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Trucking in Kuba

25.03.2013 08:00 Uhr
Trucking in Kuba
Kuba gehört zu den letzten kommunistischen Bastionen der Welt
© Foto: Richard Kienberger

Venceremos - wir werden siegen! Dieser Slogan war Markenzeichen Fidel Castros. 53 Jahre nach seinem Sieg wirkt ganz Kuba wie ein Museum.

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Eric macht keinen glücklichen Eindruck. Er sitzt mit zerknittertem Gesicht auf einer ölverschmierten Holzkiste vor seinem Haus an der Hauptstraße von Alquizar im Süden der kubanischen Provinz Artemisa. Am Rand der asphaltierten Fahrbahn hat sich ein schwarzer Teppich ausgebreitet, ein Gemisch aus altem Motorenöl und Diesel. Darauf verteilt liegen Eimer, Schläuche, alte Plastikflaschen, verschiedene Schraubenschlüssel, Lumpen und Bestandteile eines Motors, die nicht den Eindruck erwecken, funktionstüchtig zu sein.

Die Straße ist zugleich die Garage des kubanischen Fuhrunternehmers - und der Grund seines Kummers parkt ein paar Meter weiter. Es ist ein uralter Ford, 63 Jahre alt, rot lackiert und derzeit ersichtlich "außer Betrieb". Unter der Vorderachse war der Ölteppich offenbar so dick, dass einige Schubkarren Sand darüber gekippt wurden.

PRIVATUNTERNEHMER: DER STAAT KONTROLLIERT

Ein wenig privat ist erlaubt auf der sozialistischen Insel der Castros, und alles, was privat betrieben wird, trägt den Zusatz "particular". Eine "casa particular" ist ein Privathaus, auf dem betagten Zweiachser in Alquizar prangt auf den Türen der Schriftzug "uso particular". Eric fährt also auf eigene Rechnung, was zumindest theoretisch die Möglichkeit bedeutet, ein wenig aus dem starren Korsett der Einheitslöhne auszubrechen. Ein dickes neues Auto steht trotzdem bei keinem kubanischen "Privatunternehmer" vor einer neu erbauten Villa: Der Staat schaut genau hin, und wer zu erfolgreich ist, wird an die kurze Leine genommen. Schließlich hat hier einmal eine sozialistische Revolution stattgefunden. Es ist also mehr eine Möglichkeit, sich in einem vergleichsweise starr organisiertem System in einer etwas komfortableren Nische einzurichten. Wenn der Lastwagen funktioniert oder viele Touristen in die private Unterkunft kommen, klappt das in der Regel sogar ganz gut.

Einen 63 Jahre alten Truck, der noch jeden Tag arbeiten muss, findet man in Europa allenfalls nach monatelanger Suche. In Kuba ist das mehr oder weniger normal - die Straßen sind ein Freilichtmuseum mit Exponaten, deren Namen man schon kaum mehr kennt oder zumindest nicht mit dem Bau von Lastwagen verbindet: Studebaker, Plymouth, Fargo, die einst in Westeuropa berüchtigten Roman oder DAC, dazu das komplette Panoptikum sowjetischer Nutzfahrzeuggeschichte. In Kuba wurden niemals Fahrzeuge hergestellt, und doch sind diese Vehikel auf den Straßen der Zuckerinsel irgendwie auch kubanische Autos oder Lastwagen. Denn originale Kombinationen von Chassis, Fahrerhaus, Motor und Getriebe sind genau so selten wie Trucks, die weniger als zehn Jahre auf dem Buckel haben.

KUBAS PROBLEM: ES GIBT NUR ZUCKER UND TABAK

In Erics altem Ford schlägt ein tschechisches Herz - mehr weiß der Transporteur darüber nicht zu berichten. Ob der Motor von Tatra, Liaz oder einem längst vergessenen Hersteller kommt, lässt sich auf die Schnelle nicht feststellen. Dazu müsste man den Oldtimer einer eingehenden Inspektion unterziehen, und danach wäre man mindestens so ölverkrustet wie der selbstfahrende Unternehmer. Wenn der sein Arbeitsgerät wieder zum Laufen gebracht hat, wird er weiterhin um die 300 Kilometer am Tag fahren. In einer prähistorischen Kabine, die so knapp dimensioniert ist, dass darin neben Fahrer, Beifahrer, Lenkrad und Schaltknüppel kaum mehr eine Fliege Platz findet.

Auch der Pritschenwagen, den Joel am Rand einer Straße mit einem kleinen Wasserkübel seiner wöchentlichen Reinigung unterzieht, hat schon ein langes Leben hinter sich. Auf dem Typenschild unter dem Beifahrersitz ist noch das Kürzel CCCP zu finden. Im russischen Alphabet stehen die Buchstaben für UdSSR, die Union der Sozialistischen Sowjet Republik, in deren verkrachter Planwirtschaft ZIL für die Produktion mittelschwerer Lastwagen zuständig war. Kubas einstige Schutzmacht ist seit längerem verblichen, die Nachfolger haben genug eigene Probleme und kümmern sich kaum noch um den Außenposten des Sozialismus in Sicht- und Reichweite der USA.

