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Tachomanipulation: Wer hat an der Uhr gedreht?

12.09.2015 08:00 Uhr
Tachomanipulation: Wer hat an der Uhr gedreht?
Zunehmend werden digitale Tachografen manipuliert
© Foto: VDO

Der Digi-Tacho ist ein unbestechlicher Zeuge. Einige, die mit den Lenk- und Ruhezeiten nicht klarkommen, manipulieren. Das BAG realisiert eine Zunahme der Delikte.

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Erst kürzlich rief das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) die neue Abteilung 6 für Kontrolldienste ins Leben. Mit dem neuen Referatsleiter Straßenkontrollen, Hans-Gerhard Pernutz, unterhielten wir uns zum Thema Tachomanipulation.

TRUCKER: Herr Pernutz, wie wichtig ist dieses Thema für das BAG?

Hans-Gerhard Pernutz: Das Thema nimmt beim BAG hohen Stellwert ein. Wir kontrollieren im Bereich der Manipulationen auf Basis der Kontrollrichtlinie 22/2006 sowie der Empfehlung der Kommission aus dem Jahr 2009 und mit zehn Prozent aller Kontrollaktivitäten übererfüllen wir unsere Quote sogar.

TR: Sind andere Länder weniger beflissen, wenn es um Lkw-Kontrollen geht?

Pernutz: Es gibt unterschiedliche Philosophien. Einige Länder haben teilweise weniger Kontrollen, dafür gibt es dort aber härtere Strafen. Grundsätzlich ist es schwierig, Zahlenvergleiche über die Kontrollen zu machen, denn wir haben innerhalb Europas unterschiedliche Rechtssysteme und kaum vergleichbare Standards.

TR: Also auch in diesem Aspekt kein "einig Europa"?

Pernutz: Wir versuchen auf jeden Fall, durch europäische Kooperationen wie TISPOL oder Euro Contrôle Route (ECR) einen Austausch zu erreichen und einheitliche Kontrollstandards zu definieren. In ECR sind 14 EU-Länder direkt beteiligt, vier haben Beobachterstatus. Dazu gibt es geschlossene Arbeitsgruppen für Behörden und offene Treffen, bei denen wir uns unter anderem mit Tachoherstellern oder den Fahrzeugherstellern austauschen.

TR: Man hört, dass es wieder vermehrt Tachomanipulationen gibt?

Pernutz: Ich sage mal so, wir stellen nicht fest, dass die Anzahl der Manipulationen zurückgeht. In den allgemeinen Kontrollen kommen wir auf eine Quote von rund 25 Prozent Manipulationen. Aber zu diesem Themenbereich zählen zum Beispiel auch eine 'falsche' Fahrerkarte oder falsche Kalibrierungen des Kontrollgerätes. Generell kontrollieren wir natürlich auch mehr, was dann schon im Grundsatz zu mehr Beanstandungen führt.

TR: Warum spricht das BAG nicht offen von den Manipulationen und hält sich ebenso bedeckt, was die Nationalitäten betrifft?

Pernutz: Dass wir nicht offen darüber kommunizieren, kann ich so nicht stehenlassen. In unserem Geschäftsbericht, der für jeden auf unserer Webseite www.bag.bund.de einsehbar ist, sprechen wir wohl darüber. Natürlich nimmt das keinen so breiten Raum ein, weil zwar alle BAG-Kontrolleure Manipulationen aufdecken, aber spezielle und eingehendere Kontrollen erforderlich sind. Für diese Spezialkontrollen haben wir besonders geschulte Beamte - von den 230 Kontrolleuren aktuell rund 15 Prozent.

TR: Wer manipuliert denn nun?

Pernutz: Auf jeden Fall nicht nur die Ausländer, wie oft kolportiert. Bei der Überschreitung der Lenkund Ruhezeiten sind es öfter deutsche Fahrer. Zugegeben haben wir aber nach vorliegenden Erkenntnissen bei den Technik-Manipulationen eher nichtdeutsche Fahrer mit Schwerpunkt Osteuropa.

