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Griechische Tragödie

01.10.2012 08:00 Uhr
Griechische Tragödie
LKW-Fahrer Silgmann: "Das Land ist überfordert"
© Foto: Richard Kienberger

Die Krise Griechenlands beherrscht die Schlagzeilen. Auch die Transporteure leiden.

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Wo trifft man in Griechenland heute noch Philosophen? Richtig, in der Kneipe und beim Friseur. Coiffeur Georgios ist ein Meister seines Fachs und hat sich seine Ansichten über das griechische Elend längst zurecht gelegt. Er verachtet die Politikerkaste, die meisten sind für ihn nur Büttel der Banken. Und er verachtet Leute, die das Geld wie einen Gott verehren.

Gut, Geld ist nicht unwichtig, aber ein Götze, dem die ganze Existenz untergeordnet wird? Wie viele seiner Landsleute will Georgios einfach nur vernünftig leben, was in Griechenland allerdings immer schwieriger wird. Mag sein, dass der Salon, in dem der Figaro als Angestellter arbeitet, in einer guten Gegend liegt. Georgios hat doch recht, wenn er behauptet, dass eine gute Frisur vor allem den Griechinnen enorm wichtig ist. Krise hin oder her. Jedenfalls scheinen er und seine Kolleginnen weniger arg vom Niedergang erwischt zu werden als zum Beispiel die Transportunternehmer.

Andreas Novas empfängt uns am späten Sonntagvormittag in seinem Betrieb. Morgens um halb fünf sei er mit dem Truck von einer Tour zurückgekommen, berichtet der Transporteur, der einen kleinen und wild gemischten Fuhrpark betreibt. Selbst zu arbeiten war immer schon selbstverständlich für ihn. Seit sein Land tief in der Rezession steckt, ist es eben noch mehr geworden. Nur am Sonntag zwischen Mittag und der nächsten Tour am Abend oder Montagfrüh findet der 38-Jährige, der bald Vater wird, Zeit, um auszuspannen.

Selbstfahrende Unternehmer wie Andreas, von denen es in Griechenland jede Menge gibt, kämpfen an mehreren Fronten. Da ist zum Beispiel der Dieselpreis, der den Truckern schwer zu schaffen macht. Der liegt zwar auch nur auf dem hohen europäischen Niveau. Doch in Griechenland passierte der Sprung von einem auf 1,65 Euro innerhalb von nur zwei Jahren, ohne dass die Unternehmer eine Chance hatten, die höheren Kosten weiterzugeben. Zum Teil, berichtet Novas aus seiner täglichen Erfahrung, würden die Frachtraten aufgrund des harten Wettbewerbs sogar noch weiter gedrückt.

Axel Silgmann ist ein Fahrer, der nicht nur schimpft, sondern nachdenkt. Der Deutsche fährt einen Actros 1848 mit offenem Tieflader, auf dem eine ansehnliche Segel yacht vertäut ist. Zwanzig mal im Jahr kommt Silgmann nach Griechenland. Die Boote werden in Deutschland gebaut für griechische Kunden. Offenbar gibt es im gebeutelten Land noch Bürger mit gefülltem Portemonnaie. Ein Wintergeschäft. Die Tour kurz vor Ostern war für Axel die letzte der Saison.

Silgmann glaubt, dass das Problem Griechenland überfordert: Wie soll ein zerfallender Staat damit fertig werden? In der Tat scheint es so, als würden die anderen Europäer das Land und damit auch die nervösen Fernfahrer mit dem Problem weitgehend allein lassen.

Auf der einen Seite wird ein Staat, der de facto ruiniert ist, kaum in der Lage sein, knapp 14.000 Kilometer Meeresküsten effektiv zu überwachen. Auf der anderen Seite organisieren hochprofitable, mafiöse Organisationen das Milliardengeschäft des Menschenschmuggels. Auch Silgmann hatte vor einiger Zeit unwissentlich schon einen illegalen Flüchtling mit an Bord, der sich im Motortunnel versteckt hatte. Und auch diese schon lange bestehende Problematik scheint sich mit der Krise und dem finanziellen Druck verschärft zu haben.

