Als Zollfahnder und Ermittler des Bundeskriminalamts (BKA) am 14. April in Bremerhaven eine aus Ecuador ankommende Ladung ins Visier nehmen, ahnen sie noch nicht, dass sie einen Volltreffer landen würden. Doch bei der Kontrolle der 20 Seefrachtcointainer finden sie versteckt zwischen Bananenkisten etliche Reisetaschen. Sie sind gefüllt mit einem weißen, kristallinen, geruchlosen Pulver: 120 Kilogramm Kokain.
Diese Fundmenge ist außergewöhnlich hoch. Im gesamten Vorjahr wurden etwa im Hamburger Hafen 427 Kilogramm und bundesweit 1314 Kilogramm Kokain voll Zoll und Polizei sichergestellt. Die Masche der Schmuggler ist hingegen nicht ungewöhnlich. Immer wieder wird Kokain versteckt zwischen legalen Waren auf dem Weg des gewerblichen Güterverkehrs nach Deutschland transportiert. Im Januar waren in Berliner Aldi-Filialen 140 Kilo des Rauschgifts in Bananenkartons gefunden worden. Schwarzmarktwert: sechs Millionen Euro! Der geschmuggelte Stoff war über den Hamburger Hafen und LKW zu Aldi gelangt.
KOMPLIZEN VERSCHAFFEN SICH ZUGANG ZU CONTAINERN
Die Liegezeit der Container in Europa nutzen hiesige Abnehmer oder Zwischenhändler, um die Drogen in ihren Besitz zu bringen. Entweder durch Komplizen, die Zugang zu den Containern haben - oder man knackt die Transportbehältnisse einfach.
Der Rauschgiftschmuggel auf dem Seeweg nach Deutschland ist jedoch eher die Ausnahme, wenn auch mitunter beträchtliche Mengen transportiert werden. Weitaus häufiger nutzen die Schmuggler Routen auf dem Landweg - am häufigsten über die tschechische oder niederländische Grenze. Ein Teil des Rauschgifts gelangt dabei per LKW zu uns - ähnlich wie im oben beschriebenen Fall in oder hinter einer Tarnladung versteckt.
GEGEN DEN ORGANISIERTEN HANDEL KAUM EINE CHANCE
Egal, welche Methode zum Einsatz kommt: Die Schmuggler agieren zunehmend cleverer. Und sie werden immer dreister. Zwar hat der Zoll die Kontrollen in den vergangenen Jahren deutlich verstärkt. Dennoch haben die deutschen Behörden kaum eine Chance, allen verdeckten Drogenlieferungen nach Deutschland und Europa auf die Spur zu kommen. Pro Jahr treffen allein in Hamburg zehn Millionen Seecontainer ein. Sie werden aus Kapazitätsgründen nur stichprobenartig kontrolliert. Am Ende, schätzen Fachleute, bleiben mutmaßlich sehr große Mengen der unerlaubt eingeführten Betäubungsmittel unentdeckt.
Wenn Drogen gefunden werden, hat das natürlich Folgen für die Beteiligten in der Transport kette - mitunter sogar strafrechtliche Konsequenzen. "Das Risiko, dass der Zoll auch gegen den Spediteur, den von ihm beauftragten Transportunternehmer und dessen Fahrer ermittelt, besteht immer", erklärt Sylvain Lermen, Rechtsanwalt in der Kanzlei Obst und Lermen in Koblenz. Sie gehörten bei einem Drogenfund im Frachtschiff oder LKW nun einmal zum Kreis der Verdächtigen. "Es gibt mehrere Personen, die versucht haben könnten, das Rauschgift an den Strafverfolgungsbehörden vorbei einzuführen: Zum Beispiel der Fahrer, der Reeder oder Dritte", sagt der Jurist. Aufgabe der Beamten sei es dann, Beweise zu finden, um die Täter überführen zu können.
LAUT GESETZ IST LEDIGLICH VORSATZ STRAFBAR
"Die Ermittler des Zolls, der Polizei oder der Staatsanwaltschaft müssen dem Speditions- oder Transportunternehmer aber bedingten Vorsatz nachweisen können, weil laut Gesetz nur wissentliche und gewollte Handlungen strafbar sind", sagt Norbert Drude, Präsident des Zollkriminalamtes (ZKA) Köln. Grob fahrlässige Handlungen wie etwa die Vernachlässigung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätten strafrechtlich hingegen keine Folgen, versichert er.
"Das Betäubungsmittelgesetz sieht bei der unerlaubten Einfuhr von nicht geringen Mengen von Betäubungsmitteln eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren vor", erklärt Lermen. Je nach Schwere ihres Vergehens müssten Drogenschmuggler mit bis zu 15 Jahren Gefängnis rechnen. Der Mengenbegriff orientiert sich zwar am Wirkstoffgehalt, den Gutachter ermitteln müssen. "Bei Lieferungen im Kilobereich handelt es sich aber so gut wie immer um nicht geringe Mengen", erläutert Lermen.
GEFÄLSCHTE FRACHTPAPIERE FÜR DIE SPEDITEURE
"In dem Moment, in dem wir einem Fahrer oder einem Reeder die Kenntnis nachweisen können, dass er Rauschgift transportiert, wird er strafrechtlich verfolgt und in diesem Zusammenhang häufig auch festgenommen", bestätigt Wolfgang Schmitz vom ZKA. Er erinnert sich an einen Fall, in dem die Täter aus dem Ausland stammten und in Hamburg eigens ein Transportunternehmen gegründet hatten, um verdeckt Drogendeals abwickeln und das Rauschgift in alle möglichen Staaten in Europa weitertransportieren zu können.
