Herr Bühler, wie schneiden die Nutzfahrzeuge im TÜV-Report 2025 bei der technischen Sicherheit ab?
Nach weitgehend stabilen Ergebnissen im letzten Report vor zwei Jahren haben sich die Werte jetzt verschlechtert: 20,4 Prozent aller Nutzfahrzeuge sind in den Jahren 2023/2024 mit erheblichen oder gefährlichen Mängeln bei der Hauptuntersuchung durchgefallen – immerhin eine Verschlechterung um 0,8 Punkte. Einen so deutlichen Anstieg der Mängelquote hatten wir bisher noch nicht. Und wir haben eine neue Problemklasse.
Welche ist die neue Problemklasse?
Schwere Lkw ab 18 Tonnen schneiden mit einer Mängelquote von 21,9 Prozent erstmals schlechter ab als die Kleintransporter bis 3,5 Tonnen mit 21,5 Prozent. Die leichten Transporter werden bei Lieferdiensten und Handwerkern auf Kurz- und Mittelstrecken, viele im Stop-and-go-Betrieb, stark beansprucht. Da verwundern zahlreiche Mängel nicht. Schwere Lkw sind auf Langstrecken unterwegs, werden tendenziell besser gewartet und häufiger geprüft. Trotzdem hat sich die Mängelquote um zwei Prozentpunkte verschlechtert.
Woran liegt das schlechte Abschneiden der schweren Lkw?
Da kommt einiges zusammen. Das Durchschnittsalter der Lkw steigt, Sattelzüge und schwere Brummis werden länger gefahren. Das spricht einerseits für eine höhere Langlebigkeit. Andererseits beobachten wir eine Investitionszurückhaltung bei Speditionen und Betreibern von Fuhrparks – die Neuzulassungen von Lkw größer 3,5 Tonnen waren im vergangenen Jahr rückläufig. Jeder neue Lkw ersetzt in der Regel einen älteren, der anfälliger für Mängel und Reparaturen ist.
Ist die schwache Wirtschaftslage der Grund für die schleppenden Investitionen?
Das ist sicher ein Grund. Der Wettbewerbsdruck in Europa ist nach wie vor hoch, die Konjunktur lahmt. Hinzu kommt: Die Antriebswende führt zu Unsicherheit in der Transportbranche. Während sich bei Pkw die Anschaffungspreise angleichen, sind die Unterschiede bei Lkw zwischen Verbrennern und vergleichbaren E-Modellen noch sehr hoch. Das Angebot ist zwar vorhanden, aber noch nicht so breit. Entscheidend ist allerdings, wie wirtschaftlich E-Nutzfahrzeuge im laufenden Betrieb sind. Das ist für viele Unternehmen schwer einzuschätzen. Ein weiterer Faktor: die Ladeinfrastruktur.
Für Pkw gilt die Ladeinfrastruktur in Deutschland inzwischen als gut.
Das sieht für E-Lkw noch etwas anders aus. Zunächst müssen Fuhrparkbetreiber in eine eigene Infrastruktur investieren, um ihre Fahrzeuge zu laden. Und es muss ein Schnellladesystem entlang der Autobahnen geben. Eine entsprechende Ausschreibung für den Aufbau von Megawattladern entlang der Autobahnen läuft. Es wird aber noch einige Jahre dauern, bis das Netz steht. Hier brauchen wir mehr Tempo.
Was kann die Politik noch tun, um die Antriebswende bei Nutzfahrzeugen zu fördern?
Eine stärkere bundesweite Förderung wäre gut. Derzeit gibt es nur einige Landesprogramme und komplizierte EU-Programme. Sehr wichtig ist aus unserer Sicht, auf EU-Ebene weiterhin emissionsfreie schwere Nutzfahrzeuge von Maut- und Benutzungsgebühren zu befreien. Europaparlament und Europäischer Rat müssen das schnell entscheiden, sonst läuft die entsprechende Ausnahmeregelung aus. Planungssicherheit hat die Transportbranche derzeit nicht.

„Einen so deutlichen Anstieg der Mängelquote hatten wir bisher noch nicht. Zudem gibt es mit den Lkw über 18 Tonnen eine neue Problemklasse.“
Dr. Joachim Bühler, Geschäftsführer TÜV-Verband e. V.
Zurück zum TÜV-Report. Gibt es Hinweise, wie elektrobetriebene Nutzfahrzeuge bei der HU abschneiden?
Für belastbare Aussagen ist die Zahl der Prüfungen noch zu gering. Aus dem Pkw-Bereich wissen wir, dass es bei Elektrofahrzeugen häufig Mängel an den Bremsen gibt, weil diese wegen der Energierückgewinnung, der Rekuperation, zu wenig beansprucht werden. Und bei einigen Modellen leiden die Achsaufhängungen aufgrund des hohen Gewichts der Antriebsbatterien. Das werden wir uns auch bei Nutzfahrzeugen genau ansehen.
Welche Mängel treten generell besonders häufig auf?
Mit dem Fahrzeugalter nehmen Mängel an den Achsaufhängungen zu. Schon nach fünf bis sechs Jahren wird Ölverlust ein Thema. Austretendes Öl belastet die Umwelt und wirkt bei einem Unfall oder Defekt brandbeschleunigend. Der Klassiker sind Mängel an der Beleuchtung, vor allem der hinteren. Sichtbarkeit ist enorm wichtig für die Verkehrssicherheit. Da diese Mängel leicht zu erkennen sind, gilt es, das Bewusstsein dafür bei Haltern und Fahrern zu schärfen.
Wie kann das gelingen?
Es gibt schon seit Jahrzehnten die Aktion „Licht-Test“ für Pkw im Oktober, an der auch die TÜV-Organisationen teilnehmen. Ähnliches könnten wir mit Werkstätten, Branchenverbänden und anderen Stakeholdern für Nutzfahrzeuge auf die Beine stellen. Ziel könnte sein, Beleuchtungsmängel bis zum nächsten Report um die Hälfte zu reduzieren. Das ist gut für die Sicherheit und erspart den Haltern die Nachprüfung.

Wie steht es um die elektronischen und digitalen Systeme von Lkw?
Assistenzsysteme sind heute essenziell für die Verkehrssicherheit. Notbremsassistenten verhindern oder lindern die verheerenden Auffahrunfälle an Stau-Enden, Abbiegeassistenten schützen Radfahrer und Fußgänger an Kreuzungen und Müdigkeitswarner helfen gegen den berüchtigten Sekundenschlaf. Die Prüforganisationen müssen in der Lage sein, Funktion und Wirkung dieser Systeme über die gesamte Lebensdauer der Fahrzeuge zu prüfen.
Ist das bisher nicht der Fall?
Nur zum Teil. Mit dem HU-Adapter bekommen wir Zugang zur Bordelektronik von Lkw und Anhängern. Allerdings haben wir keinen Zugriff auf alle sicherheitsrelevanten Daten, um zum Beispiel die Wirkung von Assistenzsystemen oder den Zustand der Antriebsbatterie bei E-Lkw beurteilen zu können. Hier muss der Gesetzgeber dringend handeln, damit wir auf dem Weg zur Realisierung der „Vision Zero“ mit null Verkehrstoten vorankommen.
Vielen Dank für das Gespräch!