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Verkehrssicherheit: Wie gefährlich sind Lkw wirklich?

26.07.2016 08:00 Uhr
Verkehrssicherheit: Wie gefährlich sind Lkw wirklich?
Nach zahlreichen Unfällen wächst die ablehnende Haltung der Bevölkerung gegen Lkw
© Foto: Fotolia/chlodwigii

Eine Häufung schwerer Verkehrsunfälle sorgte in letzter Zeit für Schlagzeilen in den Medien. Lkw-Kontrollen ergeben ernüchternde Ergebnisse, die Stimmen besorgter Politiker mehren sich. Was ist dran an der "Gefahr Lkw"?

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Fünf Tote innerhalb von zwölf Stunden - zwei mal fahren Sattelzüge auf ein Stauende auf: Diese schreckliche Unfallbilanz zieht die Polizei Mitte Mai für einen Baustellenbereich am Kreuz Nürnberg-Ost auf der A 6. Eine Mutter mit drei Kindern und ein Lkw-Fahrer kommen auf der für den Güterverkehr wichtigen Ost-West-Verbindung ums Leben. Zwei Männer schweben noch in Lebensgefahr.

Nach den tödlichen Unfällen lesen sich die Schlagzeilen in den Nachrichtenblättern der Schwere der Unfälle entsprechend: Vorwürfe mehren sich, die Lkw-Fahrer hätten möglicherweise Lenk- und Ruhezeiten nicht eingehalten und seien eingeschlafen. Ergebnisse einer Schwerpunktkontrolle des Bundesamtes für Güterverkehr (BAG) im Raum Regensburg befeuern diesen Verdacht: Wenige Tage zuvor war dort bei gut einem Drittel! der 69 überprüften Lkw der Digitacho manipuliert.

BAYERNS POLITIKER REAGIERTEN RASCH

Es dauerte nicht lange, bis Bayerns Verkehrsminister Joachim Herrmann (CSU) reagierte "Es ist unverantwortlich", sagt er, "wenn Lkw-Fahrer übermüdet am Steuer sitzen." Da seien auch die Arbeitgeber bei den Speditionen gefordert, mahnte der CSU-Politiker öffentlich an. Vor allem bei Lkw aus Osteuropa stelle die Polizei regelmäßig fest, "dass Fahrer unter Druck gesetzt wurden, länger und über lange Strecken ununterbrochen am Lenkrad zu sitzen".

Hans Wormser, Präsident des Landesverbandes Bayerischer Transport- und Logistikunternehmer (LBT), wehrt sich gegen pauschale Anschuldigungen. Einzelne tragische Ereignisse dürften nicht zum Anlass genommen werden, dass die gesamte Branche kriminalisiert werde, weil sie angeblich ihre Fahrer zwinge, Vorschriften zu Ruhezeiten zu umgehen, betont er. "Bei aller Dramatik der Geschehnisse darf nicht übersehen werden, dass der Schwerverkehr in Deutschland und Europa in den letzten Jahren Quantensprünge bei der Verkehrssicherheit gemacht hat."

Aktuelle Zahlen des Bundesamtes für Statistik (Destatis) geben dem Herzogenauracher Spediteur Recht: Demnach hat sich die Anzahl der bei Verkehrsunfällen mit Lkw-Beteiligung getöteten Menschen auf Deutschlands Straßen im Zeitraum von 1992 bis 2014 um 59,7 Prozent verringert. Die Zahl der Schwerverletzten bei Unfällen mit Lkw-Beteiligung verringerte sich im selben Zeitraum um 45,8 Prozent. Es dürfe nicht vergessen werden, dass gleichzeitig die Transportleistung um 85,3 Prozent zugenommen habe, so Wormser. Fast zwei Drittel (63,5 Prozent) aller an Personenschadenunfällen Beteiligten sind Pkw-Fahrer; Lkw-Fahrer sind laut Destatis lediglich in 5,5 Prozent der Situationen beteiligt.

