Alkoholisiert hinters Lenkrad? Kommt nicht infrage, werden jetzt viele Fahrer abwinken. Und so sollte es auch sein. Die Realität auf deutschen Straßen scheint aber eine andere zu sein: Nach Alkohol-Großkontrollen im Januar in verschiedenen Bundesländern - es wurden jeweils über 1000 Lkw-Fahrer kontrolliert - meldete die Verkehrspolizei Hunderte Fahrer unter Alkoholeinfluss. Kontrolliert wurde auf Rastanlagen zum Zeitpunkt Sonntagabend, kurz vor Ende des Lkw-Fahrverbots.
In Hessen waren von 1200 Fahrern 190 alkoholisiert, und 79 von ihnen wurde die geplante Abfahrt untersagt. Ein ähnliches Bild in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg: Den Rekordwert mit 3,5 Promille in der Atemluft stellte hier ein polnischer Lkw-Fahrer auf. Eigentlich wollte er gegen 9 Uhr am nächsten Morgen weiterfahren - das wurde untersagt: Ein erneuter Test zu dieser Zeit ergab noch immer einen Wert von über 1,7 Promille. Auf den Parkplätzen in Rheinland-Pfalz waren in der Zeitspanne zwischen 18 und null Uhr von 238 kontrollierten Fahrern 68 alkoholisiert. 25 von ihnen hatten mehr als 1,1 Promille. Allen Betrunkenen wurde die Fahrt untersagt und Führerschein, Fahrzeugschein und die Frachtpapiere beschlagnahmt. Wegen der kalten Witterung durften sie die Lkw-Schlüssel behalten.
Unter den Ertappten waren offenbar besonders viele Fahrer aus Osteuropa. "Das Kontrollergebnis erhärtet die Annahme, dass sieben bis neun Prozent der osteuropäischen Lkw-Fahrer sonntags vor Fahrantritt alkoholisiert sind", erklärte Polizeidirektor Dieter Schäfer, Chef der Verkehrspolizei Mannheim. Schäfer spricht sich dafür aus, dass sogenannte Alkohol-Interlocks (kurz: Alkolocks) bei Lkw-Fahrern, die auffällig geworden sind, weil sie zu tief ins Glas geschaut haben, künftig Pflicht werden. "Das würde die Gefahr von Trunkenheitsunfällen deutlich reduzieren."
Sind überall auf unseren Straßen unzählige betrunkene Ausländer mit ihren tickenden Lkw-Bomben unterwegs? Angesichts der Kontrollen der letzten Wochen könnte dieser Stammtischparolen-taugliche Eindruck entstehen. Ein Blick auf die aktuellen Unfallzahlen im Bereich Güterverkehr gibt Klarheit: Laut Statistischem Bundesamt gab es 2017 in Deutschland rund 13.500 Verkehrsunfälle mit Personenschaden, bei dem mindestens einer der Beteiligten (ohne Beifahrer) durch Alkohol beeinträchtigt war. Etwa zwei Drittel dieser Unfälle passieren innerorts. In insgesamt 382 Fällen (2,8 %) waren Lkw-Fahrer beteiligt. Wie viele davon kamen aus dem Ausland? Das ist nicht erfasst. Der Anteil gebietsfremder Fahrzeuge ab 7,5 Tonnen in Deutschland liegt jedenfalls bei 42 Prozent.
KEINER KANN ES JE UNGESCHEHEN MACHEN
Insgesamt sind die Alkoholunfallzahlen seit einigen Jahren rückläufig - zum Glück. Dennoch: Jeder Unfall ist einer zu viel, ob mit einem Lkw oder Pkw. Im Jahr 2017 starben 231 Menschen auf der Straße, weil Alkohol im Spiel war, und 4530 wurden schwer verletzt. Niemand kann diese Toten zurückholen, niemand kann den Unfallverursacher jemals von seiner Schuld befreien, und keine Versicherung wird je die volle Haftung für so einen Unfall übernehmen.
Obwohl jeder Führerscheininhaber gelernt hat, dass Fahren und Trinken nicht zusammengehören, gibt es immer wieder dasselbe Problem: Wer getrunken hat, ignoriert auftretende Unsicherheiten, und er schätzt seine Fahrtüchtigkeit höher ein, als sie ist. Eine Umfrage des Deutschen Verkehrssicherheitsrates DVR aus dem Dezember 2018 bestätigt: Jeder vierte Autofahrer würde bedenkenlos bei einer Party ein, zwei Bier trinken und sich dann ans Steuer setzen.
