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Auf der Spur der Frachtdiebe

30.05.2018 13:34 Uhr
Auf der Spur der Frachtdiebe
Auf dunklen, unbewachten Parkplätzen schlagen die Kriminellen besonders häufig zu
© Foto: Felix Kästle/dpa/picture-alliance

Eine neue Projektgruppe des Landeskriminalamts Sachsen-Anhalt soll bundesweit und international Frachtdiebstahl bekämpfen. Wie professionell die Kriminellen heute vorgehen, das schildert Abteilungsleiter Guido Sünnemann.

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Durchschnittlich alle 20 Minuten verschwindet in Deutschland Ware vom Lkw. 26.000 Fahrzeuge pro Jahr sind betroffen. Wert des Diebesguts: 1,3 Milliarden Euro. Hinzu kommen weitere 900.000 Euro Schaden für Konventionalstrafen für Lieferverzögerungen, Reparaturkosten sowie Umsatzeinbusen und Produktionsausfälle bei Industrie und Handel. Diese Zahlen stammen von der in diesem Jahr ins Leben gerufenen Arbeitsgemeinschaft Diebstahlprävention in Güterverkehr und Logistik.

Die Gründung dieser Arge ist ein sichtbares Zeichen dafür, dass das Thema Frachtdiebstahl der Branche zu schaffen macht und zwar nicht nur den Transportdienstleistern. Das zeigt ihre Zusammensetzung (siehe Seite 70 links). In Summe entsteht durch Frachtdiebstahl ein Schaden in Höhe von jährlich 2,1 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Der Umsatz im deutschen Logistikmarkt wird auf 259 Milliarden Euro geschätzt. Fast ein Prozent ihrer Erträge gehen also dadurch verloren, dass Waren gestohlen werden.

AUS IMAGEGRÜNDEN WERDEN VIELE DIEBSTÄHLE GAR NICHT GEMELDET

Seit mehreren Jahren schon macht die Branche auf dieses Problem aufmerksam lange Zeit vergeblich. Einer der Hauptvorwürfe richtet sich an die Polizei: Die wurde zu wenig zusammenarbeiten bei der Bekämpfung des Ladungsdiebstahls. Denn dieses Delikt ist Ländersache. Dementsprechend vielfältig und unkoordiniert wird die Aufdeckung der Straftaten von Bundesland zu Bundesland betrieben.

Zudem gibt es keine einheitlichen Vorgaben zur Erfassung der Delikte. Die Folge: Es liegen keine bundesweit gültigen amtlichen Zahlen zum Frachtdiebstahl vor. Die Daten, die es gibt, werden von Versicherungen oder Organisationen wie der TAPA (Transported Asset Protection Association) über die Meldungen ihrer Mitglieder erhoben. Doch bei diesen Statistiken geben selbst die TAPA-Experten zu bedenken, dass die Zahlen mit Vorsicht zu geniesen sind, da Unternehmen aus Imagegründen nicht immer einen Diebstahl melden und es viele Betriebe gibt, die nicht der TAPA angehören.

Diese ungenügende Datenbasis ist Wasser auf den Mühlen der Kritiker, die von den Behörden fordern, sich starker dem Frachtdiebstahl zu widmen. Mit Erfolg, denn die Behörden reagieren. Guido Sunnemann, Abteilungsleiter im Landeskriminalamt in Sachsen-Anhalt, kündigte Ende Februar in Nürnberg auf einer Veranstaltung der IHK Nurnberg, der SGKV (Studiengesellschaft für Kombinierten Verkehr) und der Bayernhafen Gruppe Maßnahmen an, die eine klare Kampfansage an die Kriminellen sind. Damit will man ihnen das Handwerk legen beziehungsweise es ihnen deutlich schwerer machen, Ware vom Lkw zu stehlen.

"PLANENSCHLITZEN IST NICHT GERADE EIN SEXY CRIME"

Sünnemann zeigte sich bemerkenswert selbstkritisch, was die bisherigen Bemühungen der Polizei angeht. "Die Polizei hat das Thema Frachtdiebstahl verschlafen", bekannte er und nannte Gründe: "Ladungsdiebstahl oder Planenschlitzen ist kein sexy Crime." Es handele sich um eine in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommene Kriminalität. "Es wird nicht in die Privatsphäre eingedrungen, es wird keine Person bestohlen oder überfallen. Betroffen sind die anonyme Spedition, der anonyme Fahrer", schilderte der Polizist.

