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Kaelble KDV 22 E8: Das Monster von Moosach

22.11.2016 08:00 Uhr
Kaelble KDV 22 E8: Das Monster von Moosach
Meillers Kaelble KDV 22 E 8 wieder in natürlicher Umgebung
© Foto: Gregor Soller

Meiller erfindet sich gerade ein Stück weit neu - ohne die Vergangenheit aus den Augen zu verlieren. Das zeigt auch die Restauration eines 1963er Kaelble.

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Die Existenz des "Monsters von Moosach" verdanken wir wie bei vielen Oldtimer-Stories dem Kollegen Zufall. Hier heißt er Jacky Below, ist Geschäftsführer bei Meiller Frankreich und entdeckte bei einem gewissen Monsieur Leonard im Elsass einen ziemlich abgerockten Kaelble KDV 22 E 8.

Von dem wurden bis 1963 keine 50 Stück gebaut und nur die Hälfte davon wurde mit Meiller-Brücken zu schweren Kippern gemacht. 146.000 Mark kostete so ein Kaelble einst. Nach heutigem Geldwert rund 1,18 Millionen Mark respektive knapp 590.000 Euro! So viel zum Vorurteil, alles würde immer teurer.

AM ANFANG: 17 TONNEN ALTEISEN - NICHT FAHRBEREIT

Oldtimerfan Below legte der Münchener Zentrale diese seltene Gelegenheit wärmstens ans Herz. Das Marketing - und Gott sei Dank auch Meiller-Geschäftsführer Dr. Daniel Böhmer - erkannten die Chance, den seltenen Riesen irgendwie als Imageträger zu nutzen.

So kam der rostige Recke Ende März 2012 per Tieflader ins Stammwerk nach München-Moosach. Rückblickend bezeichnet ihn Meillers "Chefrestaurator" Sebastian Schmidt als "17 Tonnen Alteisen - nicht fahrbereit". Angesichts dieser Tatsache erkor man die Bauma 2016 als Zieldatum der Fertigstellung. Die Restauration erforderte etwas internes Marketing, das sicherheitshalber unter dem Motto "Jeder darf, keiner muss" ausgegeben wurde. Aber es wollten viele und das Projekt schweißte sie zusammen - im wahrsten Sinne des Wortes, denn zusammenzuschweißen sollte bei diesem Auto noch einiges sein!

Schmidt erkannte schnell, dass es ohne Kaelble-Experten und -Archivdaten nicht klappen würde. So lernte Schmidt viele neue Freunde und Helfer kennen und konnte bald einen Restaurierungsplan aufstellen. Er entschied sich für eine Mischung aus so viel Substanzerhaltung wie möglich und gemäßigter "Besser-als-Neu"-Aufbereitung. Komplett neu musste die Mulde aufgebaut werden, denn die alte hatte im Laufe der Jahre schätzungsweise 5,6 Millionen Kubikmeter Material bewegt - ungefähr den doppelten Inhalt der Münchener Allianz-Arena. Rost und die Zeit gaben dem Original den Rest.

DIE KIPPBRÜCKEN WURDEN TEILS IM KOPF FERTIG GEBAUT

Allerdings gab es im Archiv nur Baugruppenzeichnungen samt der wesentlichen Einzelteile und Anschlussmaße - mehr nicht. Knotenbleche, Winkel, Halter oder Streben existierten nur als Skizzen in Arbeitsplänen und wurden nach Bedarf individuell gefertigt. So entstand, vornehmlich in den Pausen und Abendstunden der Kollegen im tschechischen Slany, eine neue Kippbrücke: zuerst auf CAD, dann im Original, lackiert im ursprünglichen Farbton RAL 1007.

Stolz war man auf die Meillereigene Hydraulik: Nur die Lagerbuchsen und Kipperpumpe mussten ersetzt werden, während die Hydraulikanlage selbst den korrekten Betriebsdruck bereitstellte und Kipperpresse und das Kippventil auf Anhieb alle Prüfstandsläufe bestanden. Noch heute kippt die leere Mulde in schnellen 14 Sekunden!