TR: Und was wird manipuliert?

Pernutz: Wir haben einige Fälle dokumentiert, bei denen tiefe Eingriffe in die Fahrzeugelektronik stattfanden. Andererseits gibt es auch jede Menge Gerüchte, was angeblich alles möglich ist - vom Karten überschreiben bis zur vollständigen Neubearbeitung des Massenspeichers. Da werden viele Dinge auf oft dubiosen Wegen offeriert, viel Geld bezahlt und am Ende funktioniert es doch nicht. Wir gehen solchen Gerüchten natürlich nach, aber etwas Handfestes haben unsere Experten bislang nicht gefunden.

TR: Gibt es den klassischen 'Magnet-Trick' immer noch?

Pernutz: Mit der neuen Gerätegeneration hat sich das Thema erledigt! Aber derjenige, der betrügen will, entwickelt sich weiter. Es gibt neue Tricksereien. Aber haben Sie Verständnis, dass wir da weder eine Anleitung geben noch einen Ideen-Wettbewerb ausschreiben wollen. Auf jeden Fall kann diese komplexen Lösungen nicht mehr allein der Fahrer machen, das kommt von anderen. Bei Fahrzeugen mit älteren Geräten finden wir immer wieder mal Magneten. Das stirbt nicht aus ... Manchmal tauschen aber auch Unternehmer unerlaubt neue Digi-Tachos, die vom Baujahr des Fahrzeugs eigentlich verbaut sein müssten, gegen alte Geräte, die natürlich manipulationsanfälliger sind.

TR: Was können die speziell geschulten BAG-Kontrolleure?

Pernutz: Sie sind besonders geschult, im Regelfall sind es Ingenieure oder Kfz-Meister, und sie haben eine besondere Ausrüstung. Unter anderem Endoskop-Kameras, OBD-Lesegeräte und eine spezielle Auslese-Software.

TR: Gehen denn die Manipulationen vorwiegend von den Fahrern aus?

Pernutz: Das können wir im Einzelfall nicht nachvollziehen. Wenn unsere Kontrolleure einen Verdacht haben, geht das an die Staatsanwaltschaft, die zu ermitteln beginnt. Zu den endgültigen Ermittlungsergebnissen erfahren wir dann nichts mehr.

TR: Gibt es ein Bewusstsein bei den Fahrern, welche Auswirkungen die Manipulationen haben können?

Pernutz: Ich fürchte nicht. Früher konnte ein übermüdeter Fahrer viel Schaden anrichten, wenn er zum Beispiel beim Fahren einschlief. Heute kommen weitere Verkehrsrisiken dazu, wenn zum Beispiel durch den Eingriff die Fahrzeugelektronik gestört ist und die Assistenzsysteme dadurch nicht funktionieren. Fahrzeughersteller setzen in den Fahrzeugen unterschiedliche Techniken ein, um auf die unzulässige Beeinflussung von Signalen zu reagieren.

TR: Es halten sich nachhaltig Gerüchte, dass es vorwiegend ausländische Fahrer sind, die massiv manipulieren. Stimmt das?

Pernutz: Das ist wirklich schwer zu sagen. Unser Ziel ist, die Kontrollquote, wie auch die Kontrollqualität in allen europäischen Ländern hoch zu halten. Deshalb pflegen wir einen intensiven Austausch zum Beispiel mit Behörden und Kontrollorganisationen in Polen oder Kroatien, um einen einheitlichen Standard hinzubekommen. Die Umsetzung der entsprechenden EU-Kontrollnorm erfolgt aber nur schrittweise. Trotzdem muss ich sagen, dass etwa die Partnerschaftsbehörde in Polen auf einem sehr hohen Niveau arbeitet. Zudem laufen multilateral Gespräche unter anderem mit Rumänien und Bulgarien. Letztlich sind alle EU-Länder berichtspflichtig. Da kann man sich, wenn man denn will, schon einen Überblick verschaffen.

