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Interview: "In zehn Jahren gibt es definitiv noch einen Job"

01.12.2017 08:00 Uhr
Martin Daum
Martin Daum (2. v. l.), Nachfolger von Wolfgang Bernhard im Daimler-Vorstand, im Gespräch mit den TRUCKER-Redakteuren Gerhard Grünig, Jan Burgdorf und Serge Voigt (v. l.)
© Foto: Jan Scheutzow

Martin Daum, verantwortlicher Vorstand für Daimler Trucks & Buses, ist seit März im Amt. Im Interview spricht er über die Zukunft der Berufskraftfahrer und die von Daimlers Lkw-Sparte.

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Aktuell wird das Ende des Dieselmotors propagiert. Zu Recht und was sind die Alternativen?

Wir reden von Nutzfahrzeugen. Wenn ich also in München von einer Baustelle 30 Tonnen Bauschutt abtransportieren muss, dann gibt es im Augenblick keine wirtschaftlichere Alternative als den Verbrennungsmotor. Wenn man das morgen verbieten würde, dann bliebe der Schutt liegen. Das Gleiche gilt für Müllfahrzeuge oder für Busse. Unsere Kunden müssen mit ihrem Nutzfahrzeug Geld verdienen. Auf viele Themen, auf die es technisch schon ein "Ja" gäbe, gibt es aber wirtschaftlich noch kein "Ja" - aber wir arbeiten daran.

Ungeachtet der Wirtschaftlichkeit ist aber das Interesse an E-Lkw offensichtlich groß?

Ja, aber trotzdem bleibt die Grundfrage, was technisch und wirtschaftlich machbar ist. Wir haben bei der E-Mobilität drei große Herausforderungen: Reichweite, Verfügbarkeit von Strom inklusive Ladeinfrastruktur und Langlebigkeit. Eins und drei sind technische Probleme, die noch nicht gelöst sind. Ein Nutzfahrzeug braucht Reichweite - nicht unter optimalen Bedingungen, sondern wenn es kalt ist oder das Fahrzeug im Stau steht. Auch die Frage der Langlebigkeit der Batterie ist noch nicht endgültig gelöst. Unsere Kunden kaufen einen Lkw mit der Erwartung von einer Million Kilometer oder zehn bis 15 Jahren Einsatzfähigkeit. Das wird beim aktuellen Entwicklungsstand der Batterien deutlich weniger sein. Das heißt: höhere Anschaffungspreise und geringere Restwerte. Wir können heute aus Mangel an Erfahrung noch keine finalen Aussagen machen, aber fest steht, dass sich die Batterie-Technik in den vergangenen vier Jahren rasant entwickelt hat.

Wie geht's weiter mit der der E-Mobilität?

Bei der Entwicklung zur E-Mobilität gibt es für mich drei Phasen: Die erste ist "Schlagzeilen machen". Das ist relativ einfach, dazu braucht man einen Prototypen. Die zweite Phase, da sind wir bei unseren elektrischen Fahrzeugen mittendrin, ist: "Aufbau von Wissen". Viele Kunden kaufen jedes Jahr Hunderte von Nutzfahrzeugen bei uns, würden sich aber nie einhundert Elektro-Lkw bestellen. Aber sie wollen ein oder zwei E-Fahrzeuge haben, um über die Fahrzeug-Nutzung zu lernen. Die dritte Phase ist dann die Serienproduktion. Das heißt, "wie bauen wir ein nachhaltig profitables Geschäft auf". Diese Frage ist heute noch nicht beantwortet - für keinen. Auch nicht für etablierte Anbieter wie Tesla im Pkw-Bereich.

Ist verflüssigtes Erdgas eine Alternative?

Im LNG sehe ich eine Überbrückungstechnologie. Ich würde sagen, da sind die Ressourcen im Augenblick bei der Elektrifizierung besser angewendet. Sollte sich ein flächendeckendes Tanknetz für Gas durchsetzen, ist es keine Schwierigkeit, unsere heutigen Dieselmotoren auf Erdgas umzustellen. Das hilft auf der CO2-Seite, bringt aufgrund des Mehrgewichts dieser Antriebsart aber Nachteile bei der Nutzlast. Zudem muss man bei LNG weitere Fragestellungen bedenken: Was ist mit entweichendem Gas beim Tankvorgang oder bei parkenden Fahrzeugen und wie kann ein solches Fahrzeug gefahrlos und schnell gewartet werden? Deshalb setzen wir unsere Ressourcen auf Zukunftstechnologien wie den Elektro-Lkw oder eventuell eines Tages auf die Brennstoffzelle.

