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Frachtdiebstahl nimmt zu

26.07.2013 08:00 Uhr
Frachtdiebstahl nimmt zu
Bei Frachtdiebstahl sind Behörden und Betroffene meist ratlos
© Foto: Landeskriminalamt Niedersachsen

Immer häufiger und immer dreister: Frachtdiebstähle nehmen drastisch zu, die Methoden der Langfinger werden raffinierter. Mitunter verschwinden komplette Trailer samt Zugmaschine.

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Neuss, im November 2012, Samstagabend, 20:30 Uhr: Zwei Personen nähern sich einem LKW der Wuppertaler Spedition Nick & Eichfeld, der in einem Industriegebiet parkt. Sie brechen in die DAF-Zugmaschine ein und flüchten damit samt Auflieger. Später wird die Auswertung der Telematikdaten ergeben, dass der Auflieger im niederländischen Kerkrade abgesattelt wurde.

Und der Beutezug geht weiter: Noch in derselben Nacht kehren die Langfinger mit der gestohlenen Zugmaschine ins Rheinland zurück, um von einem (videoüberwachten) Parkplatz einer Neusser Spedition weitere zwei Auflieger zu klauen. Um 0:20 Uhr schließlich stoppt die Polizei den LKW auf einer Autobahn wegen Verstoßes gegen das Sonntagsfahrverbot. Die Diebe springen aus der Kabine und flüchten in einem schwarzen BMW, der den Transport begleitet hat. Die Polizeibeamten lassen sie ziehen.

"Die Zugmaschine war eine Woche alt, immerhin ist die nicht weg", resümiert Spediteur Joachim Nick. Spurlos verschwunden ist der Auflieger inklusive Ladung - ein 20-Tonnen-Stahlcoil und 20 Paletten mit Konsumartikeln im Wert von rund 60.000 Euro. Nicht alles ersetzt die Versicherung. "Wir müssen 7000 Euro Selbstbehalt zahlen, unsere Police verschlechtert sich - ganz zu schweigen vom Renommee-Schaden", grummelt Nick.

ÜBLER TREND: 1900 TRAILER IM JAHR WERDEN GESTOHLEN

Ein Fall von vielen: Knapp 1900 LKW und Auflieger wurden 2011 als gestohlen gemeldet. Das geht aus einem Bericht von Freight Watch International hervor. Der auf die Logistik spezialisierte US-Anbieter von Sicherheitsservices geht davon aus, dass sich die Anzahl der registrierten Frachtdiebstähle zwischen 2011 und 2012 mehr als verdoppelt hat. Genaue Zahlen zu Ladungsdiebstählen werden auf Bundesebene nicht erhoben, doch die Statistiken der Länder sprechen eine klare Sprache: Über 400 Fälle gab es 2012 laut Landeskriminalamt in Düsseldorf zum Beispiel allein in Nordrhein-Westfalen - dort schlagen Langfinger am häufigsten zu.

Die unklare Datenlage hat zwei Gründe: Zum einen werden Ladungsdiebstähle in der Kriminalstatistik nicht gesondert erfasst, zum anderen wird häufig erst beim Entladen bemerkt, dass Fracht fehlt - und dann ist nicht mehr nachvollziehbar, in welchem (Bundes-)Land die Diebe zugeschlagen haben. Auch der volkswirtschaftliche Schaden lässt sich nur schätzen. "Wir rechnen alles in allem mit 300 Millionen Euro pro Jahr", sagt Stephan Schweda vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) in Berlin. Neben reinen Warenwerten stecken in dieser Summe auch Kosten für Konventionalstrafen oder entgangene Gewinne des Empfängers.

Die Experten von Freight Watch International gehen von einer hohen Dunkelziffer bei Frachtdiebstählen aus. "Die meisten Vorfälle kommen wahrscheinlich gar nicht an die Öffentlichkeit, weil die Polizeibehörden nicht für jeden Diebstahl eine Pressemitteilung herausgeben", sagt einer der Autoren des Reports. Zudem fürchteten die Betroffenen wegen des Warenverlusts um ihre Reputation und hingen Sicherheitsprobleme nicht gern an die große Glocke.

