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Daimler-Aerodynamics in Papenburg

29.11.2012 08:00 Uhr
Daimler-Aerodynamics in Papenburg
Von Papenburg aus startet Daimler zahlreiche Versuchsfahrten.
© Foto: Gregor Soller

In Papenburg fuhr Daimler erste Verbräuche mit den Aerodynamics-LKW. Der TRUCKER durfte exklusiv dabei sein.

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Totenstill liegt das schwer zugängliche Testgelände in der Nähe von Papenburg unter norddeutschem Wolkenhimmel. Plötzlich zerschneidet ein kehliges Grollen die Morgenruhe: Daimler-Vorentwickler Hartmut Schroeter startet den metallisch klingenden OM 471 des New Actros 1845 Streamspace und rollt vorsichtig aus der Halle. Er hat den "Aerodynamics-Trailer" aufgesattelt, den Daimler zur Messe in Kortrijk 2011 als Studie präsentierte und mit Schmitz Cargobull jetzt zur IAA seriennah aufgebaut hat.

Unter dem schicken Aerokleid steckt ein Schmitz-SKO-Serienkühler, der um aerodynamische Anbauten erweitert wurde. Am Heck sollen ausfahrbare Flaps die Wirbelschleppe möglichst gering halten. Im Stand lassen diese sich über einen Schalter betätigen, der sich beifahrerseitig am Heck hinter dem Achsaggregat befindet.

KEIN KALTBLUT: WARM-FAHREN IST WICHTIG

Schroeter lässt den Cargobullen die "Ohren" ausklappen und wieder anlegen. Damit ist der Zug bereitfür einen weiteren Testzyklus. "Am aufwändigsten ist das Warmfahren: Meist muss man eine bis zu eineinhalb Stunden unterwegs sein, bis man anschließend solide Werte bekommt", erklärt Vorversuchstester Schroeter.

Die Messdaten fährt er dann zwischen 15 und 90 km/h ein, bei noch geringeren Geschwindigkeiten würden die Einflüsse der Fahrbahn zu sehr ins Gewicht fallen. Zu den unabdingbaren Voraussetzungen für reproduzierbare Werte gehört auch eine lange Testbahn, weshalb Daimler von Wörth nach Papenburg umzog. Dort fahren die Testingenieure 12,4 Kilometer um den äußeren Kreis und haben ausreichende Kurvenradien, um auch deren Einflüsse zu tilgen.

Laut Schroeter kann man die Reifen bei den Messungen vernachlässigen. Darum steht der 1845er-Actros des Aerozugs auf Bridgestone-Ecopia-Reifen, während das Referenzauto auf Contis der Zweier-Serie rollt. Der Aerotrailer hat Goodyear-Pneus HTR2 aufgezogen, der Referenztrailer Michelin XTA Saver Green, womit alle Premiumfabrikate mit den vor der IAA erhältlichen Spritsparreifen vertreten wären.

Eine viel größere Rolle spielt bei Aerodynamikmessungen natürlich der Wind. Darum gleicht man die Werte des Aerodynamics-Zugs mit einem vergleichbaren Standardzug ab. Umso mehr, als die Böen im norddeutschen Papenburg selbstredend immer wechseln und je nach Standort aus anderen Richtungen kommen. "Hier kann schon ein größeres Gebüsch die Messwerte merklich verändern", weiß Schroeter. Um solche Einflüsse weitestgehend zu neutralisieren, fährt der Referenzzug mit einem Anemometer (Windmessgerät) und einer neuentwickelten Drehmomentmessnabe von Kistler. Damit lässt sich der durchschnittliche, "wahre Wind" exakter definieren und in die Ergebnisse einrechnen.

GÜNSTIG: AMORTISATION BINNEN EINES JAHRES

Desweiteren nimmt Schroeter das Gelenkwellenmoment und freut sich, dass die Werte dank neuer Piezo-Aufnehmer stabiler werden. Aber auch darin, so der Tester, sei eine "gewisse Drift" enthalten, die sich aber nicht zu stark auswirkt. Um rund 18 Prozent will Daimler den Luftwiderstand senken, was 4,5 Prozent Verbrauchsvorteil ergeben soll. Das kann man bei 150.000 Kilometer Jahresfahrleistung auf rund 2000 Liter Diesel oder rund 3000 Euro umrechnen. Entsprechend dürfte das Aeropaket nicht teurer als 4000 Euro sein.