Ärgerlich sei allerdings, dass ganze Lkw-Flotten und deren Fahrer - vor allem osteuropäischer Herkunft - wochen- und monatelang in Westeuropa unterwegs sind und sich dabei nicht an die einschlägigen Regeln halten. Wormser hält dies für einen gefährlichen Trend, weil es dadurch vor allem auf den Transitrouten häufig krache. Deswegen fordert der LBT eine Revision der EU-Regelungen zur Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit.

Zwar sei es richtig, dass der Anteil der ausländischen Fuhrunternehmer auf deutschen Straßen und damit mancherorts das Unfallrisiko steigt. Die Zahl der Verstöße gegen das Straßenverkehrsrecht und das Fahrpersonalrecht nimmt laut dem BAG insgesamt aber ab. Dessen Kontrollstatistiken belegen zudem, dass sich auch viele deutsche Spediteure und Transporteure nicht an die Vorschriften zu Lenkund Ruhezeiten halten.

IN NIEDERSACHSEN PASSIERT (ZU) VIEL AUF DER A 2

Bayern ist nicht das einzige Bundesland, in dem der Lkw immer mehr in den Fokus von Politik und Medien rückt. Bei einer Kontrolle auf der stark befahrenen A 2 östlich von Hannover ertappt die Polizei vor gut einem Monat binnen vier Stunden 627 mögliche Abstandsund Temposünder. Zudem werden bei der Verkehrsüberwachung zwischen den Abfahrten Hämelerwald und Lehrte-Ost 15 Lastzüge herausgewunken, die das Überholverbot ignoriert haben. Das Videomaterial ist noch nicht komplett ausgewertet, aber bereits das vorläufige Ergebnis ist ein Image-Crash für die Branche.

Und diese Bestandsaufnahme ist kein Einzelfall. Bei einer weiteren Großkontrolle auf der A 2 bei Helmstedt stellt die Polizei kurz darauf erneut fest, dass Lkw-Fahrer oft nicht den vorgeschriebenen Mindestabstand von 50 Metern zum Vordermann einhalten.

"Die Unfallzahlen waren jahrelang rückläufig, aber jetzt steigen sie wieder - gerade auf der A 2", sagt Armin Noske von der Autobahnpolizei Braunschweig. Vor allem wegen mehrerer Baustellen. Was Verstöße beim Abstand angehe, würden sich einheimische und ausländische Lkw-Fahrer nicht viel unterscheiden, schätzt er. "Bei den technischen Mängeln fallen die osteuropäischen Wagen aber häufiger ins Auge."

Rund 30.000 Lkw sind auf der A 2 täglich unterwegs. Laut Noske liegt der Anteil gebietsfremder Fahrzeuge dabei bei rund 80 Prozent. In inzwischen jeden zweiten Unfall ist auf der A 2 ein Sattelzug verwickelt.

Der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes Verkehrsgewerbe Niedersachsen (GVN), Benjamin Sokolovic, fordert die Mitglieder angesichts einer Serie schwerer Unfälle auf der Ost-West-Achse in jüngerer Vergangenenheit auf, ihre Fahrer regelmäßig entsprechend zu schulen.

Niedersachsens Landesregierung hat parallel mehrere Maßnahmen beschlossen: Innenminister Boris Pistorius und Verkehrsminister Olaf Lies wollen künftig auf dem A2-Abschnitt im Großraum Hannover und Braunschweig verstärkt Kontrollen durchführen lassen und weit vor Beginn einer Baustelle ein Tempolimit von 60 Stundenkilometern für Lkw einführen.

FORDERUNG NACH DOPPELT SO HOHEN BUSSGELDERN

Die SPD-Politiker verlangen zudem, die Bußgelder für Lkw-Fahrer, die den Mindestabstand zu anderen Fahrzeugen nicht einhalten, auf Bundesebene drastisch zu erhöhen. Bisher liegen diese bei 80 Euro pro Verstoß. Die Strafen müssten mindestens verdoppelt werden, damit sie Wirkung zeigten, meinen die Landespolitiker.