Am stärksten verbreitet ist nach wie vor der Diebstahl der Ladung vom LKW. 44 Prozent aller Delikte fallen in diese Kategorie, sagt der Bericht von Freight Watch International, der in Zusammenarbeit mit der Tapa Emea (Transported Asset Protection Association) erstellt wurde, einer weltweiten Vereinigung von Unternehmen und Behörden. "Typischerweise wird die Plane aufgeschnitten, in manchen Fällen leiten die Diebe zuvor auch Betäubungsgas in die Kabine", berichtet Michael Wortmann, Geschäftsführer von Compass Security Logistik in Düsseldorf und ehrenamtlicher Tapa-Emea-Direktor. Am größten ist die Diebstahlgefahr demzufolge, wenn der LKW nicht in Bewegung ist.

Nach der Betäubungsmethode gingen zum Beispiel Diebe vor, die im November 2012 einen LKW auf dem Autohof Mogendorf überfielen. Nachdem sie den Fahrer außer Gefecht gesetzt hatten, deaktivierten sie die Alarmanlage und öffneten das Sicherheitsschloss des Aufliegers mit einem Schneidbrenner. Die Beute: Unterhaltungselektronik im Wert von 320.000 Euro.

MEHR WERT ALS EIN GELDTRANSPORTER

Was Ladungsdiebstahl aus Sicht der Täter immer interessanter macht, sind die immer wertvolleren Güter. Ein LKW zum Beispiel, der mit neuen Handys beladen ist, stellt eine Beute von 1,5 Millionen Euro dar - nicht einmal Geldtransporter haben so viel an Bord.

Wobei die Ladung nicht immer auf den ersten Blick so wertvoll erscheint: "Nicht nur Elektronik wird geklaut, sondern zum Beispiel auch Schrott - Kupfer etwa", berichtet GDV-Mann Schweda. Die aktuell hohen Rohstoffpreise würden solche Transporte für Täter attraktiv machen. Ein weiteres Beispiel sind Tonerkartuschen.

Ob Ware interessant ist, hängt aber nicht nur von ihrem Wert ab. "Entscheidend ist, wie leicht das Gut zu verwerten ist", betont Hans Kuckels, Prokurist für Verkehr und Logistik bei der Schunck Group, einem führenden Versicherungsmakler mit Sitz in München. Der Rechtsanwalt kennt die Vorlieben der Langfinger: Es ist nicht nur die Palette mit Parfüm oder TV-Geräten, sondern auch mal eine Ladung Shampoo - die Transporte sind weniger stark gesichert, die Ware lässt sich leicht weiterverkaufen.

In jedem Fall sollten Transportdienstleister nicht damit rechnen, die gestohlene Ladung wiederzubekommen. Die Aufklärungsquote der Polizei geht gegen Null, gerade wenn es keinen Personenschaden gab, so die einhellige Einschätzung von Insidern. Besser sei, einen privaten Ermittler einzuschalten (s. Interview).

Im Vormarsch ist Raub im ganz großen Stil. "Natürlich gibt es noch aufgebrochene Plomben und aufgeschlitzte Planen, aber am häufigsten sind mittlerweile Komplettentwendungen", bestätigt Michaela Heyer, Sprecherin des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen. Immer häufiger nutzen die Täter dabei Frachtenbörsen. Die gängige Methode: Kriminelle bieten dort besonders billig Transporte an. Schlägt ein Verlader zu, verpflichten die Diebe einen unwissenden Spediteur als Subunternehmer. Der taucht dann mit dem CMR-Frachtbrief auf dem Hof auf und bekommt folglich anstandslos die Ware aufgeladen. Danach dirigieren die kriminellen Strippenzieher das Fahrzeug um und lassen sich den Auflieger quasi vor die Haustür liefern. "Hier gibt es eine hohe Mitverantwortung der Versender", findet Rechtsanwalt Kuckels. Sie würden zu sorglos Transport an externe Dienstleister vergeben.

