Das Landgericht Lübeck hat in einem aktuellen Fall (Aktenzeichen 10 O 2277/23) entschieden, dass eine angepasste Fahrweise und ein angemessener Abstand zum Vordermann auf der Autobahn einzuhalten sind, grade und auch wenn eine unerlaubt angeschaltete Nebelschlussleuchte den Hintermann blendet und irritiert.
Kommt es zu einem Auffahrunfall, ohne dass der Vordermann ein weiteres verkehrswidriges Verhalten an den Tag legt, welches zum Unfall beiträgt, bleibt die Hauptschuld demnach beim Auffahrenden.
In dem Fall kam es bei Regen in einer Baustelle auf einer Autobahn zu einem Unfall. Ein Lkw fuhr dabei auf ein Auto auf. Das Auto hatte schon eine ganze Weile vor der Baustelle seine Nebelschlussleuchte angehabt, ohne dass dies erlaubt gewesen wäre. Diese darf nur bei Nebel und Sichtweiten von unter 50 Meter genutzt werden.
Der Lkw-Fahrer hatte mehrfach mittels Lichthupe versucht, den Autofahrer auf seinen Fehler aufmerksam zu machen. Denn die Leuchte blendete und irritierte ihn seiner Aussage zufolge.
Nach der Einfahrt in die Baustelle betätigte er wieder mehrfach die Lichthupe. Hier betrug der Abstand zwischen den Fahrzeugen noch die erlaubten 50 Meter. Lkw mit mehr als 3,5 Tonnen müssen auf Autobahnen diesen Mindestabstand zum Vordermann einhalten, wenn sie schneller als 50 km/h unterwegs sind.
Der Autofahrer bremste von etwa 75 auf 60 km/h ab, der Lkw-Fahrer konnte ebenfalls noch abbremsen. Der Abstand zwischen beiden Fahrzeugen betrug aber nun nur noch 20 Meter, der Lkw vergrößerte diesen nicht. Kurz darauf bremste der Autofahrer nach erneuten Lichthupensignalen von 65 wieder auf 60 km/h ab, es kam zur Kollision. Der Unfallhergang ließ sich durch eine Dashcam-Aufzeichnung des Lkws so genau darstellen.
In der einspurigen Baustelle wäre eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h erlaubt gewesen. Die Fahrbahn des Gegenverkehrs wurde direkt an der eigenen Spur vorbeigeführt und war nicht durch eine Leitplanke getrennt. Der Autofahrer hat behauptet, er habe seine Geschwindigkeit reduziert, weil ihn die Lichthupe ebenfalls blendete und er Sorge hatte, in den Gegenverkehr zu geraten.
Das Unternehmen des Lkw-Fahrers war der Auffassung, der Autofahrer habe Schuld, da die Nebelschlussleuchten den Fahrer in der erhöhten Sitzposition erheblich geblendet hatten, und er auch dadurch die Bremslichter erst später beziehungsweise zu spät habe erkennen können. Es verlangte daher Schadensersatz vom Autofahrer.
Die Richter stellten in ihrem Urteil klar: Der Halter des Lkw haftet zu 100 Prozent für den Schaden. Der Unfall ist nicht darauf zurückzuführen, dass dem Lkw-Fahrer wegen der Blendwirkung ein rechtzeitiges Bremsen auf ein unvorhersehbares Ereignis nicht möglich war, sondern darauf, dass er den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug in Kenntnis der Gesamtumstände nicht angemessen vergrößert hat.
Der Lkw-Fahrer habe trotz der Nebelschlussleuchten über eine längere Strecke hinter dem Autofahrer herfahren und seine Geschwindigkeit anpassen können, ohne einen Unfall zu verursachen. Wenn er die Bremslichter bei einem Abstand von 20 Meter aufgrund der Nebelschlussleuchten nicht mehr erkennen konnte, wäre es an ihm gewesen, den Abstand zu vergrößern, statt weiter zu verringern.
Er hätte zudem mit einem Bremsen rechnen müssen, da das Betätigen der Lichthupe den Autofahrer augenscheinlich nicht auf die Idee gebracht habe, die Lichter auszuschalten. Erfolge eine Reaktion des vorausfahrenden Fahrzeugs nicht, müsse ein Fahrzeugführer damit rechnen, dass dieses bei Dunkelheit in einem Baustellenbereich mit gegenläufigem Verkehr seine Geschwindigkeit anpasse.
Bei der Abwägung betonen die Richter, die wechselseitigen Verursachungsbeiträge und die allgemeine Betriebsgefahr treten vollständig hinter die Haftung des Halters vom Lkw zurück.
Bei Auffahrunfällen gehen die Gerichte zumeist davon aus, dass der Auffahrende den Unfall verursacht hat. Der Grund für den Auffahrunfall: Entweder habe der Fahrer den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten, war unaufmerksam oder sei mit einer den Straßen- und Sichtverhältnissen unangepassten Geschwindigkeit gefahren.
Ein Kraftfahrer ist demnach verpflichtet, seine Fahrweise so einzurichten, dass er notfalls rechtzeitig anhalten kann, wenn ein Hindernis auf der Fahrbahn auftaucht. Diesen sogenannten Anscheinsbeweis konnte der Halter des Lkws im vorliegenden Fall nicht entkräften. Entscheidend für die Beurteilung sind laut den Richtern vom Landgericht die Gesamtumstände, hier vor allem in Hinblick auf Geschwindigkeit und Lichtverhältnisse: Der Lkw sei zu dicht auf das Fahrzeug aufgefahren, um auf dessen Verhalten noch angemessen reagieren zu können.
Ein Anscheinsbeweis werde grundsätzlich selbst dann nicht erschüttert, wenn das vorausfahrende Fahrzeug ohne zwingenden Grund stark abgebremst wird. Im vorliegenden Fall haben weder ein starkes Bremsen noch ein Stillstand vorgelegen, die eine Reaktion des Lkw-Fahrers unmöglich gemacht hätten – selbst wenn er den Sicherheitsabstand eingehalten hätte.
Bei einem Auffahrunfall auf einer Autobahn könne grundsätzlich ein nennenswert zum Unfallgeschehen beitragendes Verhalten des vorausfahrenden Fahrzeugs zu einer Mithaftung des vorausfahrenden Fahrzeugs führen, erläutern die Richter. Aber das sei hier nicht der Fall gewesen.
Eine Mithaftung könne zum Beispiel vorliegen, wenn ein Fahrzeug nach seinem Überholvorgang wieder zurück auf die Spur wechselt und dann vor dem auffahrenden Fahrzeug abbremst. Ebenso sei dies der Fall, wenn ein vorausfahrendes Fahrzeug aufgrund eines Unfalls auf der Nachbarspur von einer Geschwindigkeit von 80 auf 5 km/h abbremst. Eine weitere Möglichkeit für eine Mithaftung bestehe, wenn ein vorausfahrendes Fahrzeug aufgrund einer Fehlfunktion des Bremsassistenten stark abbremst, bei einem Sicherheitsabstand von 35 m des nachfolgenden Lkw.