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Wenn blinde Passagiere die Ladung beschädigen

22.03.2017 08:00 Uhr
Wenn blinde Passagiere die Ladung beschädigen
Immer wieder versuchen Migranten, per Lkw weiterzukommen. Oft wird dabei die Ladung beschädigt
© Foto: Picture Alliance/Etienne Laurent

Haftet ein Frachtführer für Güterschäden, die Flüchtlinge verursacht haben? Ist gar der Fahrer mit schuld? Das Oberlandesgericht Köln entschied einen Fall.

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Die Füchtlingssituation in der nordfranzösischen Hafenstadt Calais hatte monatelang viele Lkw-Fahrer Nerven und die Speditions- und Transportunternehmen im Großbritannien-Verkehr außerdem oft richtig Geld gekostet. Das größte Problem waren die unzähligen Gestrandeten, die versucht hatten, als blinder Passagier in Lkw irgendwie über den Ärmelkanal nach England zu gelangen.

Im Oktober 2016 wurde der sogenannte "Dschungel von Calais" geräumt. Mehr als 2000 Menschen wurden in Busse verfrachtet und in 80 Erstaufnahmezentren umverteilt. Doch sie sind damit nicht vom Erdboden verschwunden, genauso wenig wie die Flüchtlinge im griechischen Patras. Wie dort auch, war es auf Rastplätzen in der Region Calais in den letzten Jahren entlang der Zufahrtsstraßen zu den Terminals sowie im Fährhafen und am Eurotunnel häufig zu Zwischenfällen gekommen, bei denen die auf Lkw geladenen Güter beschädigt wurden.

Mitunter blieben Speditions- und Transportunternehmen auf den Kosten dafür sitzen. Einige davon weigerten sich, den Schadenersatzforderungen ihrer Kunden nachzukommen. Angesichts des Ausnahmezustands in und um Calais und der zusätzlichen Sicherheits- und Sicherungsmaßnahmen, die sie in der Regel ergriffen hatten, wollten sie nicht für durch Flüchtlinge zerstörte oder verschmutzte Güter zahlen.

DAS OLG KÖLN SIEHT DIE FRACHTFÜHRER IN DER PFLICHT

In vielen Fällen laufen noch Rechtsstreitigkeiten. Denn es ist umstritten, ob bzw. wann eine Haftungsbefreiung möglich ist. Grundsätzlich haftet für den Teil- und Totalverlust von Gütern sowie für Beschädigungen der Frachtführer (etwa die Spedition), sofern der Schadensfall zwischen dem Zeitpunkt der Übernahme des Gutes und dem Zeitpunkt der Ablieferung eintritt. Und zwar unabhängig davon, ob er selbst an den Schäden schuld ist oder nicht. Das regelt bei grenzüberschreitenden Transporten die Vereinbarung über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr CMR. Der Frachtführer muss in diesem Zusammenhang auch für Fehler seines Personals einstehen.

Einer dieser besagten Streitfälle über Schadenersatzforderungen eines Kunden ist vor wenigen Monaten vor dem Oberlandesgericht Köln (Urteil vom 25.8.2016, Aktenzeichen 3 U 28/16) entschieden worden. Wie die damit beauftragte Kanzlei Grimme und Partner berichtet, handelte es sich um die Beschädigung von Lebensmitteln durch Flüchtlinge während der Beförderung des Frachtgutes von Deutschland nach England per Lkw. Die Streitfrage lautete: War dieser Fall vermeidbar oder nicht? Muss der Frachtführer für den Schaden einstehen?

Das Landgericht Aachen hatte in der Vorinstanz - ähnlich wie das Landgericht Hamburg im Jahr 2013 (siehe Kasten) - zugunsten des Frachtführers entschieden. Nein, er müsse nicht gemäß Artikel 17 Absatz 2 CMR für den entstandenen Schaden aufkommen. Es handelte sich in dem Fall um rund 7700 Euro Wertverlust des geladenen, unverkäuflich gewordenen Fruchtsafts. Unter Verweis auf vom Fahrer vorgenommene Kontrollen am Lkw sei das Ganze unvermeidbar gewesen, hieß es zur Begründung.

Das Oberlandesgericht Köln als nächste Instanz sah das ganz anders. Eine Unvermeidbarkeit im Sinne des Artikels 17 Absatz 2 CMR sei nicht gegeben. Der betroffene Frachtführer könne sich nicht auf eine Haftungsbefreiung berufen, so das Gericht. Denn Unvermeidbarkeit sei nur dann anzunehmen, wenn der Frachtführer darlege und beweise, dass der Schaden auch bei Anwendung der äußersten ihm möglichen und zumutbaren Sorgfalt nicht hätte vermieden werden können. Es komme dabei grundsätzlich nicht darauf an, ob ein Ereignis unvorhersehbar ist - denn unvorhersehbare Umstände können unter Einsatz der äußersten Sorgfalt unwirksam gemacht werden.

