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Interview des Monats: Mehr Wertschätzung für die Berufskraftfahrer

02.09.2018 08:00 Uhr
Holger Mandel
Holger Mandel ist Vorsitzender der Geschäftsführung von MAN Truck & Bus Deutschland
© Foto: Alwin Berti/MAN

Die öffentliche Wahrnehmung ändern und das Ansehen der Fahrer stärken: Das sind die Anliegen von Holger Mandel, MAN Truck & Bus Deutschland.

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Herr Mandel, woher rührt das plötzliche Interesse an den Fahrern? Zumindest war, unserem Eindruck nach, in den vergangenen Jahren alles wichtig, nur nicht das Fahrpersonal - was aus unserer Sicht für alle OEM (Original Equipment Manufacturer/ Hersteller) gilt ...?

Von einem plötzlichen Interesse an den Fahrern möchte ich nicht sprechen. Die haben wir schon immer im Fokus, denn schließlich müssen unsere Lkw dem Fahrer ebenso wie dem Unternehmer gerecht werden. In der Tat haben wir uns in jüngster Vergangenheit noch stärker an den Fahrerwünschen orientiert, was man auch an unserem MAN-Modelljahr 2018 erkennt.

Lange in der Kritik stehende Dinge wie die Anordnung der Kühlbox haben wir neu gestaltet, aber auch unser aktuelles "Home sweet Home"-Interieurpaket mit Küchen- und Schrankeinbau, drehbarem Beifahrersitz, ausklappbarem Fernseher und der Chill-out-Hängematte vorgestellt. Natürlich treibt uns auch noch ein weiteres Motiv, uns noch intensiver mit dem Thema Fahrpersonal zu beschäftigen. Sowohl von Kunden wie auch von den Verbänden hören wir, dass angesichts eines ausgeprägten und fortschreitenden Fahrermangels an dieser Stelle ein Kollaps droht.

So fehlen der Logistikbranche allein in Deutschland bei circa 540.000 Aktiven bis zu 45.000 Berufskraftfahrer - mit schnell steigender Tendenz. Unter den aktiven Fahrern sind rund 25 Prozent bereits über 55 Jahre alt, während nur circa 17 Prozent jünger als 35 sind. Rund 30 Prozent der aktiven Berufskraftfahrer gehen in den kommenden 15 Jahren in Rente, weniger als die Hälfte kann nach heutigen Zahlen ersetzt werden. Im Kalenderjahr 2016 erwarben nur etwa 16.200 Personen den Lkw-Führerschein, während im gleichen Zeitraum rund 30.000 Berufskraftfahrer in den Ruhestand gingen - dieser Trend ist alarmierend. Das Aussetzen der Wehrpflicht in Deutschland verschärfte die Situation zusätzlich, denn im Schnitt wurden hier jährlich etwa 15.000 Fahrer ausgebildet.

Wir sehen es als wichtige Aufgabe, dem Fahrpersonal einen erstklassigen Arbeitsplatz im Lkw zu bieten. Erstklassig heißt sicher, ergonomisch und komfortabel, denn schließlich ist das Fahrerhaus gleichzeitig Wohn- und Schlafzimmer und nicht selten auch Küche. Wichtig ist, dass alle Assistenzsysteme zur Verfügung stehen, die dem Fahrer wie auch den weiteren Verkehrsteilnehmern zu mehr Sicherheit verhelfen und die Bedienung des Fahrzeugs erleichtern. Aktuell bieten wir zum Beispiel über MAN ProfiDrive eine Vorführung zum Notbremsassistenten MAN EBA2 an, um mehr Vertrauen in das System aufzubauen.

Muss nicht an anderen Stellschrauben gedreht werden? Fragt man die Fahrer, gibt es vor allem drei Gründe, den Job nicht zu machen oder aufzuhören: Planbarkeit, Gehalt, sozialer Status. Gründe, die von den Fahrern nicht beeinflusst werden können, auch nicht von den OEM. Was wollen Sie als Hersteller daran ändern und wie?