Was macht Tesla besser - die wollen 2018 eine Fernverkehrs-E-Zugmaschine bringen?

Wir beobachten unsere Wettbewerber natürlich intensiv. Aber ich hatte es schon erwähnt: Einigen geht es gerade darum, Schlagzeilen zu generieren. Oder mache ich etwas, damit Kunden und Hersteller gemeinsam Erfahrung sammeln können, also ein dauerhaftes Geschäft mit Gewinn? Ich bezweifle, dass ein Fahrzeughersteller im Fernverkehr heute reif genug ist, einen elektrischen Lkw in der letzten Ausbaustufe der Serienproduktion und Massenproduktion für den Kunden auf den Markt zu bringen.

Wie lange werden wir noch den Verbrennungsmotor brauchen?

Den können wir an dem Tag ersetzen, an dem wir Batterien haben, die sehr viel leistungsfähiger und langlebiger sind als heute, und wenn wir eine vollständig regenerative Energieerzeugung und Energieinfrastruktur haben. Dazu müssen wir uns fragen: Wann hat die Energiewirtschaft komplett umgestellt auf regenerative Energie? Wann haben wir eine Ladestation und das Strom-Netzwerk, mit dem wir auch wirklich fünfzig oder einhundert Lkw in fünfzehn bis dreißig Minuten laden können?

Stört es Sie, dass viele Unternehmen lieber Schlagzeilen machen und viele Menschen mitsprechen, die aus Einzelinteressen, aber mit meist wenig Ahnung diskutieren?

Schlagzeilen nimmt man zur Kenntnis, dürfen einen aber nicht von seinem eigentlichen Pfad abbringen. Die Stärke von Daimler Trucks ist wirklich fundiertes Engineering. Die Besten aus Japan, aus den USA, aus Europa, Indien, der Türkei und aus Brasilien. Das ist, was unsere Firma in den vergangenen 130 Jahren stark gemacht hat.

Was ist mit Platooning oder autonomem Fahren - wie sehen die Zeithorizonte aus?

Auf einer abgesperrten Strecke ist vieles machbar. Das ist aber weit weg vom Serieneinsatz. Das gilt auch fürs Platooning. Wir haben erst kürzlich verkündet, dass wir in den USA seit einigen Monaten den Einsatz von digital gekoppelten Trucks auf öffentlichen Straßen erproben. Beim Platooning erhöhen Konnektivität und automatisiertes Fahren die Sicherheit bei hintereinanderfahrenden Lkw, entlasten die Fahrer und verbessern die Kraftstoffeffizienz durch verringerte Fahrzeugabstände. Wir reagieren damit auf ein wachsendes Kundeninteresse an Lösungen für automatisiertes und vernetztes Fahren. Und so werden wir Schritt für Schritt weitere Technologien mit unseren Kunden gemeinsam erproben.

Fahrer werden also nicht so schnell wegrationalisiert?

Nein, im Gegenteil. Auf dem Weg zum Platooning oder teilautomatisierten Fahren gibt es verschiedene Abstufungen. Zunächst einmal die stetige Weiterentwicklung der Fahrerassistenzsysteme, die einen Lkw sicherer machen, die eine Fahrt konstanter und damit effizienter machen. Wenn Sie auf den Kraftstoffverbrauch schauen, liegt die Bandbreite zwischen einem guten und einem weniger guten Fahrer bei bis zu fünfzehn Prozent. Geben Sie dem schlechteren Fahrer aber ein Assistenzsystem an die Hand, dann kann er sich durchaus auch plötzlich im Wirtschaftlichkeitslevel eines jeden Profifahrers bewegen. Platooning wird dann interessant, wenn der zweite Fahrer seine Ruhezeit absolvieren kann. Denn heute ist die größte Ineffizienz, dass ein sehr teures Produkt samt Ladung alle zehn bis zwölf Stunden steht - aber das ist noch ein weiter Weg. Einen völlig fahrerlosen Truck sehe ich heute nicht. Man kann das aber nicht für immer ausschließen.

Daimler hat das Jahr 2025 propagiert - was wohl etwas zu optimistisch war?