Höhere Bußgelder allein genügten leider nicht, erklärt Lies mit Blick auf die zunehmenden Unfälle, die Lkw-Fahrer aus Nachbarländern verursachen: Die Kontrollbehörden müssten auch in der Lage sein, Fehlverhalten bis über die Grenzen Deutschlands zu verfolgen und zu ahnden. Im Gegensatz zu Tempo- und Überholverstößen ist dies bisher wegen EU-Bestimmungen nicht möglich. Das Bundesverkehrsministerium solle sich auf europäischer Ebene daher für die Erweiterung der entsprechenden Richtlinie einsetzen, betont Lies.

MEHR LKW-KONTROLLEN IN BAYERN GEPLANT

Sein Amtskollege in Bayern plant ebenfalls, den Kontrolldruck auf das Straßengütergewerbe zu erhöhen. Ein entsprechendes Programm hat Joachim Herrmann in der vergangenen Woche vorgestellt. "Damit werden wir verstärkt gegen die Hauptursachen schwerer Lkw-Unfälle vorgehen: Fehlender Sicherheitsabstand, nicht angepasste Geschwindigkeit, Übermüdung und technische Mängel", so der Politiker. Neben mobilen Kontrollen setzt der Minister stärker auf stationäre Lkw-Prüfstellen: "Dazu werden wir bayernweit feste Kontrollstellen in Anlehnung an ein österreichisches Modell aufbauen". Polizei und BAG sollen so tageszeit- und wetterunabhängig den Straßengüterverkehr besser kontrollieren können.

In der Diskussion um eine Pflicht zum Einbau von Fahrerassistenzsystemen in allen Lkw sehen er und Amtskollege Lies die EU in der Pflicht. Bisher sind solche Systeme nur für Neufahrzeuge vorgeschrieben, nicht aber für den weit größeren Teil der Bestands-Lkw.

Bis solche Nachrüstlösungen für Alt-Lkw technisch und rechtlich in der EU umgesetzt sind, "würden vermutlich mehrere Jahre vergehen", kontert Joachim Damasky, Technischer Geschäftsführer des Verbands der Automobilindustrie (VDA) das Politiker-Ansinnen. Vor allem Fernverkehrsflotten seien bis dahin längst erneuert und auf diesem Weg mit den heute längst vorgeschriebenen Fahrerassistenzsystemen ausgestattet.

Die Verkehrspolitiker und -verbände appellieren überdies an die Fahrzeughersteller, dafür zu sorgen, dass sich das Notbremssystem und der Spurverlassenswarner - beides seit 2015 vorgeschrieben und deaktivierbar - nach einer bestimmten Zeit wieder von selbst anschalten. "Lkw Fahrer schalten diese Systeme regelmäßig ab, weil sie ihnen in die Quere kommen, wenn sie so dicht auffahren, wie sie gerne möchten", erläutert Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft. Ergänzend zu den existierenden Hilfssystemen plädiert er dafür, den Einbau eines Abbiegeassistenten vorzuschreiben, da Lkw an Unfällen mit Radfahrern in Städten einen gravierenden Anteil hätten. Bislang entwickelte Systeme würden nicht zuverlässig funktionieren.

VIELE VORSCHLÄGE, ABER ZU WENIGE SPEZIALISTEN

Die Vertreter des deutschen Güterverkehrgewerbes begrüßen die Intensivierung der Lkw-Kontrollen zwar. Sie wissen aber, dass den zuständigen Behörden schon heute das Personal fehlt, um das ständig wachsende Aufgabenpensum zu bewältigen. Die Wahrscheinlichkeit für Lkw-Fahrer, in eine Kontrolle der Polizei oder des BAG zu geraten, liegt derzeit höchstens bei 1 zu 1000.

Deshalb will sich Bayerns Verkehrsminister Herrmann beim nächsten Doppelhaushalt nachdrücklich für zusätzliche Stellen bei der Verkehrspolizei starkmachen. An dieses Versprechen sollten ihn die Spediteure und Transporteure erinnern, wenn er den Lkw mal wieder zur Straßengefahr ausruft.

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