ALKOLOCKS FÜR AUFFÄL-LIGE KRAFTFAHRER
Die Experten beim diesjährigen Verkehrsgerichtstag empfehlen - wie Verkehrspolizist Schäfer - Alkolocks, um Alkoholfahrten einzudämmen (s. Kasten oben). Viele aus der Branche befürworten dies, wie der TÜV, der ADAC oder der DVR. Dessen Sprecherin Julia Frohman sagt: "Anders als das Fahrverbot oder der Entzug der Fahrerlaubnis, hat das Programm einen erzieherischen Effekt. Das finden wir gut." Zustimmung auch vom Bund gegen Alkohol und Drogen im Straßenverkehr e.V. BADS: "Der Einsatz in anderen Ländern zeigt, dass diese Programme zu einem beachtlichen Rückgang der alkoholbedingten Unfälle mit Todesfolge führen."
NULL-PROMILLE-GRENZE FÜR ALLE LKW-FAHRER?
Kurz nach den Ergebnissen der letzten Großkontrollen sprach sich der Unternehmensverband Logistik Schleswig-Holstein für eine Verschärfung der Promillegrenze für Fahrer im Transportwesen aus. "Die Tatsache, dass vor allem Fahrer von osteuropäischen Unternehmen wochenlang unterwegs und von ihren Familien getrennt sind, ist durchaus eine große Herausforderung und Belastung", so Geschäftsführer Dr. Thomas Rackow, "aber der Griff zur Flasche sollte kein Ausweg sein". Nach Ansicht des Verbandes kann es nur eine Lösung geben: die 0,0-Promille-Regelung auf die gesamte Branche auszuweiten. Für Schleswig-Holstein hat der Verband tarifrechtlich geregelt, dass bei Alkoholkonsum während der Arbeitszeit eine fristlose Kündigung des Arbeitnehmers möglich ist.
0,0 Promille für alle Fahrer wäre jedenfalls eine klare Ansage. Vielleicht suggerieren ja die "erlaubten" 0,5 Promille so manchem, dass es erlaubt sei, "ein wenig" zu trinken und sich dann ans Steuer zu setzen. Obwohl auch mit weniger Promille eine relative Fahruntüchtigkeit angenommen und der Schein entzogen werden darf. Jedenfalls dann, wenn es Beweisanzeichen gibt: das Erscheinungsbild, eine verwaschene Sprache oder ein Unfall.
Der DVR plädiert schon seit Jahren für ein absolutes Alkoholverbot - für Fahrzeugführer aller Klassen. "Mit dessen Umsetzung besteht die Chance, die Zahl der Getöteten und Schwerverletzten deutlich zu senken", ist Hauptgeschäftsführer Christian Kellner überzeugt. "Es geht um die klare Regel: Wer fährt, trinkt nicht, und wer trinkt, fährt nicht." Nach dem Vorschlag des DVR sollte Paragraf 24a des Straßenverkehrsgesetzes wie folgt neu gefasst werden: "Ordnungswidrig handelt, wer im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt, obwohl er unter der Wirkung alkoholischer Getränke steht." Eine Strafbewehrung könnte dann ab 0,19 Promille erfolgen, denn erst ab einem solchen Wert lässt sich Alkohol im Blut nachweisen.
MEHR PROMILLESÜNDER ZUR MPU VERPFLICHTEN
Ein weiterer Anstoß kommt vom Interessenverband der technischen Überwachungsvereine VdTÜV. Er schlägt vor, die Promillegrenze für die Anordnung einer MPU von jetzt 1,6 auf 1,1 Promille abzusenken. Eine repräsentative Umfrage im Auftrag des Verbandes habe ergeben, dass 73 Prozent der Bundesbürger ein strengeres Vorgehen gegen schwere Alkoholsünder fordern und eine solche Absenkung befürworten würden.
Richard Goebelt, Bereichsleiter Fahrzeug und Mobilität beim VdTÜV: "Fahrer mit mehr als 1,1 Promille im Blut sind absolut fahruntüchtig. Die MPU ist ein wirksames Instrument, um bei Alkoholfahrern eine nachhaltige Verhaltensänderung zu bewirken."
Derzeit wird etwa jeder zweite MPU-Teilnehmer negativ beurteilt. Die andere Hälfte darf wieder fahren, und 80 Prozent dieser Fahrer bleiben abstinent. Nach der Idee des Verbands sollen künftig die 1,1- bis 1,59-Promille-Sünder mithilfe eines Alkolock-Programms die Möglichkeit haben, ihre Sperrfrist bis zur Wiedererlangung der Fahrerlaubnis zu verkürzen, eine verkehrspsychologische Beratung bekommen, "und am Ende muss die MPU stehen", so Goebel. Denn hier setzen sich die Teilnehmer mit ihren Trinkgewohnheiten auseinander, entwickeln ein Problem- und Risikobewusstsein und lernen, wie sie ihr Verhalten ändern können - und darauf kommt es ja an.
SK
Infos, Selbsttests, Hilfe
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzGA): https://www.kenn-dein-limit.de/
Deutscher Verkehrssicherheitsrat (DVR) https://www.dvr.de/alkohol/
Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) https://www.dhs.de/
Bund gegen Alkohol und Drogen im Straßenverkehr (BADS) https://www.bads.de/