Der Aufwand, sich für die Frachtenbörse eine "saubere" Identität zu schaffen, ist freilich hoch und lohnt nur, wenn auch die Beute stimmt. Auf den Zufall verlassen sich viele Diebe nicht mehr. "In 70 Prozent der Fälle fließen Insiderinformationen", sagt Tapa-Emea-Direktor Wortmann. Sprich: An irgendeinem Punkt der Lieferkette sitzt ein Informant, sei es der Disponent in der Spedition, der Hausmeister im Lager oder der Mitarbeiter am Hafen. "Die organisierte Kriminalität knüpft gezielt Kontakte", weiß auch Insider Kuckels. Vor allem Fahrer fungieren immer wieder als Informanten. "Allerdings handeln längst nicht alle Innentäter mutwillig", betont Verbandsmann Schweda. Welcher Trucker schöpft schon Verdacht, wenn ihn ein vermeintlicher Kollege auf dem Rastplatz in ein zwangloses Gespräch verwickelt und fragt "Was hast du geladen?", "Wohin geht's?".

Die gute Nachricht: Gewalt müssen deutsche LKW-Fahrer kaum befürchten. Anders als zum Beispiel in Frankreich oder Italien laufen hierzulande Frachtdiebstähle meist ab, ohne dass ein Beteiligter körperlich zu Schaden kommt.

AUCH DIE FOLGESCHÄDEN KÖNNEN ENORM SEIN

Die finanziellen Folgeschäden sind dagegen in fast jedem Fall hoch. Oft muss der Frachtführer einen Teil des Warenwertes selbst ersetzen (Selbstbeteiligung), hinzu kommt, dass seine Versicherungsprämie unter Umständen steigt. Problematisch ist, dass die Versicherung die Ersatzzahlung in der Regel pro Kilo Ware berechnet. "Das kann bei einer gestohlenen Ladung Smartphones teuer werden", weiß GDV-Mann Schweda. Wird eine Spedition häufiger bestohlen, kann es sein, dass die Versicherung aktiv wird und den Betrieb bei Gegenmaßnahmen unterstützt, zum Beispiel durch eine Sicherheitsberatung.

Übrigens: Anders als oft angenommen, ist der Spediteur auch bei einem Überfall nicht aus dem Schneider. Kann die Versicherung nämlich nachweisen, dass er fahrlässig gehandelt hat oder den Überfall hätte verhindern können, muss sie den Schaden nicht komplett bezahlen. "Ein Überfall ist nicht automatisch ein unabwendbares Ereignis", sagt Rechtsanwalt Kuckels. Letztendlich muss ein Gericht darüber befinden, inwiefern den Dienstleister eine Mitschuld trifft. Mitunter fallen hier seltsame Urteile: So hat der Österreichische Gerichtshof vor einiger Zeit entschieden, dass ein Spediteur fahrlässig handelt, wenn er einen Transport ohne schusssichere Scheiben nach Italien schickt.

Constantin Gillies, freier Journalist

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Teil 2 im TRUCKER 9:

So kann man sich schützen

TRUCK ROBBERY

2012 tauchten im Internet spektakuläre Bilder zum Thema "Truck Robbery" auf: Ein Mann klettert bei voller Fahrt auf die Motorhaube eines Autos, das sich von hinten einem LKW nähert. Mit wenigen Handgriffe knackt er das Schloss am Heck. Er checkt kurz den Laderaum, dann klettert er über die Haube ins Auto zurück. Die Szene wurde aus einem Hubschrauber der rumänischen Polizei gefilmt.

Diese besonders dreiste Form des Ladungsdiebstahls scheint Deutschland erreicht zu haben. Medienberichten zufolge soll sich im letzten halben Jahr allein in Nordrhein-Westfalen 46 Mal ein solcher Raub ereignet haben. Ziel waren angeblich die Fahrzeuge großer Kurierdienste. Bestätigen will die ermittelnde Behörde die Zahl nicht. "Aus ermittlungstaktischen Gründen machen wir dazu keine Aussagen mehr", so ein Sprecher des Polizeipräsidiums Dortmund auf Anfrage.

