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Deutrans: Die Lieferanten für den Klassenfeind

21.09.2015 08:00 Uhr
Deutrans: Die Lieferanten für den Klassenfeind
Deutrans war einst für den Verkehr zwischen Ost und West zuständig
© Foto: Jan Burgdorf

Bis zu 4500 Laster rollten für die DDR-Spedition Deutrans, vorrangig westliche Lkw-Marken. Unser Report beleuchtet die Hintergründe beim einstigen Riesen.

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Die Farbe Orange werden die meisten wahrscheinlich mit unseren niederländischen Nachbarn verbinden? Leser älteren Semesters könnten allerdings auch an die VEB Deutrans, die einzige grenzüberschreitende Spedition der DDR, denken. Deren Laster waren nämlich in der auffälligen Signalfarbe RAL 2003 (Pastellorange) lackiert und in den 80er-Jahren allgegenwärtig. Kurioserweise übrigens vor allem auf westdeutschen Autobahnen.

Denn Waren aus der DDR rauszuschaffen, das war die Berufung der Deutrans. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs suchten die siegreichen Sowjets einen Transporteur, der als "Wiedergutmachung der deutschen Schuld" Reparationsgüter aus der besetzten deutschen Zone nach Russland transportierten sollte. Dafür reaktivierte man die 1934 aufgelöste Derutra (Deutsch-Russische-Transportgesellschaft). Deren größtes Problem: Es mangelte so kurz nach dem Krieg an Lastwagen, um das "Beute-", "Reparations"- und "Trophäen-Gut" ostwärts zu schaffen. Und die wenigen Trucks, die der Derutra zur Verfügung standen, befanden sich in einem beklagenswerten Zustand. Zumeist handelte es sich um ausgediente russische GAZ-Armeelaster oder um an den Grenzen - aus für den Besitzer oft kaum nachvollziehbaren Gründen - beschlagnahmte Lkw aus dem Westen.

Die einseitigen Verkehre, mit Ladung raus, aber ohne wieder zurück, brachten ein neues Problem: Die noch junge DDR blutete aus, ein wirtschaftlicher Aufschwung und damit der Beweis für die Überlegenheit des Sozialismus war so nicht zu machen - was im berühmten Volksaufstand von 1954 mündete. Den schlugen die Sowjets zwar bekanntermaßen blutig nieder, aber man erkannte doch den politischen Handlungsbedarf.

DIE IMMERFORT KLAMME DDR WAR HUNGRIG NACH HARTER WÄHRUNG

In der Folge wurde die Derutra in "VEB Deutrans - Internationale Spedition" umbenannt. Der Außenhandel stand nun im Vordergrund, vor allem hatte die Deutrans aber einen Auftrag: Valuta-Beschaffung. Heißt übersetzt, viele Geschäfte in harter Währung westlicher Länder am liebsten in Dollar oder D-Mark abzuwickeln, sprich Cash für die immerfort klamme DDR einzufahren.

Dafür verkaufte das Land meist zu günstigen Preisen Industriegüter und zuletzt sogar ihren Hausstand in den Westen. Konkretes Beispiel gefällig? Als immer mehr westdeutsche Städte Mitte der 80er-Jahre ihre Ortskerne mit authentischem Kopfsteinpflaster verschönern wollten, witterte die DDR das Geschäft. Kurzerhand wurde das im Osten allgegenwärtige Naturpflaster aus den Straßen gerissen und per Lkw in den Westen geschafft - selbstredend gegen harte D-Mark. Auch diese Transporte führte die Deutrans durch, wie unzählige andere.

Davon zeugen die knapp 4500 Fahrzeuge, die 1989 im Auftrag der Deutrans unterwegs waren. Sie konnten sich im Westen nach Belieben bewegen. Denn die DDR, die ansonsten auf der Existenz zweier deutscher Staaten beharrte, nutzte in diesem Fall gerne die politische Ansicht der "BRD" aus, nach der die DDR eben kein Ausland war. Weshalb für die Deutrans die gleichen Regeln galten wie für westdeutsche Transportunternehmen und sie nach Herzenslust Transportaufträge annehmen durfte. Gern fungierte die Deutrans als Subunternehmer für westliche Spediteure. Und die nahmen die Dienste der Ostdeutschen nicht ungern in Anspruch. Konnte die Deutrans doch viel günstiger transportieren, denn Material und Gehalt der Deutrans-Fahrer wurden in billiger DDR-Mark bezahlt, während die westlichen Auftraggeber die Deutrans natürlich in D-Mark entlohnten - für die eigentlich "antikapitalistische" DDR ein lohnendes Geschäft. Viele Freunde machte sich die orangefarbene Flotte mit dieser Strategie bei westdeutschen Transportunternehmen natürlich nicht, vor allem nicht bei den kleineren. Die Deutrans war als Billigspediteur und Preisunterbieter verschrien. Und mancher Deutrans-Fahrer soll seinen Lkw nach einer Nacht im kapitalistischen Ausland auch schon mal mit zerstochenen Reifen vorgefunden haben ...

Letztere waren übrigens fast immer auf modernen West-Lkw montiert. Für Fahrten ins kapitalistische Ausland erachtete die DDR-Führung die heimischen Ifa wie auch die Liaz, Kamaz oder Jelcz aus den kommunistischen Bruderstaaten als nicht gut und vor allem nicht wirtschaftlich genug. Anders als ihre Ost-Kollegen mussten sich Deutrans-Fahrer also nicht mit den wenig zuverlässigen Ost-Trucks herumschlagen, die nicht erst Ende der 80er-Jahre hoffnungslos veraltet waren. Schließlich sollten die Deutrans-Laster auch als lupenreines Aushängeschild für die Überlegenheit des Sozialismus dienen, was mit altersschwachen Trucks eben nicht zu machen war. Dafür schreckten die Verantwortlichen selbst vor der Anschaffung der Laster mit dem Stern - eigentlich ein "böses" Sinnbild des Kapitalismus - nicht zurück.

