Fällen ausgewiesen. Die Einstiegsmotorisierung des D13-Sechszylinders mit 420 PS sieht man dagegen selten.

Dieses subjektive Empfinden wird durch die Verkaufszahlen von Volvo bestätigt: 28,8 Prozent der FH-Käufer entscheiden sich aktuell für 460 PS, zum 420er greifen dagegen nur 5,2 Prozent. Dabei geben selbst die Schweden zu, dass der "Kleine" in vielen Fällen die bessere Option sein kann, unabhängig vom niedrigeren Anschaffungspreis oder der günstigeren Leasingrate.

Welche Fälle das sind, soll der Vergleich gegen einen nahezu baugleichen 460er aufzeigen. Die Transportaufgabe stellt unser 24 Tonnen schwerer Krone-Auflieger, den beide Probanden über die standardisierte Supertest-Runde schleppen müssen. Für Vergleichbarkeit der Testwerte sorgt wie immer unser Referenzfahrzeug in Gestalt unseres Mercedes Actros 1845 mit Curtainsider von Schmitz-Cargobull.

Das Testfahrzeug mit 460 PS dürfte aufmerksamen Lesern bekannt sein. Stellte es sich doch bereits in Heft 12/2018 einem Test und schnitt beim Thema Verbrauch mittelmäßig ab. Weshalb man in Göteborg entsprechend nachlegte und dem FH mit dem amtlichen Kennzeichen YHO 395 die neueste Getriebe- und GPS-Software aufspielte. Vor allem aber änderte man die Hinterachsübersetzung auf i = 2,31, womit auch Volvo dem Trend zu ellenlangen Achsübersetzungen folgt.

BEIDE TEST-LKW KOMMEN MIT DER LANGEN ACHSE GUT ZURECHT

Das senkt die Drehzahl bei Reisetempo 85 um 160 auf niedrige 1050/min. Zwecks Chancengleichheit ist der 420er mit der gleichen Übersetzung unterwegs.

Wer nun fürchtet, dass die 420 PS und die 2100 Newtonmeter Drehmoment dadurch zum zahnlosen Tiger mutieren, darf beruhigt sein. Was vor allem daran liegt, dass das Drehmoment sehr früh, nämlich bei 860/min, voll nutzbar ist. Zwar lediglich 40/min früher als beim 460er, trotzdem gibt sich der 420er eine Spur elastischer. An Steigungen, an denen der GPS-Tempomat "I-See" (der bei beiden Testfahrzeugen seine Daten noch aus der Cloud bezieht) eine Rückschaltung untersagt, lässt die Schaltelektronik gnadenlos auf 900 Touren abfallen. Der 460er schaltet 50/min früher zurück.

Hilfreich bei solchen Manövern: In beiden Volvos holt I-See am Fuße der Steigung mittels Tempoerhöhung bis zum Begrenzer zusätzlichen Schwung, der oft ausreicht, einen Gangsprung nach unten zu verhindern. Diese Funktion nutzt die neue I-See-Steuerungssoftware auffallend häufiger als die Vorgängerversion. Auf der anderen Seite wird dafür der Freilaufmodus nun deutlich sparsamer eingesetzt ...

Ist eine Rückschaltung unerlässlich, wendet sich allerdings das Blatt: Dann setzt der 460er länger auf Ganghalten als der um 40 PS schwächere Bruder. Ein Nachteil ergibt sich daraus nicht, denn in beiden Fällen übernimmt I-Shift die Fahrstufenwechsel in seiner gewohnt harmonischen wie schnellen Art.

Auch einen Tempovorteil kann der "Große" kaum für sich verbuchen. An den beiden humaneren Messbergen der Testrunde nimmt er dem 420er jeweils vernachlässigbare zwei Sekunden ab, und am 4,5 Kilometer langen und anspruchsvollen Kindinger Berg auf der A 9 sind es lediglich 18 Sekunden. Auch das zugegebenermaßen nicht kriegsentscheidende Beschleunigungsduell bringt für Leistungsfans Ernüchterung: Nicht mal drei Sekunden schneller beschleunigt der 460er sich und den Testauflieger von null auf Tempo 85.

Dabei hat das 460er-Testfahrzeug sogar noch den Vorteil eines um 130 Kilogramm niedrigeren Gewichts auf seiner Seite. Hauptanteil daran hat die gewichtsoptimierte Einblattparabelfederung an der Vorderachse, die verglichen mit der Zweibalgluftfederung des 420er 90 Kilogramm spart. Ein Komfortnachteil offenbart sich dadurch nicht, es ist vielmehr Geschmackssache, ob man die etwas härtere mechanische Federung oder die weicheren Luftbälge bevorzugt. In beiden Fällen federt der FH auf hohem Niveau.

