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Mein Fahr-Assistent

06.05.2019 08:00 Uhr
Mein Fahr-Assistent
Erst auf den zweiten Blick fällt auf, dass der neue Actros keine Spiegel hat
© Foto: H. Morlock/G. Grünig

Auf einer Tour nach Barcelona hatte der TRUCKER Gelegenheit, dem teilautonom fahrenden Actros auf den Zahn zu fühlen. Erstes Fazit: Die innovative Spiegel- und Assistenz-Technik funktioniert fehlerlos.

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TESTFAHRZEUG:

Modell: New Actros 1846 LS 4x2

Hubraum: 10.700 cm3

PS (kW): 335 (455) bei 1600/min

Drehmoment (Nm): 2200 bei 1100/min

Leergewicht: 7980 kg (1150 l Diesel, 75 l AdBlue)


Seine Premiere feierte der Actros Modelljahr 2019 bereits auf der IAA 2018 und die ersten Fahrzeuge sollten ursprünglich im April zu den Kunden rollen. Doch wie es so ist bei moderner Technik: Es klappt nicht immer alles, wie es soll. Und ehe sich Mercedes-Benz nach den Erfahrungen der Actros-Einführung 1996 die Blöße gibt, ein Auto mit Fehlern in den Markt zu bringen, verschob man lieber die Auslieferung.

Im Juli soll's dann so weit sein. Für den TRUCKER umso spannender, mit dem Neuen auf eine 1300 Kilometer lange Tour von Wörth nach Barcelona zu gehen und die Technik auf Herz und Nieren zu prüfen. Mit an Bord: der "Chief Engineer" des neuen Autos, Horst Junghans.

DER ERSTE LKW, DER TEILAUTONOM FÄHRT - WENN MAN IHN LÄSST

Der Actros Modelljahr 2019 ist nicht weniger als der erste schwere Lkw, der teilautomatisiert fährt. Will heißen: Unser Test-Truck bremst, gibt Gas und lenkt - sofern man den Autopiloten namens Active Drive Assist aktiviert und sich tatsächlich dem Willen der Elektronik übereignet. Das mit dem Lenken ist übrigens so eine Sache. Der Actros findet - sofern die Fahrbahnbegrenzungslinien für das Kamerasystem eindeutig zu erkennen sind - tatsächlich seine eigene Spur. Wirklich autonom fährt er deshalb aber nicht.

Anfangs irritiert es, dass die Lenkung permanent nachreguliert. Nimmt der Fahrer dann die Hände vom Steuer, weil er das Gefühl hat, der Lkw macht das schon, kommt nach wenigen Sekunden die Aufforderung, dies zu unterlassen und das Kommando wieder zu übernehmen ...

Nach spätestens den ersten 100 Kilometern hat man sich mit dem System arrangiert und legt die Hände nur noch leicht auf. So steuert das Auto mehr oder weniger selbst und "mault" nicht ständig, man möge die Steuerung übernehmen. Kleiner Gag am Rande: Der Fahrer kann über ein Schnellmenü anwählen, ob das Auto zentriert oder aber am rechten oder linken Fahrbahnrand fahren soll. Wer also keine Lust hat, ständig in Spurrillen "herumzueiern", weicht nach einer Seite aus und fährt deutlich entspannter.

WER DEN TEMPOMAT AKTIVIERT, ERLEBT EIN GANZ NEUES FAHREN

In Richtung autonomes Fahren geht das Geschwindigkeitsmanagement des neuen Actros. Tatsächlich nimmt der Lkw selbsttätig Geschwindigkeit heraus, wenn man zum Beispiel die Autobahn Richtung Parkplatz, Mautstation oder Ausfahrt verlässt. Sind Geschwindigkeitsbeschränkungen ausgeschildert, verzögert der Lkw und passt das Tempo an, um beispielsweise passend an einem Kreisverkehr anzukommen. Manchmal gibt's allerdings Irritationen, wenn zum Beispiel das Kartenmaterial auf freier Strecke nicht passt und der Daimler ein Tempolimit befolgt, das gar nicht mehr da ist. "Wir arbeiten daran, diese Fehler durch optimiertes Kartenmaterial zu beseitigen", erklärt Entwicklungschef Horst Junghans. Zumindest muss man dem Auto zugutehalten, dass es nie schneller als erlaubt fuhr.

Um besagtes Geschwindigkeitsmanagement wirklich nutzen zu können, muss der Fahrer erst einmal fünf Parameter richtig konfigurieren: die Strategie, am Berg zu fahren (Geschwindigkeitserhöhung ja/nein), wann an der Kuppe Gas weggenommen wird, den Auslauf hinter dem Berg, die Technik, Unterschwinger zu nutzen und das Auto "auslaufen" zu lassen, sowie ganz neu: das Geschwindigkeitsprofil der Kurvenfahrt.