Als zweiten Grund nannte er die Zahlen der Polizei, die nicht "valide" seien. In Deutschland würden die Straftaten in der polizeilichen Kriminalstatistik erfasst. Aber für den Ladungsdiebstahl gäbe es keine eigene Rubrizierung. "Fragt man in den Bundesländern nach: 'Gibt es bei euch ein Problem mit Ladungsdiebstahl?', kommt als Antwort zurück: 'Nein, haben wir nicht.'"

Sünnemann und seinem Team ist vor drei Jahren aufgefallen, dass die Straftaten mit hohen Schadensummen an den Autobahnen zunehmen. Die Landespolizei in Sachsen-Anhalt habe daraufhin eine Sonderkommission gegründet.

Dass es Sünnemann ernst ist mit der Bekämpfung von Frachtdiebstahl, das wurde zum einen daran deutlich, dass er die positiven Zahlen, die Werner Meier, Polizeidirektor des Polizeipräsidiums Mittelfranken, für seine Region präsentierte, stark relativierte. Meier konnte zwar für seinen Bezirk nachweisen, dass der Frachtdiebstahl rückläufig war. Wenn man jedoch an den Autobahnraststätten vermehrt Streife fahre, würden sich die Verbrechen nur in eine andere Region verlagern, sagte Sünnemann: "So löst man das Problem nicht."

Für ihn kommt nur eines infrage: das Problem an den Wurzeln zu packen. Dafür sind Sünnemann und sein Team Spezialisten. Sie sind zuständig für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität, Wirtschaftskriminalität und Korruption. Sünnemann übte Kritik an den bisherigen Strukturen: "In einem Bundesland sind die Autobahnreviere für Ladungsdiebstahl zuständig, in einem anderen kriminalpolizeiliche Dienststellen. In wiederum anderen das zuständige Revier. Die Täter freuen sich über ein solches Zuständigkeitswirrwarr", beschrieb Sünnemann die Probleme. Und auch die Strafverfolgung über die Staatsanwaltschaften sei von Land zu Land unterschiedlich. "In Sachsen-Anhalt haben wir drei zuständige Staatsanwaltschaften. Die stufen das Problem Ladungsdiebstahl als nicht gravierend ein und reden nicht mal miteinander", beklagte der Polizist.

DIE DIEBE NUTZEN STÖRSENDER. DANN GEHT NICHT MAL MEHR DER POLIZEIFUNK

Seine Projektgruppe drängt jetzt darauf, dass nur noch eine Staatsanwaltschaft pro Land zuständig ist und dass die Ermittlung gegen Frachtdiebstahl in allen Bundesländern von den Landeskriminalämtern übernommen wird. "Vor Ort werden wir immer nur die Arbeitsebene der Verbrecher wegfischen. Ich will aber an die Syndikate heran, an die Wurzeln", sagte Sünnemann.

Die Chancen, dass es in den Bundesländern zu einer solchen Struktur kommt, stehen nicht schlecht. Denn auch das Bundesverkehrsministerium (BMVI) macht Druck. Das Entgegenwirken von Diebstählen im Transportbereich ist eine der Maßnahmen im "Aktionsplan Güterverkehr und Logistik" des BMVI. Dazu gehört ein Arbeitskreis Sicherheit mit Wirtschaftsvertretern, dem aber auch Sünnemann angehört.

Sünnemann verriet an einem Beispiel auch, woher die Täter kommen: "Wir hatten 20 bis 40 Festnahmen, die Täter kommen alle aus einer Stadt und Region in Polen." Mittlerweile arbeiten er und sein Team eng mit den polnischen Kollegen zusammen. "Wir schätzen, dass aus dieser Region etwa 300 Planenschlitzer kommen", so Sünnemann. Er schilderte das Vorgehen der Truppe: Mit fünf bis acht Personen würden sie Raststätten nach lukrativen Fahrzeugen und nach Polizeipräsenz erkunden. "Die gehen beim Diebstahl professionell vor: Sie sind zum Teil mit Störsendern ausgestattet. Da geht dann auf dem Parkplatz kein Handy mehr, kein Funk, keine Alarmplane, nicht mal Polizeifunk."

Sie würden ihre Fahrzeuge neben dem Lkw parken, die Plane in Türgröße aufschneiden, die Ware herüberziehen und dann nach Polen bringen. "Dort sind die Lagerstätten, in denen es wie in einem Kaufhaus aussieht. Dort gibt es alles, vom Fernseher über die Autofelge bis zur Fritteuse", schildert Sünnemann die weiteren Schritte der Lkw-Knacker. Und weiter: "Nachwuchsprobleme haben die Kriminellen auch nicht. Es spricht sich dort herum, dass man mit Ladungsdiebstahl schnell viel Geld verdienen kann. Pro Einsatztag erhalten sie 1000 Euro. Der Durchschnittsverdienst in Polen beträgt 980 Euro - pro Monat und brutto."