SCHECK VOM OKTOBER 2011: FÄLLIGKEIT JUNI 2012

Ein weiteres Problem ist die schlechte Zahlungsmoral der Kunden, die auch auf angestellte Fahrer durchschlägt. Wenn der Boss kein Geld hat, kann er auch keinen Lohn überweisen. Novas holt einen Scheck aus dem Safe, den er im vergangenen Oktober erhalten hat. Das Datum, an dem der Scheck fällig wird: 30. Juni 2012. Um wenigstens etwas Geld in die leeren Kassen zu kriegen, nehmen viele der klammen Unternehmer Fuhren an, die so schlecht bezahlt werden, dass davon nicht mal die Kosten gedeckt sind. Um etwa ein Drittel ging das Geschäft zurück, einen Fahrer musste Novas entlassen.

Seine Trucks sind acht, zehn und einer sogar fünfzehn Jahre alt. Er würde sich gerne neuere anschaffen, aber daran ist im Moment nicht zu denken. Andreas Novas ist überzeugt davon, dass die Krise nur kleine Familienbetriebe überleben werden, in denen der Chef auch Fahrer ist und sich intensiv um seinen Betrieb kümmert. Er selbst kommt unter der Woche gegen 4.30 Uhr auf den Hof und arbeitet nicht nur als Chauffeur, sondern auch als sein eigener Lagerist, Mechaniker, Disponent und Buchhalter. Vor 22 Uhr ist er daher selten zu Hause.

Nicht nur Novas klagt über die illegale Konkurrenz durch Transporteure aus den Nachbarländern Albanien, Mazedonien und Bulgarien. Dort sind die Rahmenbedingungen für Transportunternehmer ungleich besser. In Bulgarien verdient ein Fahrer ein Zehntel seiner griechischen Kollegen. Die Steuern und Sozialabgaben sind dort außerdem viel niedriger.

Ein Teil der Billigkonkurrenz fährt zwar legal in Griechenland, zahlreiche Firmen übernehmen aber illegale Kabotagetransporte. Daher sind die griechischen Fernfahrer und ihre Chefs wohl die einzigen in ganz Europa, die permanent mehr Polizeikontrollen fordern, sagt Petros Skoulikidis, der als Präsident des Griechischen Syndikats für Straßengütertransport rund 15.000 Mitgliedsfirmen repräsentiert. So erhofft man sich weniger illegale Konkurrenz.

MAXIME DES HANDELNS: IRGENDWIE DURCHHALTEN

Unternehmer Andreas Novas gibt durchaus zu, dass ein Teil der Probleme hausgemacht ist: Einige griechische Agenten und Verlader geben diesen Leuten viele Frachten, weil sie dabei einen größeren Profit machen.

Petros Skoulikidis wünscht sich, dass die Kontrollen auch auf den Werksverkehr ausgedehnt werden, den seine Mitglieder ebenfalls mit Argwohn beobachten. Die Vergabe einer Lizenz für Werksverkehr war ursprünglich an den Umsatz des jeweiligen Unternehmens gekoppelt. Doch ob die Relation noch stimmt und was diese Leute wirklich transportieren, wurde nie nachhaltig kontrolliert."

Wie viele ihrer Landsleute so glauben Skoulikidis und Novas, dass die Talsohle Ende des Jahres erreicht sein wird: "Danach wird es hoffentlich nicht noch schlechter werden." An eine Besserung sei frühestens in vier oder fünf Jahren zu denken. So lange, hofft der 38-Jährige, werde er irgendwie durchhalten. Denn: "Ich liebe meinen Truck, ich liebe mein Leben."

Gerade einmal 60 neue Lastwagen hat MAN im vergangen Jahr in Griechenland noch verkauft. Auch bei den Herstellern und ihren Importgesellschaften hat der ökonomische Kollaps tiefe Spuren hinterlassen. Ebenso wie die Mitarbeiter musste Roland Schacht, Chef der Importgesellschaft, auf einen Teil seines Gehalts verzichten und sich innerhalb des Konzerns einen zweiten Job suchen.