Das Image und Berufsbild des Berufskraftfahrers sowie der gesamten Branche steht in keinem Verhältnis zu der erbrachten Leistung. Es gilt, die Wertschätzung des Berufs an sich sowie die Leistungen der Branche in der öffentlichen Wahrnehmung zu korrigieren. Es gilt, stereotype Bilder zu korrigieren und die breite Gesellschaft sowie die Politik zielgerichtet zu informieren beziehungsweise Aufklärungs- und Lobbyarbeit zu leisten.

Wenn wir uns in Ländern wie Frankreich, den Niederlanden, aber auch Spanien und Italien umsehen, hat der Lkw-Fahrer schon ein anderes Standing in der Gesellschaft, obwohl er den gleichen Job verrichtet wie seine Kollegen in Deutschland. Sicher ist das vorwiegend ein gesellschaftliches Problem, aber wir sehen uns auch als Hersteller in der Pflicht, an dieser Stelle Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen. Auch das indirekte Arbeitsumfeld, etwa Parkplätze, Rampensituation oder Sanitäreinrichtungen, zeigt in vielen Facetten die fehlende Wertschätzung für die Leistung des Fahrers. Hier gilt es, direkt und indirekt den strukturellen Wandel zu beschleunigen. An anderer Stelle machen wir uns gerade darüber Gedanken, dem Fahrerclub "MAN Trucker's World" eine neue, zeitgemäße Struktur zu geben. Ziel ist dabei, noch mehr Mitglieder für den Club zu werben, denn er erweist sich seit über zehn Jahren als ausgezeichnete Plattform für den Dialog mit den Menschen hinter dem Lkw-Lenkrad. Aber auch für das Fahrerimage wird sich der Club in Zukunft noch intensiver engagieren, denn auch da führen viele in der Vergangenheit nicht angedachte Wege zum Ziel. Auf Management-Ebene sind wir nun in einen regelmäßigen Austausch mit unseren Kunden zum Thema Fahrermangel eingestiegen. Schließlich haben auch die Unternehmen - wie die Hersteller - Hausaufgaben zu machen, wenn es um die Bekämpfung des Fahrermangels geht. Als OEM muss man auch mal über Modelle zu Aus- & Weiterbildung von Berufskraftfahrern im eigenen Haus nachdenken oder über Konzepte zur Fahrervermittlung, inklusive Pool oder Sharing. Nicht zuletzt hat ebenso die Politik ihren Teil beizutragen, denn die Hürden zur Erlangung des Lkw-Führerscheins sind komplex, hoch, bürokratisch und teuer geworden. Das schreckt Berufsanfänger wie Quereinsteiger ab. Nur gemeinsam, im Schulterschluss zwischen Unternehmern, Herstellern, Verbänden und Politik werden wir das Problem Fahrermangel wohl meistern können.

Kürzlich hatten wir die Möglichkeit, einen Vortrag von Alexander-Cosmin Teleki hören zu können, der bei MAN das Thema "Arbeitsplatz Lkw der Zukunft" betreut. Wir würde gerne mehr darüber hören. Vor allem auch, warum offensichtlich Fahrer gar nicht eingebunden waren - sondern Studenten, Designer ...

Alexander-Cosmin Teleki hielt auf der Verbandstagung des BWVL einen Vortrag zum Thema "Fahrerarbeitsplatz der Zukunft". Hierbei ging es ihm auch darum, die Themen "automatisiertes Fahren und die Längenänderung" mit neuen Kabinenkonzepten in Zusammenhang zu bringen. Er erläuterte, dass MAN letztes Jahr einen Konzeptwettbewerb - es war kein Projekt! - mit Studenten der Hochschule Reutlingen machte. Bei diesem Konzeptwettbewerb ging es darum, innovative Ansätze und Ideen der Studenten abzugreifen.