"Es muss sich am besten binnen Jahresfrist amortisiert haben, sonst kauft das niemand", kennt Projektbetreuer Georg-Stefan Hagemann die Praxis. "Viele Unternehmen rechnen jetzt schon mit dreistelligen monatlichen Ertragsspannen für ihre Züge", weiß der Ingenieur. Die Aero-Version des fest konfigurierten Verteiler-LKW soll übrigens zwischen 300 und 600 Liter Diesel sparen und wurde komplett bei Daimler aufgebaut.

Und? Spürt man gegenüber einem Standardzug Unterschiede? Schroeter antwortet spontan mit einem klaren "Ja", bevor er etwas zurückrudert und nachschiebt, dass das subjektiv empfunden sei: "Man hat weniger Windgeräusche und der Zug rollt länger aus." Schroeter steigt aufs Gas und lässt den Zug dann rollen: Tatsächlich hört man bei Rückenwind kaum etwas und mit Eco-Roll gleitet der Aerodynamiker auch unbeladen ewig lange dahin. Der cW-Wert wird zwischen 0,40 und 0,45 erwartet, was für einen LKW schon nah ans Optimum herankommt.

Die am Computer errechneten Werte konnten laut Georg-Stefan Hagemann mit den ersten Testfahrten in Papenburg bestätigt werden. Die Angabe absoluter Literverbräuche vermeidet er aber, da die Teststrecke in Papenburg nicht nah genug am praktischen Alltag sei. Es könne sich aber jeder Unternehmer "seine" 4,5 Prozent Verbrauchsersparnis ausrechnen.

Jetzt ist das Konzept reif für die Realität: Während Sie diese Zeilen lesen, könnten Sie Hagemann, Schroeter und deren Kollegen auf der Strecke Stuttgart - Hamburg -Stuttgart begegnen. Dort sollen Daimlers "Aerodynamics"-Modelle relevante Praxiswerte einfahren. Und die werden die Sternenforscher dann sicher gerne an die große Glocke hängen. Dann sehnt sich Schroeter vielleicht schon wieder nach der stillen Einsamkeit der emsländischen Teststrecke.

HINTERGRUND

Der Aerodynamics-Trailer im Detail

Stirnwandseitig glätten Kunststoffstücke die Spalten zwischen der neuen Schmitz-Kühlmaschine und den Ecken des Aufliegers. Die Stützbeine sind bis auf die Abstellplatten verkleidet. "Schicker wäre gewesen, wenn die bündig mit der Verkleidung abgeschlossen hätten. Praktisch würde man sie so aber gleich kaputtfahren", erklärt Projektentwickler Georg-Stefan Hagemann die Änderungen gegenüber der Urstudie. Das Leuchtenkonzept blieb: Dafür entwickelte Schmitz eine neue Einfassleiste, hinter der die seitlichen Positionsleuchten verschwinden. Darüber klebt der lichtdurchlässige Reflexstreifen. Die Seitenwände sind Serie, auch die Aufnahmerahmen für die Seitenverkleidungen, die optisch auf den Actros abgestimmt sind. "Das Design kommt von uns, die Umsetzung ist von Schmitz", erklärt Hagemann die Arbeitsteilung. Aufwand trieb Schmitz beim komplett verkleideten Unterboden und am Heck: Läuft der Zug über eine Minute lang mit 63 km/h, klappen Flaps aus, fährt der Zug länger als eine Minute unter 58 km/h, fahren sie wieder ein. Beim Öffnen der Heckportale greift ein dritter Modus: Dann klappt nur der Dachspoiler hoch. Die Seitenflaps bleiben plan auf den Türen liegen, die sich so noch um 245 Grad nach hinten durchschwenken lassen - was in manchen Schleusen schon eng werden könnte. Wie überhaupt das ganze Konstrukt trotz solider Grundkonstruktion noch etwas anfällig wirkt: Klappt man die Flügel zu weit durch oder entzieht ihnen den Strom, "vergessen" sie ihre Position und verweigern die weitere Arbeit. "Klar braucht es hier noch weitere Schritte", kennt Entwickler Schroeter die Praxis, "aber mit dieser Basis- Konstruktion können wir schon sehr realistische Verbräuche erfahren."

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