Was Marktkenner Schacht über die Folgen der Krise berichtet, klingt streckenweise beunruhigend: Viele Transporteure erledigen nur noch die nötigsten Servicearbeiten, kaufen billige Imitate statt der Original-Ersatzteile und sparen sogar bei essentiellen Baugruppen wie den Bremsen. Und wenn das alles noch nicht reicht, um zu überleben, kündigen einige sogar die Versicherung. Eine Horrorvorstellung: Ein Truck mit miserablen Bremsbelägen, der ohne Versicherungsschutz unterwegs ist.

Einen anderen Weg geht Konstantinos Sachlas, Chef des Transportunternehmens KFS. Sachlas, der zwar über rund dreißig Trucks gebietet, aber immer noch regelmäßig selbst am Steuer sitzt, will in Kürze eine weitere Niederlassung eröffnen, ausgerechnet in Bulgarien. Das hätte ich schon längst tun sollen, grollt der Liebhaber schneller Sportwagen, der die Hälfte seiner Laster zu Hause in Griechenland und die andere Hälfte bei seiner Münchener Niederlassung angemeldet hat.

KEINE CHANCE OHNE EINE BULGARISCHE FILIALE

Ohne die Möglichkeit, im billigen Nachbarland Kosten zu sparen, habe er keine Überlebenschance, ist der selbstfahrende Unternehmer überzeugt, der seit 26 Jahren mit Schenker zusammenarbeitet. Denn die Kunden würden es schlichtweg ablehnen, einen Teil der stark gestiegenen Kosten in Form höherer Frachtraten zu übernehmen. Als Beispiel führt Sachlas neben der üblichen Klage über die Treibstoffpreise die Mauttarife an. Die Strecke Athen-Thessaloniki, das sind rund 500 Kilometer, kostete vor drei Jahren noch vierzig Euro. Inzwischen müssen die Unternehmer für die gleiche Distanz satte 175 Euro bezahlen.

Ich wuchs mit dem Traum auf, Fernfahrer zu werden, erzählt Konstantinos. 1976 war es so weit. Wie damals in Griechenland üblich, begann er offiziell als Beifahrer. Wobei anklingt, dass er zuvor schon die eine oder andere Runde als Trucker gedreht hat. Wenig später war er Fahrer auf einem hochbetagten Volvo. Der erste eigene Lastwagen war ein Scania. Sachlas blieb den Schweden bis heute treu. So einer gibt nicht einfach auf, er wird um sein Geschäft kämpfen. Genauso wie Novas und die vielen anderen, die damit klar kommen müssen, dass in Griechenland momentan rein gar nichts mehr richtig rund läuft. Richard Kienberger

Hintergrund - Ein (Straßen) Bild der Verwüstung

Zugegeben die Athener Innenstadt mit der Trümmerlandschaft der somalischen Hauptstadt zu vergleichen, ist ein wenig provokant. Doch viele Straßenzüge der griechischen Metropole, in der uralte T2-Transporter von Mercedes und ähnliche Veteranen noch ein alltäglicher Anblick sind, erinnern unweigerlich an die verkommen en Viertel in den vielen verlorenen Städten Afrikas oder Asiens. Zehntausende Graffiti, zerborstene Schaufensterscheiben, leerstehende Läden oder ausgebrannte Ruinen vermitteln ein ebenso ungeschminktes wie schockierendes Bild von den augenblicklichen Zuständen in Griechenland. Auch Transportunternehmer Andreas Novas beklagt sich über die Steuerungerechtigkeit in seinem Land. Der These, dass Europas Sorgenkind heute viel besser da stehen würde, wenn die vielen reichen Griechen oder Unternehmen beizeiten das Wort Solidarität zu buchstabieren gelernt oder aber vom Staat zur Kasse gebeten worden wären, stimmt er sofort zu.

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