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Fahrerin Jahrgang 1979: Ins Dieselbecken getaucht

11.01.2019 08:00 Uhr
CoraMüller
Cora Müller fuhr bereits mit 18 Jahren regelmäßig Touren nach Spanien
© Foto: Katharina Spirkl

Als 1979 der erste TRUCKER erschien, kam Cora zur Welt. Zunächst musste sie sich mit dem Beifahrersitz begnügen, bis sie 18 Jahre später endlich fahren durfte.

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Ich muss nur noch mal schnell ums Auto laufen und nachsehen, ob sie mir ein Lämpchen geklaut haben", sagt Cora Müller. Wie jeden Morgen macht die 39-Jährige die Abfahrtskontrolle an ihrer "Diva", einem Scania R 450, bevor sie um fünf Uhr ihre Tour im Saarland startet. Es ist noch dunkel, als sie den ersten gelb-blauen Auflieger auf dem Dachser-Gelände in Überherrn aufsattelt. Bevor sie Mutter geworden ist, lebte Cora für ihre Touren im Fernverkehr nach Spanien. Dann legte sie fast zehn Jahre Pause ein. Jetzt fährt sie nur noch "um den Kirchturm", wie sie sagt. Dreimal die gleiche kleine Runde am Tag, aber auch die mit viel Diesel im Blut.

"Ich wurde schon früh als Kind ins Dieselbecken getaucht", sagt die Saarländerin und lacht. Ihr Vater war Lkw-Fahrer, hat mit einem ADAC-Autotransporter quer durch Europa Fahrzeuge eingesammelt - manchmal mit Cora auf dem Beifahrersitz. An eine Fahrt erinnert sie sich besonders gut: Im Jahr 1988 fragte sie ihren Vater, ob sie mitfahren dürfe. Es sollte eigentlich eine kurze Tour werden und vom Saarland machte sich das Vater-Tochter-Gespann auf in Richtung Norden. Aber die Route wurde immer länger. Es ging Richtung Süden, erst innerhalb Deutschlands, dann Monaco, Nizza, der Gardasee ... "Ich hab' das alles aufgesaugt: die Landschaft und diese Weite auf der Autobahn. Frankreich schien endlos und das Meer erst", schwärmt Cora.

KEINER WOLLTE CORA AUSBILDEN, WEIL SIE EINE FRAU IST

Spätestens nach diesem Roadtrip war das Fahrer-Feuer in Cora entfacht. "Die Mittlere Reife habe ich dann versemmelt. Ich wollte einfach nur fahren, und zwar direkt im Fernverkehr. Alles andere war mir egal", sagt sie. Doch in den 1990-Jahren wollte keiner eine Frau zur Berufskraftfahrerin ausbilden. "Da hieß es, wir wollen keinen Zirkus in der Firma oder wir haben doch nicht mal Frauenduschen", erzählt Cora. Letztendlich tat sie das, was sie rückblickend als Fehler sieht: "Ich habe bei meinem Vater gelernt, der war damals selbstständig." In einem vierwöchigen Crashkurs machte sie den Führerschein. Auf einem alten 1017er Mercedes Bundeswehr-Lkw. "Das kann man nicht mit den heutigen Lkw vergleichen, die Gangschaltung war ein Rührgerät und der hatte ein riesiges Lenkrad", lacht sie und streichelt über das Steuer ihrer Diva.

Auf dem Weg vom Dachser-Hub in Überherrn zum Kunden im rund 40 Kilometer entfernten Losheim ruft sie ein Kollege an. "Es ist glatt. Fahr vorsichtig", dröhnt es aus den Lautsprechern der Freisprecheinrichtung. "Wir kümmern uns umeinander. Ich weiß genau, wenn ich einen Platten hätte, würde ein Dachser-Fahrer anhalten", versichert sie, während sie einen entgegenkommenden Fahrer im blau-gelben Sattelzug grüßt. Für den Kunden in Losheim fuhr sie schon früher, bevor sie ihre Auszeit genommen hat, Ware zur Spedition. Als sie dann wiederkehrte, hieß es dort: "Das Mädchen ist zurück", erzählt sie.

Die Touren nach Spanien waren Coras Ding. Sie hatte gerade den Führerschein in der Tasche, da schickte ihr Vater sie los: Fünf Abladestellen bis nach Barcelona, drei Tage gab er ihr Zeit. Ohne Navi, nur mit Karte. "Bis Lyon saß ich heulend und eingeschüchtert am Steuer. Dann stieg Trotz in mir hoch", erinnert sich die Fahrerin. "Am zweiten Tag abends habe ich ihn angerufen und gesagt, dass ich leer bin." Sie habe immer um die Aufmerksamkeit ihres Vaters gekämpft, erzählt sie. Rückblickend glaubt sie, dass sie sich hat "verheizen" lassen.