IM FUHRPARK DER DEUTRANS GAB ES NICHTS, WAS ES NICHT GAB

Im bunt gemischten Deutrans-Fuhrpark fand sich aber fast alles, was der westdeutsche Nutzfahrzeugmarkt hergab. Erste "Import-Marken" waren 1961 der französische Hersteller Saviem und britische Leylands. Im Laufe der Jahre rollten beispielsweise auch Lastwagen der Marken Mercedes, MAN, Daf, Iveco, Volvo und Anfang der 80er-Jahre selbst der legendäre Ford Transconti in Orange. Der ebenfalls angeschaffte kleinere Bruder Ford Cargo konnte die Ansprüche der Deutrans-Verantwortlichen dagegen nicht befriedigen. Ende der 80er-Jahre schafften es dann noch einzelne österreichische Steyr-Zugmaschinen oder MAN-F8-Volumenzüge mit Dachschlafkabinen in die Deutrans-Flotte.

Dass die Deutrans-Fahrer aber vorrangig auf Volvo unterwegs waren, hatte weniger mit der Qualität der Schweden-Trucks zu tun, als vielmehr mit der Tatsache, dass die DDR rege Wirtschaftsbeziehungen zu den Skandinaviern unterhielt. Und da in der DDR Geld, erst recht in westlicher Währung, immer knapp war, bezahlte man die Volvo F 88/89 und die späteren F 10 mit materiellen Gütern im Tauschgeschäft.

Genug Fahrzeuge hatte die Deutrans trotz ihrer enormen Fuhrparkgröße nie. Was sich noch dadurch verstärkte, dass die DDR-Führung immer "valuta-hungriger" wurde. Dagegen standen aber rückläufige Marktpreise im Westen. Als einziger Ausweg blieb da nur die Vergrößerung des Umsatzes, also der Flotte, wofür der DDR allerdings die nötige Finanzkraft fehlte. Weshalb es aus Not dann doch öfter dazu kam, dass sich ein altersschwacher, untermotorisierter Liaz nach Westdeutschland verirrte und dort den "modernen" Verkehr aufhielt.

Da half es dann wenig, dass die Verantwortlichen auch bei ihren Fahrern hohen Wert auf ein gepflegtes Äußeres und gute Umgangsformen legten. Überhaupt wählte die Deutrans ihr Fahrpersonal sehr sorgsam aus. Ob auch eine Stasi-Mitarbeit Einstellungsvoraussetzung war, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Fest steht dagegen, dass man natürlich besonders auf eine loyale Haltung zur DDR und ihrem System achtete. Und darauf, dass die Fahrer keine Verwandtschaftsverhältnisse im Westen, dafür zuhause eine intakte Familie vorweisen konnten. Schließlich wollte man die Gefahr so gering wie möglich halten, dass jemand den Versuchungen des Kapitalismus erlegen und samt seinem Volvo F 10 im Westen bleiben könnte.

Wer diesen Anforderungen nicht entsprach, für den blieb der Komfort eines West-Trucks verwehrt und die Welt endete, wie für den Großteil der DDR-Bürger, an der innerdeutschen Grenze. Kein Wunder, dass den Deutrans-Fahrern viele mit einer gehörigen Portion Neid und Missgunst begegneten und ihre höher gestellten Kollegen abfällig als "Lackschuhbrigade" bezeichneten. Denn diese genossen weitere Privilegien, die übrigens noch heute als vorbildlich gelten: Die Deutrans legte Wert auf eine gute Ausbildung ihrer Fahrer. Regelmäßige Kurse in wirtschaftlichem Fahren oder in Fahrzeugtechnik waren ebenso selbstverständlich wie das Trainieren des korrekten Verhaltens an Be- und Entladestellen, des Umgangs mit der anvertrauten Fracht und eines zurückhaltenden Fahrstils. Auch das korrekte Verhalten im Falle eines eventuellen Unfalls im westlichen Ausland wurde durchgespielt. Kein Wunder, dass sich nach der politischen Wende viele westdeutsche Transportunternehmen gerne aus diesem gut ausgebildeten Fundus bedienten.

Denn einen neuen Job brauchten auch die Deutrans-Fahrer nach der Wende. Eine Chance hatte der Transportmonopolist der DDR nach deren Ende nämlich nicht. Wurden doch alle von der Deutrans eingefahrenen Valuta-Einnahmen im Staatshaushalt verbrannt. Finanzielle Rücklagen besaß das "Unternehmen" deshalb keine, der Großteil des Fuhrparks war veraltet und ohne die DDR-Privilegien in der freien Marktwirtschaft nicht mehr konkurrenzfähig.

DIE DEUTRANS WURDE ANFANG DER 90ER-JAHRE NACH UND NACH AUFGELÖST

Zudem trug die wirkungsvolle Lobbyarbeit westdeutscher Transportverbände ihren Teil bei, die natürlich der Reaktivierung des Riesen Deutrans mit mehreren Tausend Lastwagen als künftigen Konkurrenten unbedingt verhindern wollten. Da halfen weder kleinere Kooperationen wie beispielsweise mit Kühne + Nagel oder Danzas, noch das neue Erscheinungsbild der Lastwagen in modernem Weiß. Immer mehr Teile von Deutrans wurden nach und nach herausgelöst und von Westfirmen aufgekauft.

Bis 1992 mit der Löschung der Deutrans aus dem Handelsregister endgültig Schluss war. Spätestens ab diesem Zeitpunkt gehörte die Farbe Orange dann wieder ganz unseren niederländischen Nachbarn.

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