TR: Welche Strafen blühen für Manipulationen?

Pernutz: Das ist weit gefächert. Für Urkundenfälschung etwa droht Gefängnis bis zu fünf Jahren - theoretisch auf jeden Fall. Bei der Verhängung von Bußgeldern wird meist Vorsatz festgestellt, was eine Geldstrafe von bis zu 15.000 Euro bedeuten kann. Letztlich hängt das immer vom ermittelnden Staatsanwalt ab. Fahrer sehen es oft als Kavaliersdelikt an und wollen 60 Euro für eine Stunde mehr Fahrzeit sparen. Dafür riskieren sie empfindliche Bußgelder.

TR: Kann man denn keinen manipulationssicheren Tacho bauen?

Pernutz: Wohl nicht. Das ist ein regelrechter Wettbewerb zwischen den Beteiligten. Man kann nicht alle Daten vom Digi-Tacho, aus der Fahrzeugelektronik und vom Mautsystem zusammenschalten. Dann kämen wir schnell an Grenzen des Datenschutzes. Wesentliche Änderungen wird die nächste Gerätegeneration mit sich bringen; so wird ab 2019 das Auslesen von Daten aus dem Kontrollgerät im Vorbeifahren möglich sein. Trotz allem, ich denke, wir sind gut aufgestellt, um schon jetzt Manipulationen nachweisen zu können.

TR: Was passiert, wenn Kontrolleure eine Manipulation entdecken?

Pernutz: Wir holen normalerweise die Polizei dazu und der Fall wird protokolliert und an die zuständige Staatsanwaltschaft übergeben. Je nach Herkunftsland müssen die Fahrer eine entsprechende Sicherheitsleistung hinterlegen. Liegen auch noch Verstöße gegen die Sozialvorschriften vor, muss der Fahrer zum Beispiel Ruhepausen nachholen. Was die Fahrer aber nicht vergessen sollten: Manipulationen werden in anderen Ländern viel drastischer bestraft. Wer zum Beispiel in England mit einem Magneten erwischt wird, dem droht eine sofortige Gefängnisstrafe!

TR: Gibt es bei den Sanktionen Unterschiede zwischen In- und Ausländern?

Pernutz: Wie schon angemerkt die Sicherheitsleistung, die nichtdeutsche Fahrer hinterlegen müssen. Und in besonderen Fällen melden wir diese an die entsprechenden nationalen Kontrollorgane weiter. Das führte in manchen Fällen schon zum Lizenzentzug für betroffene Fuhrunternehmen.

HERSTELLER ZUM THEMA MANIPULATIONS-PRÄVENTION

"Keine Sicherheits-Funktion negativ gestört"

"Zunächst bleibt festzuhalten, dass bei den bekannten Manipulationen bei Iveco alle sicherheitsrelevanten Funktionen erhalten bleiben. Manche Funktionen, die nicht sicherheitsrelevant sind, werden bei nicht plausiblen Signalen abgeschaltet,z.B. ACC, Spurhalteassistent oder Tempomat. Die Abschaltung ist für den Fahrer optisch erkennbar.

Ivecos Systeme werden permanent upgedatet, auch wenn uns Fälle von Manipulationen bekannt werden. Anstelle von Einzelereignissen ist bei derart komplexen Systemen die Plausibilitätsprüfung des Gesamtfahrzeugzustands die Stellgröße. Also: Der Tacho ist keine singuläre Größe."