DIE LUFTFEDERN SENKEN SICH IN FAHRT UM 3,5 ZENTIMETER AB

Einen Trumpf kann die teurere Luftfederung aber doch für sich verbuchen: Oberhalb von 60 km/h senkt sich der 420er automatisch um 35 Millimeter ab, was laut Volvo aerodynamische, sprich Verbrauchsvorteile bringen soll. Ob was dran ist, dazu später mehr.

Zunächst möchten wir einmal mehr die elektromechanische Lenkung Dynamic-Steering ans Herz legen, über die der 420er-Testwagen zusätzlich verfügt. Dabei ist die Standard-Steuerung im 460er keinesfalls schlecht, wer aber einmal die elektrische Unterstützung beim Rangieren genießen durfte, will sie nicht mehr missen!

Ebenso empfehlenswert: das duale Batteriesystem, das beim 420er ebenfalls verbaut ist (plus 60 Kilo). Motorstart-Probleme gehören damit laut Volvo der Vergangenheit an, wofür zwei unabhängig voneinander geschaltete Akkusysteme sorgen. Das eine ist lediglich für den Motorstart zuständig. Das andere, in einer Box oberhalb der Starterbatterien am Rahmen montiert, versorgt ausschließlich den Wohnbereich während der Standzeit mit Strom. Laut Volvo stehen auf diese Weise bis zu 50 Prozent mehr Energie für Laptop und Co. zur Verfügung.

Gehen die Volvos nach der Standzeit wieder ihrer Bestimmung nach, gehören beide Göteborger zu den leisesten Lkw am Markt. Insofern stört es nicht weiter, dass es im Globetrotter des 420ers durchschnittlich um 1 dB(A) lauter zugeht als in der baugleichen Kabine des FH 460. Kein Ergebnis schlechterer Geräuschdämmung, sondern den breiten 385/50er- Michelin-Pneus an der Vorderachse des FH 420 geschuldet.

DIE BREITREIFEN VORNE SOLLEN VERBRAUCHSVORTEILE BRINGEN

Die Breitreifen stehen dem Volvo optisch gut, sollen aufgrund der geringeren Walkarbeit durch ihren niedrigeren Querschnitt aber vor allem Verbrauchsvorteile zu den 315/70er-Pneus des 460er bringen. Da immer mehr Hersteller ihre Testfahrzeuge mit den breiten Schlappen vorne schicken, muss wohl etwas dran sein. Wie auch in diesem Fall, denn der stärkere FH muss sich beim Verbrauch geschlagen geben. Der 420er begnügt sich mit 0,15 l/100 km weniger als der FH 460. Dessen Vorteil bei der Durchschnittsgeschwindigkeit: lediglich 0,4 km/h über die gesamte Testdistanz. Dafür verbessert er sich im Vergleich zur Testfahrt in Heft 12/2018 deutlich, und zwar um satte 0,93 l/100 km. Es bestätigt sich einmal mehr: Die Absenkung der Drehzahl durch den Einsatz einer lang übersetzten Hinterachse spart Sprit!

Für Transporte, die nie oder selten an der 40-Tonnen-Marke kratzen, ist die schwächste Leistungseinstellung des D13 dennoch die bessere Option. Sie spart bei Anschaffung und auf der Straße gleichermaßen, was Budget für die eine oder andere Option schaffen sollte. Zum Beispiel den großen Globetrotter XL, die oben erwähnte elektromechanische Lenkung, die ab Werk lieferbare Standklima oder das duale Batteriekonzept. So wird auch der Fahrer mit der 420 auf dem seitlichen Typenschild einverstanden sein.

JB

MOTOR IM KURZURTEIL

Vor allem in der 420-PS-Version zeigt sich der D13-Sechszylinder überdurchschnittlich elastisch, auch Vibrationen sind ihm fremd

Trotz der kräftigen VEB+-Motorbremse ist der Retarder die bessere Lösung

SERVICE UND WARTUNG

Wie bei jedem TRUCKER-Supertest nahm der TÜV SÜV auch die beiden Volvo FH in Sachen Service und Wartung unter die Lupe. Beide Testfahrzeuge weisen ein identisches Wartungskonzept auf und sind spätestens nach 100.000 Kilometern zu servicieren. Der schwedische Hersteller verzichtet bewusst auf längere Intervalle, wie sie mancher Konkurrent ausweist. Denn so genügt dem FH kostengünstiges 10-W40-Standardöl. Beim Getriebe- und Hinterachsöl steht alle 450.000 Kilometer ein Wechsel an. Von Praxisorientierung zeugt der große Kippwinkel der Kabine, was das Arbeiten am Motor erleichtert.

