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Supertest Volvo FH 460 Globetrotter: Keep it simple

26.11.2018 08:00 Uhr
Supertest Volvo FH 460 Globetrotter: Keep it simple
Auch mit der leichten Einblatt-Parabelfeder an der Vorderachse bietet der FH ein aktives Fahrwerk
© Foto: Karel Sefrna

Dieser FH 460 fährt ohne die Optionen Einzelradaufhängung, DSG-Getriebe oder Dynamic Steering. Fährt der Flotten-FH deshalb schlechter?

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Bei jedem anderen Hersteller würden die Verantwortlichen über eine solche Zugmaschine kaum Worte verlieren: 460 PS, automatisiertes Getriebe, mittelgroße Fernverkehrskabine und aerodynamische Optimierungen ohne Sonnenblende - dafür mit Seitenverkleidungen und Dachspoiler. Also eine zweckmäßige Zugmaschine ohne Schnickschnack.

Für Volvo ist dieser FH 460 dagegen so etwas wie eine abgespeckte Version, mit der die Göteborger vor allem große Flotten im Auge haben. Die achten bekanntlich vor allem auf günstige Anschaffungspreise beziehungsweise möglichst niedrige Leasingraten. Die zwar technisch raffinierten, aber eben auch teuren Volvo-Schmankerl à la Doppelkupplungsgetriebe, Einzelradaufhängung oder die elektronische Lenkung Dynamic Steering fallen da meist dem Rotstift zum Opfer.

NIEDRIGE LEERGEWICHTE SIND EINE VOLVO-SPEZIALITÄT

Was für Fuhrparkverantwortliche ebenfalls zählt: Was nicht verbaut ist, kann auch nicht kaputt gehen - und gerade bei der Einzelradaufhängung berichten uns mehrere Leser von einem eher hohen Wartungsaufwand ...

Und: Was nicht vorhanden ist, belastet auch nicht die Gewichtsbilanz des Fahrzeugs. Bei diesem Kapitel kann die Testzugmaschine glänzen: Bei 7090 Kilogramm verharrt die Anzeige der Waage, damit darf sich der 460er fast schon als Leichtgewicht bezeichnen.

Wer jetzt Unheil wittert, den können wir beruhigen: Auf Kosten des Fahrers geht das niedrige Gewicht nicht. Das Testfahrzeug bietet mit der Globetrotter-Kabine genügend Platz für mehrtägige, nationale Touren. Auch Annehmlichkeiten wie automatische Klimaanlage, eine 33 Liter fassende Kühlbox mit Gefrierfach, Navigationssystem oder Bi-Xenon-Scheinwerfer mit Abbiegelicht fehlen bei dem "Iced-Mercury-Metallic"-lackierten FH ebenso wenig wie das komplette Sicherheitspaket mit Spurwechselunterstützung, Abstandsregeltempomat und aktiver Fahrermüdigkeitsüberwachung.

Seinen Gewichtsvorteil zieht der FH vielmehr aus den technischen Komponenten, wofür sich die Göteborger Ingenieure nach eigener Aussage auf die Suche nach jedem Gramm machten. Die gewichtsoptimierte Hinterachsaufhängung (minus 95 Kilogramm), die Leichtbau-Stabilisatoren an der Vorderachse (minus sieben Kilogramm) inklusive Einblatt-Parabelfederung anstatt der serienmäßigen Zweiblatt-Lösung (minus 24 Kilogramm) sind da nur einige Beispiele.

Mit 105 Kilogramm schlägt dafür der Voith-Retarder zu Buche, der den Test-FH zusammen mit der VEB+-Motorbremse bergab mit bis zu 1122 PS verzögert. Viel zu viel, um die (inklusive unseres 24 Tonnen schweren Krone-Testrailers) knapp 31 Tonnen leichte Fuhre selbst in steilsten Gefällen problemlos im Zaum zu halten. Trotzdem würden wir die hydrodynamische Dauerbremse immer vorziehen. Der Retarder birgt hohe Sicherheitsreserven, schont Getriebe und Motor und hält die Geräuschkulisse in einem angenehmen Rahmen, weil bergab kein hohes Drehzahlniveau per Rückschaltung aufgebaut werden muss.

Wobei der Volvo auch in der Flottenversion bergauf wie bergab zu den leisesten Lastwagen am Markt gehört. Hier ist die fehlende Sonnenblende übrigens durchaus von Vorteil, auch wenn der FH damit optisch etwas nackt wirken mag. Aber wo keine Blende, da kann sich auch kein pfeifender Fahrtwind verfangen. Zusätzlich wirkt sich das Weglassen der Blende nachweislich positiv auf den Kraftstoffverbrauch aus. Doch dazu später mehr ...