In der Transportbranche sieht man die Überfälle à la Hollywood bislang gelassen. "Klar gibt es das", räumt ein Insider ein, von einem Massenphänomen will aber niemand sprechen. "Da geht es nicht mit rechten Dingen zu", urteilt ein anderer. Klartext: Wenn die Diebe ein derart hohes Risiko eingehen, haben sie sich zuvor durch einen Informanten versichert, dass der LKW wertvolle Fracht führt. Die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Truck Robbery zu werden, wird als gering eingeschätzt. "Die Diebe bräuchten doch nur zu warten, bis der LKW steht und könnten viel mehr erbeuten", gibt Stephan Schweda vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) zu bedenken.

Trucker INTERVIEW | PRIVATE ERMITTLUNG

"Jeder dritte Fall von Frachtklau lässt sich aufklären"

Norbert Idel ist Geschäftsführer der Detektei Acon in Solingen. Er ermittelt regelmäßig, wenn Ladung vom LKW oder ein kompletter Trailer spurlos verschwindet und weiß, wie die Langfinger vorgehen.

Sie ermitteln häufig bei Ladungsdiebstählen. Wie entwickelt sich die Zahl der Delikte?

Norbert Idel: Die Zahl der Diebstähle hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Wir haben sogar eine eigene Abteilung für diese Fälle eingerichtet.

Welche Masche ist derzeit am stärksten verbreitet?

Die Täter gehen in letzter Zeit häufig wie folgt vor: Sie kaufen Speditionsbetriebe in Osteuropa auf, die vor der Pleite stehen, aber noch gute Bewertungen in den Frachtenbörsen haben.

Diese Tarnfirma bietet dann in den Börsen zu Superpreisen an. Wenn die Täter den Zuschlag für eine Tour erhalten, heuern sie einen arglosen Frachtführer an, der für kleines Geld fährt - oft wird mit Barzahlung gelockt. Der lädt die Ware zunächst ganz normal beim Versender auf, doch während der Fahrt kommt dann telefonisch die Aufforderung, die Ware woanders hinzubringen. Vom neuen "Abladeplatz" in Ungarn oder Tschechien aus transportieren die Täter die so gestohlene Ladung dann weiter.

Das heißt, der Spediteur hilft den Dieben, ohne es zu merken?

Genau, das funktioniert auch bei einer anderen Masche so: Dabei fälschen die Täter den Briefkopf eines bekannten Großunternehmens, indem sie zum Beispiel eine neue Telefonnummer einsetzen. In dessen Namen bestellen sie bei einem Zulieferer Ware und lassen sie wiederum von einem ahnungslosen Spediteur abholen. Zunächst geht die Fahrt tatsächlich in Richtung des Unternehmens, dessen Briefkopf gefälscht wurde, doch dann erhält der Fahrer wieder per Handy einen neuen Abladeplatz.

Wie häufig sind Überfälle auf den Fahrer?

Dieses so genannte Italien-Modell kommt auch noch vor, ist aber seltener. Brennpunkt ist hier vor allem Belgien. Ich habe von Unternehmern gehört, die ihre Fahrer inzwischen anweisen, nicht mehr auf belgischen Parkplätzen zu übernachten.

Wie hoch ist Ihre Aufklärungsquote bei Ladungsdiebstählen?

Das hängt entscheidend davon ab, wie schnell das Opfer uns beziehungsweise die Polizei informiert. Wir haben unlängst gestohlene Solarpaneele im Wert von 4,7 Millionen Euro wiederbeschafft - allerdings waren sie schon auf Dächern und in Solarparks verbaut. Ich schätze, im Schnitt lässt sich jeder dritte Fall aufklären. Ein Problem ist, dass wir bei unseren Ermittlungen oft viel Diebesgut finden, dessen Besitzer nicht mehr zu ermitteln ist. Deshalb starten wir demnächst eine Plattform namens Aktenzeichen-De, auf der Unternehmen gestohlene Gegenstände melden können.

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