Eigene Wege geht Volvo auch bei der Druckluftkühlung. Diese strömt durch einen um den Hauptventilator gelegten Lüfterring, bevor sie zurück zum Druckluftmodulator geleitet wird. Auf diese Weise spart sich Volvo die ansonsten üblichen Kühlschlangen, die nicht selten wartungsanfällig sind. Einfach und ohne den Einsatz von Werkzeug lassen sich die Leuchtmittel der Hauptscheinwerfer tauschen. Zur Kontrolle des Motoröl-Füllstands steht hinter der verriegelbaren Frontklappe ein Peilstab bereit. Oder man überlässt den Flüssigkeitscheck dem Bordcomputer.

KABINEN-WERTUNG

Der aktuelle FH ist auch schon wieder seit fast sechs Jahren am Markt. Trotzdem wirkt die Optik des Göteborgers immer noch sehr modern. Innen gefallen zusätzlich die wertige Materialauswahl sowie die tadellose Verarbeitung. Die Globetrotter-Ausführung, die beide Testfahrzeuge tragen, als eng zu beschreiben, wird Volvos zweitgrößtem Fahrerhaus nicht gerecht. Verglichen mit den Kabinen des Wettbewerbs, fallen die Platzverhältnisse und Staumöglichkeiten aber kleiner aus. Wir empfehlen daher die zusätzlichen Schränke an der Kabinenrückwand, die weitere 245 Liter bringen. Hier findet auf Wunsch auch eine werksseitig eingebaute Mikrowelle ihren Platz. Für die Matratze des unteren Bettes bietet Volvo verschiedene Härtegrade an; wir raten zur härtesten Ausführung, die immer noch eher weich ausfällt. Viele Funktionen offenbart zusätzlich das optionale Medienpaket, unter anderem mit leistungsstarkem Audiosystem, Internetzugang oder DAB-Radio.

Ja zur langen Hinterachse!

Erstaunlich, wie gut sich der FH 420 gegenüber dem 460er schlägt, in der Motorcharakteristik wirkt er sogar noch ein wenig besser. Überraschend auch, wie gut heutige Motoren mit den langen Hinterachsübersetzungen klar kommen - die hohen und früh anliegenden Drehmomente machen es möglich. Das spart, wie nicht nur dieser Test zeigt, Kraftstoff. Manche Fuhrparkverantwortliche werden aber noch Überzeugungsarbeit seitens der Hersteller benötigen, bis sie sich an solche Achskonfigurationen herantrauen. Ein gespaltenes Verhältnis habe ich zu den Breitreifen auf der Vorderachse. Mag sein, dass sie Sprit sparen, der Fahrkomfort ist aber in jedem Fall schlechter als mit den schmaleren Pneus.

TRUCKER-Tester Wolfgang Obermaier

Test mit Referenz

Jeder Test wird von unserem 38 Tonnen schweren Referenz-Zug, einem Actros 1845 mit Schmitz-Cargobull-Curtainsider, begleitet. Mit diesem Zug haben wir unter guten Bedingungen Verbrauchswerte erfahren. Verändern sich die beim Test, wissen wir, dass der Test-Truck andere Bedingungen hatte. Über das Verhältnis der Verschlechterung/ Verbesserung können wir die Werte der Test-Lkw auf eine einheitliche Basis beziehen. Vorteil: Unsere Daten sind vergleichbar. Wir finden es unseriös, Werte zu vergleichen, die ohne Referenz an verschiedenen Tagen unter wechselnden Bedingungen erfahren wurden. Den Test mit Referenz-Lkw gibt es in der Fachpresse nur bei uns, und er wird auch von der Industrie praktiziert - weil's am genauesten ist! AdBlue-Verbräuche sind anteilig in die Etappenergebnisse eingerechnet.

FAZIT - 420 PS schlagen sich tapfer

Dieser Test bringt zwei Erkenntnisse. Erstens: Eine lange Hinterachsübersetzung ist in den meisten Fällen die bessere Wahl. Und zweitens: Der FH 420 schlägt sich gegen den stärkeren Bruder erstaunlich wacker. Er ist kaum langsamer, aber sparsamer. Allerdings fahren wir unsere Tests auch mit "nur" 32 Tonnen Gesamtgewicht. Ist man mit voller Ausladung unterwegs, dürften sich die Verhältnisse zugunsten des 460er oder gar eines FH 500 verschieben.

TRUCKER-Tester Jan Burgdorf

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