Manfred Kuchlmayr, Pressesprecher der Iveco Magirus AG

HERSTELLER ZUM THEMA MANIPULATIONS-PRÄVENTION

"Keine hundertprozentige Abwehr möglich"

"Grundsätzlich können Manipulationen an der Fahrzeugsensorik zu Beeinträchtigungen oder Störungen von elektronischen Systemen führen. Darauf weisen wir als Hersteller in unseren Betriebsanleitungen ausdrücklich hin. (Auszug: "...Unsachgemäß durchgeführte Eingriffe und Veränderungen am Fahrzeug, insbesondere auch an elektronischen Bauelementen und deren Software, können zu Störungen und Schädigungen am Fahrzeug führen. Folge kann die Beeinflussung der Verkehrs- und Betriebssicherheit Ihres Fahrzeugs sein, was wiederum zum Erlöschen der Betriebserlaubnis, Verlust des Versicherungsschutzes und der Gewährleistungszusagen seitens MAN führen kann...") Bei MAN kommt ein Kitas-Geber der neuesten Generation zum Einsatz, der Manipulationsversuche durch Magneten erkennen bzw. abwehren kann. Darüber hinaus ist ein zweites Signal zur Plausibilitätsprüfung im Einsatz. Damit ist eine Manipulation des Tachographen nur noch mittels technisch sehr aufwendiger Eingriffe in das Kommunikationsnetzwerk des Fahrzeuges möglich. Analog zu Hackerangriffen auf Computersysteme ist aber eine hundertprozentige technische Abwehr von Manipulationsversuchen grundsätzlich nicht möglich."

Klaus Fischer, Communications Officer, MAN Corporate Communications

PRAXISFÄLLE UND DARAUS RESULTIERENDE SANKTIONEN

Im Ausland wird teilweise viel härter bestraft

Ein Fall aus Deutschland: Ein Transportunternehmer, dessen finanzielle Verhältnisse sich schwierig gestalteten, sah seine Chance in der Manipulation am einzig verbliebenen Lkw. Er fuhr stundenlang ohne Unterbrechung. Um bei einer Kontrolle nicht aufzufliegen, brachte er bedarfsweise einen Magneten am Kitas-Geber an. Der beeinflusste den digitalen Tacho, sodass er eine Ruhezeit anzeigte, obwohl tatsächlich gefahren wurde. Insgesamt 45 Fahrten konnte das Gericht dem Mann nachweisen. Doch damit nicht genug: Wenn er den Magneten vergaß, tauschte er in vier bewiesenen Fällen seine eigene Fahrerkarte gegen die eines Bekannten aus. "Fälschen beweiserheblicher Daten", nennt sich die Straftat, die mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren geahndet werden kann. Hier verhängte das Gericht eine Freiheitsstrafe von 8 Monaten auf Bewährung.

Fälle aus Italien und der Schweiz: Ein einheimischer Lkw-Fahrer wurde vom Gericht im italienischen Potenza zu einer Geldstrafe von 15.000 Euro verurteilt, weil er den digitalen Tachografen seines Lkw manipuliert hatte. Der Fahrer war zusammen mit 43 anderen Fahrern und Besitzern von Transportunternehmen bei Kontrollen der Straßenpolizei aufgeflogen. Die Polizei zog 42 Führerscheine sofort ein und beschlagnahmte insgesamt 27 Lkw, bei denen manipulierte Tachografen festgestellt wurden. Ein Fahrer aus der Schweiz, der für eine spanische Firma fuhr, wurde zu zwei Monaten und 20 Tagen Haft auf Bewährung verurteilt.

Der Fall eines Ausländers in Deutschland: Ein portugiesischer Sattelzug war bei Schneeglätte zu schnell, geriet auf die Gegenfahrbahn und krachte in die Leitplanke. Der Tank riss auf, Diesel lief ins Erdreich, der Boden musste teilweise abgetragen werden. Bei der Unfallaufnahme stellten die Beamten Ungereimtheiten fest. Sie leiteten Ermittlungen wegen des Verdachts der Fälschung technischer Aufzeichnungen ein, stellten auf Anordnung der Staatsanwaltschaft das Unfallfahrzeug sicher und ließen es technisch untersuchen. Der Fahrer musste mehrere tausend Euro Sicherheitsleistung hinterlegen.

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