Letztgenannter Punkt kommt hauptsächlich auf Landstraßen zum Tragen, auf denen der Active Drive Assist wirklich gut funktioniert und je nach Fahrerwunsch dynamisch oder langsam fährt. Ehrlich gesagt bedarf es aber einer ausführlichen Erklärung, um das Fahrmanagement und seine Hintergründe zu verstehen - und erst mit dem richtigen Verständnis kann man die Parameter vernünftig setzen. Eine neue Qualität soll der jetzt verbaute Active Brake Assist 5 bieten. Wir müssen es glauben, denn einen aktiven Test mussten wir Gott sei Dank nicht durchführen. Zumindest im Werbefilm funktioniert die Kombination aus Radarund Kamerasystem perfekt, verzögert den Zug bei erkannter Gefahr bis zum Stillstand und erkennt nun auch Personen oder Hindernisse im unmittelbaren Umfeld vor dem Truck.

Den Themen Bedienung, Spiegel und Armaturen widmen wir uns in separaten Darstellungen (s. Kästen). Was das übrige Fahrzeug anbelangt, hat sich nicht so wahnsinnig viel getan. "Bei der Weiterentwicklung standen für uns die Themen Fahrassistenz und Mirrorcam im Vordergrund, also der Verzicht auf Spiegel", erläutert Junghans. "Deshalb und auch weil wir der Ansicht waren, dass die Optik noch up to date ist, und weil bei der Modellpflege keine unbegrenzten finanziellen Mittel zur Verfügung standen, haben wir uns auf Kleinigkeiten reduziert."

Eine dieser Kleinigkeiten ist das neue Lichtdesign im Fahrerhaus. Tatsächlich lässt sich die LED-Technik von der Intensität und auch den Farben her jetzt viel individueller an diverse Fahrerwünsche anpassen. Stichwort LED: Wer den neuen Actros nicht gleich an den nicht vorhandenen Spiegeln erkennt, hat zumindest in den jetzt typischen "LED-Augenbrauen" ein weiteres Erkennungsmerkmal. Bei Abblend- und Fernlicht setzt Mercedes weiterhin auf Xenon-Technik. Das haben einige Leser moniert. Tatsächlich aber mag LED innovativer sein, die Xenon-Lichtausbeute bei der Nachtfahrt ist dennoch über jeden Zweifel erhaben.

Das gilt leider weiterhin nicht für das Geräuschniveau und die Schaltqualität - denn an beiden Kritikpunkten hat Mercedes-Benz nichts verbessert. Zugegeben ist die Bemängelung des Powershift-3-Getriebes Mäkeln auf hohem Niveau. Aber wenn man sich als Hersteller "Das Beste oder nichts" auf die Fahnen geschrieben hat, muss man sich an Scania und Volvo messen lassen. Und sowohl Opticruise als auch I-Shift - und da sprechen wir noch nicht mal vom "Dual Clutch" - schalten schneller und sanfter. Zumindest die Strategie des Daimler passt. Vor allem in Kombination mit dem "kleinen" Sechszylinder zeigt sich die Auslegung fahraktiv, Gangwechsel in Steigungen erfolgen frühzeitig und am Auslauf ist man als Fahrer geneigt, selbst ein wenig früher hochzuschalten, um den Spritverbrauch zu minimieren.

Echten Nachholbedarf hat Mercedes beim Geräuschniveau. Der Actros ist unabhängig davon, ob 11-, 13- oder 16-Liter-Sechszylinder, das lauteste Auto auf dem Markt. Der Hinweis, dass selbst Iveco und Renault viel leiser sind, mag einer Watschn gleichkommen - aber einer, die verdient ist.

TOP-TORQUE WÜRDE AUCH DEM KLEINEN MOTOR NICHT SCHADEN

Auf der Testfahrt war der Zug auf 33 Tonnen ausgeladen. Damit kommt der 10,7-Liter mit knapp 460 PS gut zurecht. Lohn ist ein mit 24,8 Liter/100 Kilometer sehr angemessener Verbrauch - immerhin erreichen wir trotz anspruchsvoller Topografie mit exakt 80 km/h ein respektables Durchschnittstempo. Trotz Performance-Motorbremse lernt man den Wasserretarder - dessen Probleme jetzt wohl der Vergangenheit angehören - als hilfreichen Verzögerer schätzen.

Was dem Elfliter-Motor aus unserer Sicht fehlt, ist Top-Torque - also die Drehmomenterhöhung um 200 Nm im höchsten Gang. Das würde die Begeisterung für den kleinen Motor erhöhen und ihn ein wenig näher an den 13-Liter heranbringen. Dann könnte man vielleicht auch beim 1846 ohne Bedenken die jetzt verfügbare lange Achse mit i=2,41 verbauen. Das käme dem Verbrauch zugute - ohne das Temperament zu sehr zu zügeln.