Sünnemann bezeichnete die Strukturen als "mafiös". Deshalb arbeite ja das Team Organisierte Kriminalität an dem Thema. Es gebe zwar auch Täter aus Weißrussland oder "Artisten" aus Rumänien, die während der Fahrt die Ladung stehlen. "Das sind jedoch Einzelfälle, um die kümmern wir uns nicht." Grünes Licht bekam die Gruppe vom Bundeskriminalamt (BKA). Die für die Kommission Organisierte Kriminalität zuständige Abteilungsleiterin befürwortete die Einrichtung der Projektgruppe Cargo beim LKA Sachsen-Anhalt. "Damit sind wir jetzt federführend für die Ermittlung gegen Frachtdiebstahl in Deutschland verantwortlich", so der LKA-Beamte. Die Behörde teilte mit, dass die Zusammenführung von Informationen zur Erstellung eines bundes- und europaweiten Lagebildes mit dem Ziel der frühzeitigen Erkennung von Brennpunkten im besonderen Fokus des Projekts steht. Man will am 1. Juli starten.

GEZIELTE STEUERUNG DER TRUPPS: "DA STECKEN MILLIONÄRE DAHINTER."

Die bundesweite Unterstützung für das Projekt war laut Sünnemann auch wertvoll für die Zusammenarbeit mit der polnischen Polizei: "Dort hat man bei den Kollegen der Organisierten Kriminalität gemerkt, dass eine ganz neue Dynamik reingekommen ist." Er hofft, so an die Hintermänner heranzukommen, die die Trupps und den Verkauf der Ware steuern: "Da stecken Millionäre dahinter."

Aber: Auch wenn sich jetzt eine bessere Verbrechensbekämpfung abzeichnet, dürfen die Speditionen bei der Prävention nicht nachlassen. "Die Parkplätze sind voll mit wertvoller Ladung, die Täter werden sich nicht abschrecken lassen", sagte der Beamte. Zudem forderte er härtere Strafen. "Es darf nicht mehr lukrativ sein, Planen zu schlitzen. "Gewalt gegen Lkw-Fahrer sei im Übrigen die absolute Ausnahme. "Die polnischen Diebe wollen nicht den Zorn der Polizei auf sich ziehen." Sie wollten vielmehr, dass es weiterhin relativ leicht für sie bleibt. Überfälle mit Verletzten oder gar Toten würde die Polizei nur hellhörig machen.

Markus Prinz, für Quality & Sicherheit verantwortlich bei Time Shuttle, einem Transportdienstleister für hochwertige Ware, begrüßte die neue Projektgruppe: "Bislang hatten wir es bei der Polizei nur mit Einzelkämpfern zu tun, jetzt ist ein großes Team tätig. Ich bin ein großer Freund dieser Initiative." Prinz, auch im Vorstand der TAPA tätig, hofft, dass man sich mit den Behörden austauschen kann und so zum Beispiel gestohlene Ware schneller wieder zum Besitzer gelangt.

Doch wichtiger dürfte es sicher sein, die Verbrecher jetzt dingfest zu machen. Mit der Projektgruppe Cargo ist ein erster, wichtiger Schritt getan.

Verbände fordern spezialisierte Polizeieinheiten

Die Wirtschaft hat offenbar genug von dem sich stärker ausbreitenden Frachtdiebstahl. Und auch davon, dass die Behörden diesem Treiben nicht genügend Aufmerksamkeit schenken.

Daher haben zahlreiche Verbände die "Arbeitsgemeinschaft Diebstahlprävention in Güterverkehr und Logistik" gegründet. Mit dabei unter anderem der Bundesverband Groß- und Außenhandel (BGA), der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), der Bundesverband Wirtschaft, Verkehr und Logistik (BWVL), der Deutsche Speditions- und Logistikverband (DSLV), die Transported Asset Protection Association (TAPA) und der Verband der Chemischen Industrie (VCI).

Von den Behörden fordern die Verbände dringend mehr Unterstützung durch einen höheren Fahndungsdruck auf die international agierenden kriminellen Organisationen. Die Polizei müsse zudem auf Autobahn-Rastplätzen häufiger präsent sein. Spezialisierte Polizeieinheiten und Schwerpunktstaatsanwaltschaften sollten zur Optimierung der länderübergreifenden Strafverfolgung beitragen.

Aber die Arbeitsgemeinschaft will auch selber aktiv werden und die Sicherheit der Transportlogistik insbesondere durch höhere Sicherheitsstandards und Investitionen in Ortungstechnik, Diebstahlwarnanlagen, Wegfahrsperren und gesicherte Parkplätze erhöhen.

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