"Hier handelte es sich aber um organisierte Kriminalität", erklärt der Zollfahnder. Vergleichbare Strukturen gäbe es im deutschen Transport gewerbe nicht. "Die meisten Unternehmen wissen gar nicht, dass Schmuggler ihnen Rauschgift untergeschoben haben." Für Güterverkehrsunternehmen - bzw. auch deren Fahrer - ist es recht schwierig, Schmuggelware zu erkennen: Die Spediteure bekommen meistens gefälschte Frachtpapiere ausgehändigt. Und die Angestellten des Transporteurs oder des Reeders können anhand der Verpackungen und Gebinde nur bedingt nachvollziehen, womit sie es genau zu tun haben. Schmitz beruhigt deshalb: "Wenn wir keinen Anhaltspunkt haben, dass Spediteur, Transporteur oder Fahrer etwas von den Drogen mitbekommen haben, sind wir mit unseren Ermittlung schnell durch."
Anders sehe das zum Beispiel aus, wenn der Zoll die Handynummer des Abnehmers in der Anrufliste des Fahrers findet, ungeplante Zwischenstopps feststelle, ein Spürhund anschlage oder sich beim Röntgen konkrete Hinweise auf Verstecke im LKW ergeben.
VERZÖGERUNGEN MÜSSEN HINGENOMMEN WERDEN
Bei einer Kontrolle hat der Zollverantwortliche eine Mitwirkungspflicht. "Das heißt, die Behörden dürfen die der zollamtlichen Überwachung unterliegenden Waren in dem ihnen notwendig erscheinenden Rahmen auf Einhaltung der zum Umgang mit ihnen erlassenen Vorschriften und Auflagen prüfen", erklärt Schmitz.
Um die Prüfung der Waren zu ermöglichen, muss das Transportmittel für eine bestimmte Zeit zur Verfügung gestellt werden. Die am Transport beteiligten Unternehmen müssen Verzögerungen also dulden. Nicht hinnehmen müssen sie hingegen Schäden an der legalen Ware oder am Fahrzeug. "In den Fällen, in denen der Zoll trotz eindeutiger Hinweise nichts findet und im Zuge der Prüfung etwas beschädigt, kann man unter Umständen Schadensersatz verlangen", erklärt Zollfahnder Schmitz.
Lassen sich die Zweifel an der Unschuld des Spediteurs, Transporteurs oder Fahrers nicht ausräumen, wird ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. Das ist in der Regel mit Durchsuchungen und der Beschlagnahme von Gegenständen oder Unterlagen verbunden. Die Betroffenen haben während dieses Ermittlungsverfahrens das Recht, ihre Aussage zu verweigern oder sich durch einen Anwalt vertreten zu lassen.
IM ZWEIFEL BESCHLAGNAHMT DER ZOLL DEN GANZEN LKW
Wenn sich Drogen bis unter die Decke stapeln oder Rauschgift in einer Tarnladung versteckt ist, dann beschlagnahmt der Zoll meist das gesamte Transportmittel. Bis zum Abschluss der Ermittlungen kann es Wochen oder Monate dauern, in komplexen Einzelfällen sogar Jahre. Je nach Dimension des Drogenschmuggels können die Beamten den Fahrer in Untersuchungshaft nehmen, sofern Verdunklungsoder Fluchtgefahr bestehen. "Finden wir wie in Bremerhaven einzelne Reisetaschen mit Kokain zwischen Bananenkisten, dann nehmen wir nur die Schmuggelware heraus und die restliche Ladung kann kurz danach weitertransportiert werden", erklärt ZKA-Präsident Drude.
Größerer Überzeugungsarbeit bedürfe es bei den Ermittlungen nur selten. "Bei einem Verdacht lassen sich die meisten freiwillig darauf ein, dass der Zoll den Transport der Schmuggelware bis zum Empfänger überwacht und begleitet, um sich selbst nicht zu belasten und ins Gerede zu kommen", erzählt der ZKA-Chef.
Umgekehrt ist der Zoll in vielen Fällen auf die Mithilfe aus dem Güterverkehrsgewerbe angewiesen, damit die Hintermänner etwaige Observationen nicht mitbekommen und später dingfest gemacht werden können. "Insgesamt funktioniert die Zusammenarbeit sehr gut", resümiert ZKA-Präsident Drude.
UNTERNEHMEN HELFEN BEI DER AUFKLÄRUNG
Damit dies so bleibt und Schmuggler die Transportkette in Zukunft seltener stören, setzt das ZKA auf Prävention. "Wir arbeiten zum Beispiel bei Aufklärungskampagnen mit den Branchenverbänden und den Industrie- und Handelskammern zusammen", sagt Schmitz. Er rät Güterverkehrsunternehmen, sich vor dem Abschluss neuer Geschäftsbeziehungen zunächst über den Auftraggeber zu informieren. "Außerdem sollte man stutzig werden, wenn ein Kunde außerhalb des üblichen Rechnungsweges in bar bezahlt, unlogische Routen fordert oder Transportmittel und Fahrer ungewöhnlich oft wechseln möchte", betont der ZKA-Ermittler.