Letztlich macht der Actros einen großen Schritt in die Zukunft. Wer sich auf ihn einlässt, erlebt eine neue Dimension des Fahrens. Perfekt ist er (noch) nicht. GG

Mit "ohne" Spiegel: MirrorCam

Als Fahrer gewöhnt man sich schnell an die Monitore und vermisst die Spiegel nicht. Bislang gab es beim Actros große tote Winkel, in denen sich im Kreisverkehr ein ganzer Transporter "verstecken" konnte. Das ist mit MirrorCam Vergangenheit. Der Kontrast bei schlechtem Wetter und bei Dunkelheit ist sehr gut, man sieht viel mehr als bei Standard-Spiegeln. Als Brillenträger (weitsichtig) hat man das Problem, dass das Bild ohne Brille eventuell unscharf ist. Das macht unter Umständen das Tragen einer Gleitsichtbrille nötig. Entschädigt wird man dafür durch einen weiteren Vorteil des Kamerasystems: Das Bild schwenkt bei Kurvenfahrt und beim Rangieren mit, man hat also stets das Heck des Trailers oder Anhängers im Blick. Zusätzliche manuell einstellbare Hilfslinien im Spiegel helfen außerdem die Fahrzeuglänge festlegen zu können. Last, but not least arbeitet der (optionale) Abbiegeassistent zuverlässig. Tote Winkel gibt es übrigens nach wie vor. Ein auf Höhe des linken Vorderrades fahrender Pkw wird leicht übersehen. Da würde ein Spurwechselassistent links helfen ...

Kein-, Ein- und Zweituber

Nein, wir sind nicht gaga und wir sprechen auch nicht von Zahnpasta! Tatsächlich haben die Daimler-Entwicklungsingenieure die Begriffe Ein- und Zweituber (Tube = engl. für Röhre) geprägt und meinen die optionalen Einstellmöglichkeiten der digitalen Anzeigen mit keinem, einem oder zwei digitalen Rundinstrumenten. Für welche Darstellung sich der Fahrer entscheidet, bleibt dem persönlichen Geschmack überlassen (wir zeigen alle drei Varianten rechts). Grundsätzlich raten wir bei der Bestellung des Fahrzeugs zu den jeweils größten Displays - auch wenn diese von Natur aus teurer sind. Der Test-Lkw verfügte über ebenjene großen Displays mit einem 12-Zoll-Monitor als Anzeigeinstrument sowie einem 10-Zoll-Display für die sekundären Funktionen rechts neben dem Fahrer. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein großer Bildschirm ein besser erkennbares Bild liefert. In jedem Fall hat Mercedes einige sinnige Funktionen des Vorgängers übernommen, so lässt sich u.a. der Abstand zum Vordermann und dessen Geschwindigkeit darstellen. Das hilft ungemein bei der Festlegung der eigenen Fahrstrategie und der Einschätzung, wann man gegebenenfalls einen Überholvorgang einleitet.

Eine feine Sache ist die Darstellung der Tages- und Wochenlenkzeit sowie der Ruhezeit direkt im Display. Eventuellen Lenkzeitüberschreitungen lässt sich damit effektiv vorbeugen. Schön auch, dass sich durch einen einfachen Tastendruck wichtige Funktionen (z.B. Ausrichtung des Fahrzeugs in der Fahrspur oder Abstand zum Vorausfahrenden) schnell anwählen lassen. Bei der Darstellung ohne Rundinstrumente rücken die Assistenzsysteme in den Vordergrund. Aus unserer Sicht die beste Darstellung bietet aber der Eintuber (Bild rechts).

Wisch-Bedienung des Smartphones

Beim Bedienkonzept stand klar die Generation Smartphone Pate. Im Lenkrad finden sich zwei Wisch-Drück-Tasten (an deren Bedienung man sich als Neuling erst gewöhnen muss) - links fürs Armaturen-Display, rechts fürs kleinere Info-Display. Der Tempomat sitzt folglich links - woran man sich schnell gewöhnt. Infotainment und Telefon lassen sich mit Schnellbedientasten rechts zackig anwählen. Hauptfunktionen erreicht der Fahrer rechts übers Drücken entsprechender Tasten. Dann geht's via Touch-Screen in die Untermenüs. Nicht alles ist gleich auf Anhieb eingängig. So manche Funktion, die man im aktuellen Modell noch zielstrebig mit dem Drücken von ein, zwei Tasten aktivieren konnte, verlangt jetzt nach zusätzlicher Aktivität. Das ist nicht immer im Sinne einer schnellen Bedienung, weil es durchaus vom Verkehr ablenkt. Allerdings merkt sich der neue Actros viele individuelle Merkmale und parametriert um, sobald der Fahrer seine Karte im Digitacho eingelesen hat. Die bedienung von Powershift ist dagegen gleich geblieben. Schön gelöst ist die automatisierte Feststellbremse. Den vom Vorgänger bekannten "Handy-Schlüssel" gibt es nicht mehr. Der Lichtcheck ist aber auch mit der neuen Version noch möglich.

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