Kubas größtes Problem dürfte aber kaum die sozialistische Verfassung sein, sondern eher die Tatsache, dass es auf der Insel kaum etwas gibt, was von geopolitischer Bedeutung ist. Sie verfügt über keine nennenswerten Vorkommen an Bodenschätzen, und das wichtigste Exportgut Zucker ist auf dem Weltmarkt auch anderweitig zu bekommen. Was mit ein Grund dafür sein könnte, dass das Handelsembargo der USA seit vielen Jahren unverändert fortbesteht. Auch wenn die Mehrzahl der US-Amerikaner, die via Mexiko nach Kuba kommen, der Meinung sind, dass der Bann inzwischen paranoide Züge angenommen hat. Die US-Bürger dürfen theoretisch nach Kuba reisen, aber dort wegen der umfassenden Restriktionen kein Geld ausgeben, ansonsten riskieren sie zumindest dem Gesetz nach, dafür angeklagt zu werden. Es gibt Länder, die zum Beispiel auf großen Ölreserven sitzen und momentan weitaus weniger harmlos sind wie die República de Cuba, die seit geraumer Zeit vorwiegend mit dem eigenen Überleben beschäftigt ist.

Für die Kubaner hat das Handelsembargo zwar gravierende Folgen, aber in die Knie wird man die Insel damit nicht zwingen. Die Kubaner arrangieren sich jeden Tag mit dem Mangel, was bleibt ihnen auch übrig, und locken mit dem musealen Flair inzwischen zahlreiche Besucher auf ihre Insel. Von denen kommen allerdings die wenigsten in den Genuss einer Reise mit einem der vielen Lastwagen, die ein ganz besonderes Gut transportieren: Menschen. Der größte Teil des "normalen" Busverkehrs auf Kuba wird inzwischen mit privat betriebenen Lastwagen abgewickelt, die für den Personentransport nachgerüstet wurden. Das geht verhältnismäßig einfach: Auf die Ladefläche eines vormaligen Pritschenwagens werden mit Hilfe von Rohren oder Profileisen entsprechende Sitzgelegenheiten geschweißt, dazu Haltegriffe sowie ein Ein- und Ausstieg. Bei Bedarf stockt der Karosseriefachmann die vorhandenen Bordwände auf Stehhöhe auf, schließlich bekommt das Passagierabteil noch ein Dach - und fertig ist der Reisebus nach kubanischer Art. Nur wenige Unternehmer sind bereit, statt roher Metallschienen Sitze einzubauen; schließlich kann man auf einer durchgehenden Bank mehr Ladung unterbringen als auf getrennten Sitzplätzen. Wobei unter Sitz kein Komfortsessel von ISRI oder Grammer zu verstehen ist, sondern allenfalls eine entsprechend geformte Hartschale aus Plastik.

EIN KUBANISCHER TRUCK HAT IMMER VIELE VÄTER

Wenn Joendy Vicet und sein Kollege Juan, von dem niemand den Familiennamen weiß, mit ihrem Truck endlich auf Tour gehen, wäre die Schicht nach europäischer Lesart längst vorbei. Denn das System, nach dem die Privatunternehmer eingesetzt werden, ist kompliziert und nicht leicht zu durchschauen. Sozialistisch-planwirtschaftlich eben. Das Duo kommt aus Camagüey und fährt den größten Truck, der dort am Busbahnhof zu finden ist. Ein Dreiachser, made in Kuba. Wie sollte es anders sein. Das Chassis kommt angeblich von Mack, der Motor von Cummins, der Grill von Freightliner, das Lenkrad von Iveco, die Instrumente im Armaturenbrett von Hino. Und das Loch neben dem Lenkgestänge, das einen freizügigen Blick auf die Fahrbahn erlaubt, ist original kubanisch. Außer den japanischen Bestandteilen scheint alles einigermaßen zu funktionieren, dass der Tacho permanent auf Null steht, stört auch nicht weiter. Eigentümer des Lastwagens sind ein Deutscher und seine kubanische Frau; die Familienverhältnisse auf kubanischer Seite sind verwirrend, aber Joendy gehört irgendwie zur Familie und firmiert als Cousin.

DIE ENDLOSE WARTEREI GEHÖRT ZUM GESCHÄFT

Er darf mit seinem Führerschein einen Truck fahren, aber nur leer. Die Erlaubnis zur Personenbeförderung hat er noch nicht, daher übernimmt Juan - ein Angestellter - die eigentliche Tour. Die Einsätze der privaten Laster mit Busaufbau werden von Mitarbeitern des staatlichen Unternehmens koordiniert, das für den Personentransport zuständig ist. Wer von den "particulares" zuerst am Bahnhof ist, hat die besten Chancen, die begehrtesten Touren zu erhalten. Für die Besitzer des Dreiachsers ist das essentiell - denn in den gigantischen Aufbau passen regulär mehr als 60 Fahrgäste (70 werden es später sein), was den Einsatz auf einer "guten Strecke" erforderlich macht. Alles andere wäre unrentabel. Folglich heißt es früh aufstehen, um Joendy und Juan zu begleiten: Um halb drei Uhr nachts rollen wir vom Hof, gut zehn Minuten später parkt der dunkelgrün gestrichene Dreiachser gegenüber dem Busbahnhof von Camagüey, in dem Parkplätze für zwanzig Fahrzeuge angelegt sind.