Zunächst einmal stellen wir fest, dass es sich auch mit der Einblattfederung an der Vorderachse gut leben lässt. Das abgespeckte Volvo-Fahrwerk gleitet zwar nicht ganz so unbeeindruckt über Bodenunebenheiten hinweg wie die Serienfederung oder gar die Einzelradaufhängung. Im direkten Vergleich mit manchem Wettbewerber darf der Fahrkomfort aber immer noch als hoch bezeichnet werden.

NUR BEIM RANGIEREN VERMISST DER FAHRER DYNAMIC STEERING

Gleiches gilt für die Lenkung. Der FH lässt sich angenehm direkt dirigieren, und die Steuerung gibt präzise Rückmeldung. Gut gefällt uns auch der riesige Verstellbereich des Lenkrads über die beiden Gelenkwellen. Diese Option sollte man sich auf jeden Fall gönnen, denn so kann sich jeder Fahrer passend hinter dem Volant einrichten.

Beim Rangieren vermisst man die von einem Elektromotor unterstützte "Dynamic Steering", mit der sich das Lenkrad sogar im Stand mit dem kleinen Finger drehen lässt, dann aber doch. Wer viel rangieren oder umsatteln muss, ist mit der dynamischen Lenkung sicher nicht schlecht beraten. Beim Getriebe sehen wir dagegen keinen Bedarf zum Upgrade auf die Doppelkupplungsbox "Double Clutch". Warum? Weil das normale I-Shift-Getriebe seinen Job einfach gut macht und nicht umsonst noch immer das automatisierte Schaltgetriebe am Markt ist, mit dem sich die Konkurrenten messen lassen müssen. Unharmonische Anfahrvorgänge mit Kupplungsruckeln oder unsaubere Schaltvorgänge sind dem Volvo-Getriebe fremd, die Zahnräder rücken in jeder Lebenslage sauber und schnell ein - sowie fast immer mit der richtigen Strategie.

Hier erhält die Steuerungselektronik Schützenhilfe vom GPS-Tempomaten I-See. Das System arbeitet zwar nicht ganz so feinfühlig wie die Systeme von Mercedes-Benz und Scania, die Probleme der Vergangenheit, als I-See regelmäßig den Kontakt zur Datenwolke verloren hat und damit quasi erblindet ist, scheinen die Schweden aber ein für alle Mal ausgemerzt zu haben. Zumindest erlaubte sich I-See auf unserer Testrunde keine Aussetzer.

AN BERGEN VERSUCHT I-SHIFT, RÜCKSCHALTUNGEN ZU VERHINDERN

Stattdessen "spielt" die Elektronik mit der Topografie der Strecke, rollt spritsparend über Kuppen und tritt vor Bergen automatisch aufs Gas, um steigungsbedingte Schaltungen möglichst lange hinauszuzögern oder sogar ganz zu verhindern.

Was oft gelingt. Mit unserem leichten Auflieger auf der Sattelplatte, den alle Zugmaschinen mit weniger als 500 PS beim Test ziehen müssen, überrollt der FH 460 auch die steileren Stiche unserer Runde im höchsten Gang, übrigens sogar den langen und steilen Kindinger Berg auf der A 9 bei Eichstädt.

Wohl wissend, dass der 12,8 Liter große Reihensechszylinder seine 2300 Newtonmeter Drehmoment ab 1000 Touren freisetzt. Selbst diesen Wert zu unterschreiten, verursacht keine Probleme, denn störende Vibrationen sind dem D13-Motor auch im Drehzahlkeller fremd.

Verbrauchsseitig kommen nach unserer 353 Kilometer langen und wie immer mit unserem Referenz-Actros abgeglichenen Testrunde 26,15 l/ 100 km zusammen. Darin eingerechnet ist wie immer der AdBlue-Verbrauch, der sich bei anteilig 3,5 Prozent einpendelte. Damit schafft es dieser Volvo zwar nicht ganz nach vorne, ist aber auch kein Ausreißer, zumal er schnell unterwegs war. Ein Fazit, das sich auf die ganze Flottenlösung aus Göteborg anwenden lässt. Keep it simple, heißt also nicht Verzicht. JB

FAZIT - Es geht auch ohne

Volvos Flottenlösung bedeutet nicht gleichzeitig, Kompromisse eingehen zu müssen. Der FH bietet auch mit dem abgespeckten Federpaket einen guten Fahrkomfort, lässt sich auch ohne elektronisch unterstützte Lenkung verbindlich steuern, und über das I-Shift-Getriebe haben wir uns schon oft lobend ausgelassen. Wenn ich es mir aussuchen dürfte, würde ich mir aber die große Globetrotter-XL-Kabine wünschen.

TESTFAHRZEUG

Modell: Volvo FH 460 Globetrotter
Hubraum: 12.800 cm3
PS (kW): 460 (338) bei 1400-1800/min
Drehmoment (Nm): 2300 bei 1000-1400/min
Leergewicht: 7090 kg (405 l Diesel, 64 l AdBlue)

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