Keineswegs! Wir bei Daimler Trucks sind führend bei der Vernetzung und beim automatisierten Fahren. Das über Jahrzehnte angesammelte Know-how ist die Basis für unsere Entwicklungen wie den Highway Pilot und Highway Pilot Connect auf dem Weg zum automatisierten Fahren. Handelte es sich beim Mercedes-Benz Future Truck 2025 um ein Konzeptfahrzeug, so sind wir mit dem Mercedes-Benz Actros mit Highway Pilot im Übergang zur Serientechnik. Er stellt die Alltagstauglichkeit des automatisierten Fahrens unter Beweis und ist als Versuchsfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr zugelassen. Er darf im teilautomatisierten Modus in Deutschland auf allen Autobahnen fahren. Das bedeutet: Das Fahrzeug fährt automatisiert, der Fahrer muss das System jedoch dauerhaft überwachen und in der Lage sein, die Steuerung des Lkw jederzeit zu übernehmen. Wir befinden uns auf dem Weg zur Markteinführung.

Sie sehen, wir sammeln unsere Erfahrungen zusammen mit unseren Kunden, um Schritt für Schritt dem automatisierten und vernetzten Fahren näherzukommen.

Würden Sie einem jungen Menschen noch raten, Berufskraftfahrer zu werden?

Einem 18-Jährigen würde ich heute sagen, dass er in zehn Jahren definitiv noch einen Job hat. In dreißig, vierzig Jahren wird es ganz sicher weniger Berufskraftfahrer geben als heute. Dem deutschen Speditions- und Logistikverband zufolge gehen zwei Drittel der heutigen Fahrer in den nächsten fünfzehn Jahren in Rente. Trotzdem ist und bleibt es für mich ein Beruf mit Zukunft.

Wie sehr wird die Digitalisierung die Branche verändern?

Die Digitalisierung und Vernetzung der Daten machen den Lkw noch effizienter und wirtschaftlicher. Der Lkw ist immer online, immer vernetzt, voll beladen und hat keine Ausfälle oder Wartezeiten. Daten werden zunehmend wichtiger. Denn die Daten, die wir in Zukunft aus dem Lkw, aber auch aus anderen Komponenten des Transportweges - Infrastruktur, andere Fahrzeuge und so weiter - bekommen, werden immer stärker vernetzt. Einzelne Systeme, die bisher autark sind, werden untereinander kommunizieren und schaffen eine ideale Grundlage für die Vision "Seamless Transportation", also den nahtlosen Transport.

Wie nehmen Sie auf dem Weg die kleinen und mittelständischen Transportunternehmen mit?

Digitalisierung führt zu höherer Effizienz beim Anbieter. Dieser Fortschritt und die intelligente Nutzung der Digitalisierung bieten Mittelständlern ganz andere Möglichkeiten. Das bringt meines Erachtens Vorteile gerade für unsere mittelständischen Unternehmer und Kunden.

Abseits der Zukunftsthemen: Wie steht es denn um die Weiterentwicklung von Actros und Co.?

Unsere Entwicklungen treiben wir mit großer Dynamik weiter voran, um unser Produkt kontinuierlich zu verbessern. So wie Sie das von einem Innovations- und Technologieführer auch erwarten dürfen.

Also ist ein Facelift beim Actros in Arbeit?

Ja! Aber mehr verrate ich jetzt nicht, es soll ja noch ein bisschen spannend bleiben.

Martin Daum

Der am 28.10.59 geborene Dipl.-Betriebswirt ist Nachfolger von Wolfgang Bernhard und verantwortlich für Daimler Trucks & Buses. Seine berufliche Laufbahn im Daimler-Konzern begann 1987. Er bekleidete verschiedene Positionen im Unternehmen. 2002 wurde er Mitglied der Geschäftsführung von Mercedes-Benz Lkw Europa. Er war u.a. Produktionsleiter von Mercedes-Benz Lkw, Leiter des Produktbereichs Unimog und Sonderfahrzeuge und davor Leiter Controlling Mercedes-Benz Lkw. Im Juni 2009 wurde Daum Präsident und CEO von Daimler Trucks North America. Er verantwortete die Leitung und Strategie der Daimler Trucks North America LLC sowie der Tochtergesellschaften. Seit März 2017 ist Daum Mitglied des Vorstands der Daimler AG.

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