"WENN DAS MÄDCHEN BRÜLLT, STEHEN ALLE STRAMM"

Inzwischen hat sie gelernt, Nein zu sagen. "Es gibt eine Tour bei uns, da muss man Paletten mit Werbeprospekten laden. Papier ist sehr schwer", schildert Cora. "Da weigere ich mich, das sollen die Jungs machen." Gerade als Frau müsse man in diesem Beruf lernen, sich durchzusetzen und das richtige Mundwerk haben, erklärt die Fahrerin. "Mich respektieren inzwischen alle und wir haben auch viel Spaß unter den Kollegen. Aber wenn das Mädchen brüllt, stehen alle stramm", sagt sie und lacht ihr herzliches Lachen.

Heute sei es ja nichts mehr Besonderes, wenn eine Frau Lkw fährt, meint Cora. Als sie aber vor 20 Jahren im Fernverkehr unterwegs war, sei das noch anders gewesen. Einmal ließ sie eine spanische Sekretärin bei einem Kunden partout nicht auf dem Lkw-Parkplatz übernachten. "Sie hat darauf bestanden, dass ich mit ihr nach Hause fahre", erzählt Cora. Letztendlich verbrachte sie dann die Nacht bei der Familie der Spanierin. Im Stockbett im Jugendzimmer der jungen Frau. Aber Angst hatte Cora nie. Schließlich hatte sie ihre Freunde immer dabei: Lkw-Fahrer, die wie sie nach Spanien gefahren sind, waren ihre Clique und sie haben gegenseitig auf sich aufgepasst. "Wenn wir abgeladen hatten, haben wir uns am Strand oder am Supermarkt getroffen. Abends hab' ich gekocht, abgespült haben die Jungs", erzählt sie lachend.

2001 ging die Firma ihres Vaters pleite. Ihre Spanientour bekam Cora aber bald zurück. Der Spediteur, der die Route übernommen hatte, brauchte einen Fahrer, der die schwierige Tour schafft. Und offensichtlich wusste er, was er an Cora hat: Eines Tages überraschte er sie mit einem blauen DAF, ihrem Traumauto. "Ich kniete heulend vor dem Auto. Hier bekam ich plötzlich die Anerkennung, die mir bei meinem Vater immer fehlte", erzählt Cora.

Den blauen DAF, den "Dicken", lenkte Cora zwischen 2002 und 2005 in fester Linie zwischen dem Saarland und Barcelona. Dann lernte sie ihren Mann kennen und wechselte in den Baustellenverkehr. Als sie nach der Winterpause wieder anfangen wollte, wurde ihr nach ein paar Tagen ständig übel. Sie war schwanger mit ihrer ersten Tochter, Lena. Die zweite Tochter, Luca-Marie, kam nur 17 Monate nach der ersten hinterher. "Dann bin ich erst einmal voll in der Mutterrolle aufgegangen", sagt Cora und strahlt. Nebenbei jobbte sie im Einzelhandel und in der Küche eines Altenheims. Fast zehn Jahre lang fasste die Fahrerin kein Lkw-Steuer an. Sie erinnert sich aber an eine Szene: Als junge Mutter stand sie mit dem Kinderwagen am Zebrastreifen und ein Actros fuhr vorbei: "Ich habe das Gummi gerochen, den Bremsgeruch eingeatmet und dachte: Das fehlt mir."

"ICH HATTE ANGST, ICH KONNTE EINFACH NICHT LOSFAHREN"

Als Cora zum dritten Mal an diesem Tag auf das Dachser-Gelände fährt, trifft sie ihren heutigen Chef, Axel Liehn, der ebenfalls einen Dachser-Lkw lenkt. Axel war es, der sie damals wieder zurück auf den Fahrersitz setzte. "Das war grauenvoll", erinnert sie sich. "Ich konnte einfach nicht losfahren, ich hatte Angst." Am Ende ergriff sie dann aber doch das Steuer. "Das gewohnt geliebte Gefühl kam zurück, ich war wieder da", erzählt sie.

Nach ihrer Trennung im Jahr 2016 fuhr Cora neben ihrer Teilzeitstelle in der Küche eines Altenheims zunächst als Aushilfe bei Chef Axel. Doch das Geld war knapp. "Aufs Amt zu gehen, kam für mich nicht infrage", betont Cora. Also stieg sie wieder Vollzeit ein, mit einer Tour, mit der sich ihre Rollen als Mutter und als Fahrerin vereinbaren lassen. "Wenn etwas mit den Mädchen ist, kann ich in 30 Minuten zu Hause sein", erklärt sie.

Die Hauptrolle in Coras Leben spielen weiterhin ihre Kinder. Den Fehler, das Fahren ganz aufzugeben, will sie aber nicht noch einmal machen. "Ich hatte mich selbst belogen und nicht gemerkt, dass ich ohne die Fahrerei unglücklich war", gesteht sich Cora rückblickend ein. Ein wenig kürzer treten werde sie aber sicher eines Tages. "Vielleicht fahre ich in zehn Jahren mal wieder heim nach Barcelona", sagt Cora verträumt.

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