Bei diesem Konzeptwettbewerb gab MAN die Themen "automatisiertes Fahren und die Längenänderung" als Rahmenbedingung vor. Teleki erwähnte ausdrücklich, dass MAN nur konzeptionelle Ideen haben wollte, um zu prüfen, welche Teilaspekte daraus für eine künftige Kabine übernommen werden können. Die Konzepte sind noch weit weg von der Realität. Teleki erwähnte auch, dass sehr wohl Fahrer zum gegebenen Zeitpunkt miteinbezogen werden, um deren Input ebenfalls einfließen zu lassen. Teleki entschied sich aufgrund der verfügbaren Vortragszeit bewusst dafür, nur zwei Ideen oder Konzepte zu zeigen. Er suchte mit diesen beiden Konzepten gezielt auch den Dialog, um die Sicht der Teilnehmer zu hören. Es wurden dabei auch noch weitere Themen angesprochen, die aus MAN-Sicht in eine neue Kabinengeneration einfließen und auch noch bewertet werden müssen.

Was macht MAN konkret, um jungen Menschen - oder auch Umschulungswilligen - Berufe in der Logistik schmackhaft zu machen?

Das derzeitige Ausbildungsangebot ist nicht zeitgemäß. Hier muss ein systematischer Ansatz gefunden werden, der gemeinsam von den Unternehmern, Herstellern und der Politik getrieben wird. Die Attraktivität des Ausbildungsweges zum Berufskraftfahrer muss auf die junge Generation, die "Generation Y", angepasst werden - Inhalte, Ablauf, Laufzeit und einiges mehr. Mit lediglich zwei Prozent Anteil bei Berufskraftfahrern sind Frauen eine bislang zu wenig beachtete, wichtige Zielgruppe. Neben leistungsgerechten Lohnmodellen spielen gerade für die junge Generation zusätzliche Features eine gewichtige Rolle. Planbarkeit, Flexibilität, Freizeitanteil sind nur einige Schlagworte, die in einem modernen Vergütungspaket für Berufskraftfahrer berücksichtigt werden müssen.

Das Thema "autonomes Fahren" wird sich aller Voraussicht nach noch etwas ziehen. Welche Vorstellungen hat MAN, was die Fahrer in "Level 4" eigentlich tun sollen - wenn sie da sein müssen, aber keine Fahraufgabe haben? Die können ja nicht die ganze Zeit Transportunterlagen bearbeiten oder sich online weiterbilden ...

Die Frage ist nicht, welche Vorstellungen die MAN davon hat, was der Fahrer während der Fahrt machen soll. Sondern die Frage ist, was der Transportunternehmen mit der frei werdenden Kapazität machen möchte.

Wir haben 2016 eine Umfrage mit Kunden gemacht und ihnen genau diese Frage gestellt. Eine Antwort war beispielsweise: "Der Fahrer ist ein Kommunikator und muss auch viel dokumentieren und scannen. Das macht er momentan vor der Fahrt, könnte er dann aber auch während der Fahrt machen." Aber auch Tätigkeiten wie "Abschätzung und Meldung von Verspätungen", "Bearbeitung der Frachtpapiere" oder "Kommunikation mit dem Kunden" erhielten wir zurückgespielt.

Platooning ist ein attraktives Einstiegsszenario für automatisiertes Fahren aufgrund des klaren Mehrwerts (niedriger Verbrauch). Die zunehmende Vernetzung und Digitalisierung hat großen Einfluss auf zukünftig relevante Tätigkeiten in automatisierten Lkw. In Automatisierungsstufe 3 können Aufgaben übernommen werden, die der Fahrer sonst vor oder nach der Fahrt erledigt. Der Mehrwert ist dadurch begrenzt. Die Automatisierungsstufe 4 ermöglicht den Einsatz von anders qualifizierten Fahrern und kann dadurch dem Fahrermangel entgegenwirken. Auch die Nutzung des Lkw als fahrendes Büro hat viel Potenzial.

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