LIESS DER FRACHTFÜHRER ÄUSSERSTE ZUMUTBARE SORGFALT WALTEN?

Laut dem Oberlandesgericht Köln hängt es vom Einzelfall ab, was zu tun ist, um die zumutbare Sorgfalt zur Verhinderung des Eindringens Unbefugter in den Frachtraum sicherzustellen. Da komme es auch auf die Art des Gutes und den Transportweg an. In der Urteilsbegründung heißt es: "Auch wenn es sich bei der Ladung um Fruchtsäfte, also nicht um typisches Diebstahl gefährdetes Transportgut wie Zigaretten oder Computer gehandelt hat, so bestand angesichts des gewählten Transportweges eine erkennbare Gefahr des Eindringens von Personen und insoweit Gefährdung des Transportguts, die erhöhte Sicherungsanforderungen bedingte."

Im strittigen Fall erachteten die Richter folgende Maßnahmen als nicht hinreichend: Die Beförderung wurde über Dünkirchen bei Calais mit einem Kühlauflieger durchgeführt, dessen Türen mit einem Vorhängeschloss gesichert waren. Der Fahrer hatte letztmalig bei seiner Übernachtung in Belgien, entlang einer der Hauptzufahrtsstrecken in Richtung Küste, die Türen des Aufliegers kontrolliert.

Aufgrund der bekannten und besonderen Gefahr, dass Flüchtlinge in und um Calais in den Laderaum eindringen könnten, entsprach es laut Urteil "nicht der geschuldeten Sicherungsmaßnahme, dass der Fahrer die Nacht vor der Überfahrt nach England 60 Kilomenter von der Fähre entfernt auf einem unbewachten Parkplatz verbrachte". Es sei ohne Weiteres möglich gewesen, einen weiter entfernten Ort für die Übernachtung auszuwählen - unabhängig davon, ob bewachte Parkplätze zur Verfügung standen oder nicht.

Als Ausrede des Beklagten ließ das Gericht nicht gelten, dass ja auch die Polizei und das Sicherheitspersonal nicht verhindern könnten, dass Flüchtlinge in Lkw eindringen. "Es gilt nicht, den Transport von Flüchtlingen zu verhindern, sondern das Transportgut vor Beschädigungen durch Eindringlinge zu schützen." Aus dem Urteil gehen zwar keine konkreten Hinweise für rechtssicheres Verhalten bei Lkw-Fahrten nach England hervor. Zumindest macht es aber klar, dass die jeweils geltenden Umstände - also auch das Verhalten des Fahrers - vor Gericht sehr genau betrachtet werden und den Frachtführer bei internationalen Beförderungen nur absolute Ausnahmeumstände von der Haftung für Güterschäden befreien.

Ähnlicher Fall, anderes Urteil

Das Landgericht Hamburg hat in einem anderen Fall der Kanzlei Grimme und Partner anders entschieden: Der Frachtführer könne sich bei einer Beschädigung von Medikamenten während der Beförderung von Griechenland nach Deutschland unter Einschluss einer Fährfahrt von Griechenland nach Italien auf die Haftungsbefreiung des Artikels 17 Absatz 2 CMR berufen. Und zwar unter folgenden Bedingungen: Der Frachtführer kontrollierte vor Einfahrt in das umzäunte Hafengelände die Unversehrtheit des Türschlosses des Aufliegers, der Fahrer des Lkw durfte während der Schiffsfahrt nicht in seinem Fahrzeug bleiben, der Zutritt zu den Parkdecks während der Überfahrt war untersagt. Dem Fahrer - er sagte vor Gericht als Zeuge aus - wurde kein Verschulden angelastet. Im genannten Fall hatte er nach dem Verlassen des Fährhafens in Italien Flüchtlinge entdeckt, er war durch Klopfen aufmerksam geworden, die Geflüchteten entkamen. Sie hatten sich im Frachtraum des Lkw einen Hohlraum geschaffen, indem sie Außenwände von Kartonpaletten öffneten und Innenkartons herausräumten. Diese wurden dadurch massiv beschädigt und verunreinigt, die Arzneimittel damit unbrauchbar.

Landgericht Hamburg
Urteil vom 17. Oktober 2013
Aktenzeichen: 415 HKO 71/1

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