Danach wird gewartet. Und zwar stundenlang. Um sieben Uhr rangiert Joendy den Truck in eine der Parkbuchten. Danach passiert - wieder nichts, wenn man vom Plausch mit den ebenfalls wartenden Kollegen absieht. Erst kurz vor Mittag öffnet er die Tür zum Aufbau, die ersten Fahrgäste steigen ein. Etwa eine Stunde danach ist die Ladefläche proppenvoll, um 12.45 Uhr klemmt sich Juan hinter das Iveco-Lenkrad und beginnt, im selbstverständlich unsynchronisierten Getriebe zu rühren.

Die Besatzung muss während der stundenlangen Wartezeit bei ihrem Fahrzeug bleiben, denn es könnte sich ja etwas ändern am Einsatzplan, ein anderer Truck ausfallen oder sich unerwartet eine Möglichkeit ergeben, den Laster-Bus außerhalb des bürokratisch koordinierten Plans rentabel einzusetzen. Was alles nicht passiert an diesem Tag, der Dreiachser wurde für die kurze Tour nach Guàimano um die Mittagszeit eingeplant. 75 Kilometer auf einer mal carretera, auf einer schlechten Straße, wie Juan immer wieder erwähnt. Über zwei Stunden braucht er dafür, der Wind pfeift durch die offenen Fenster, aus dem Radio plärrt Salsamusik, und als wäre das alles noch nicht genug an Lärm, singt der Turbolader so laut, dass das vermutlich noch in der 500 Kilometer entfernten Hauptstadt La Habana zu hören ist. Auf den Stopps steigen Schüler ein und aus, elegant gekleidete Chicas, Soldaten in Uniform und arm aussehende Campesinos mit Macheten am Gürtel. Joendy öffnet und schließt die Tür zum Aufbau, kassiert und sieht zu, dass er wieder auf den Beifahrersitz kommt. Zwei Stunden dauert die Hinfahrt auf der Rumpelpiste. In Guàimano wendet Juan den Truck, dessen Aufbau etliche Meter über die Hinterachsen hinausragt, und kauft sich auf der anderen Straßenseite ein Eis. Fünfzehn Minuten Pause sind angesagt, mehr als 45 werden es - man weiß ja nie so genau in der Karibik. Im tropischen heißen Klima zerfließt auch die Zeit. Und schließlich bedeutet jeder Passagier mehr auch ein paar Pesos mehr am Ende des Tages..

DER AUFBAU DES TRUCKS IST LÖCHRIG WIE EIN SIEB

Für die Rückfahrt von Guàimano nach Camagüey interessieren sich trotzdem nur wenige Fahrgäste. Es ist also genug Platz übrig, um sich einem kubanischen Härtetest zu unterziehen. Für die Koordinaten sorgen eine wie erwähnt schlechte Straße, dicke Blattfederpakete, ausgeschlagene Stoßdämpfer und ein direkt mit dem Aufbau verschweißtes Vierkanteisen, dass die Sitzbank darstellt: Nur wer schon einmal auf der Ladefläche eines Baustellenkippers sitzend über einen Feldweg geholpert ist, kann dieses Gefühl nachvollziehen: Wenn der Sitzkontakt verloren geht und wenig später ein harter Schlag die Wirbelsäule staucht. Als es zu regnen beginnt, zeigt sich, dass der Aufbau löchrig ist wie ein Sieb. Schräg gegenüber hält sich eine unübersehbar hochschwangere Frau den Bauch, und dass nicht einige Kilometer vor dem Ziel das Protestgeschrei eines neugeborenen Babys den Höllenlärm der Eisenkiste übertönt, ist eigentlich unerklärlich.

Kurz vor sechs Uhr abends springt Juan am Parque Casino in Camagüey aus dem Fahrerhaus, Joendy übernimmt wieder und bringt den Truck nach Hause. Nachdem der Motor unterwegs noch mehr Ruß gespuckt hat als in Kuba allgemein üblich, wird auf dem Hof die Haube des Langschnauzers hochgeklappt und der Dieselfilter ausgebaut. Gegen halb sieben Uhr - inzwischen ist es schon wieder dunkel geworden - macht sich der kubanische Trucker auf den kurzen Heimweg in seine Wohnung. Seine Schicht ist zu Ende - nach sechzehn Stunden. Wenig später beginnt das Spiel von Neuem, und die Privatunternehmer hoffen, dass dann vielleicht wieder einmal eine Fahrt nach Las Tunas herausspringt. Diese Strecke ist doppelt so lange und die Straße besser: Weniger Verschleiß bei höheren Einnahmen, das ist eine kapitalistische Rechnung, die auch im sozialistischen Kuba gut aufgeht.

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