Das, obwohl der Kaelble hart rangenommen wurde, wie dessen teils verbogener Rahmen zeigte. Der verriet Schmidt auch, dass der Kipper seinem Namen schon mal alle Ehre gemacht hatte und mindestens einmal auf der Seite gelegen haben musste. Das Pendelachsaggregat an der Hinterachse war vom ständig überladenen Fahren "durch".

Der Antriebsstrang hielt mit jeder Baugruppe neue - böse - Überraschungen bereit: Kegelrad und Tellerritzel der zweiten Hinterachse waren komplett ausgebrochen. Das wuchs sich zum Drama aus und machte am Ende ein zweites Schlachtfahrzeug nötig. Es zu finden erwies sich als Herkulesaufgabe. Und nur weil einige Azubis aus reiner Neugierde mal das Hauptgetriebe komplett zerlegten, fand man defekte Lager, eine gebrochene Schaltstange und einen Riss im Gehäuse ...

NEUE VENTILE FAND MAN SCHLIESSLICH IN SPANIEN

Weniger schlimm stand es um den Motor, der nach komplettem Zerlegen und Überarbeiten (samt neuer Ventile - die man in Spanien auftrieb) im September 2015 erstmals wieder gestartet wurde.

Dafür erforderte die Hütte viel Geduld. Die Substanz schien zu stimmen, alle Teile waren vorhanden. Doch bei genauerem Hinsehen wurde klar, dass alles angegriffen war. Die Frontmaske wurde in mühevoller Spenglerarbeit neu geklopft, alle schadhaften Stellen wurden verzinnt - nicht gespachtelt.

"Gott sei Dank!", resümiert Schmidt, "denn der Kaelble vibriert im Leerlauf so stark, dass uns der Lack an allen gespachtelten Stellen aufgerissen wäre". Die Frontmaske brauchte ein neues Stabgitter und das Holzgerüst der Dachhaut einen erfahrenen Stellmacher. Motorhaube und Kotflügel wurden komplett neu gefertigt. Letztere aus vier zusammengesetzten, verrundeten Teilen, die nach Schmidts Angaben beim Original ähnlich aufwendig entstanden sein mussten.

Nach Originalplänen wurde auch der neue Kabelstrang verlegt, bevor es an den Zusammenbau ging. Letzte Hürde war das exakte Einstellen der Kupplung. Im April 2016 stand der komplette Kaelble wieder auf eigenen Rädern respektive Trilex-Felgen, die sich mit lautem Knacken setzten. Dann rollte der Riese erstmals wieder aus eigener Kraft vom Hof!

Und wie fährt er sich? Zuerst muss er erklommen werden, was aufgrund des fehlenden Griffes links gar nicht so leicht ist: Also rechte Hand an den kleinen Griff hinter der Tür, auf die erste Stufe ziehen und dann mit der linken ans Lenkrad greifen, um sich in die kleine Kabine zu ziehen. Von dort sieht man außer der riesigen Haube, die sich gen Horizont erstreckt, nicht allzu viel.

EIN ZUG AM ANLASSER UND DER MÄCHTIGE V8 ERWACHT

Dann sollte man sich Zeit zum Vorglühen nehmen, bevor man das Starterstängelchen nach unten drückt: Nach mehrmaligem Anlasserjaulen nimmt der 19,1 Liter große V8 seine Arbeit auf. Er mobilisiert 240 PS bei 1600 Umdrehungen und 1050 Newtonmeter Drehmoment ab 1200 Touren - das sind in etwa die Werte des Einstiegssechszylinders des aktuellen Mercedes-Benz Atego, dem dafür schlanke 7,7 Liter Hubraum genügen. Optional hätte Kaelble auch einen zwölf Liter großen Reihensechszylinder mit Turbo unter die Haube gepackt, der 270 PS bei späten 2100 Touren, aber nur dünne 950 Newtonmeter bei 1400 Umdrehungen geboten hätte.

Steigvermögen und Minimalgeschwindigkeit waren beim V8 allerdings ausgeprägter, weshalb man ihn auf dem Bau bevorzugte. Immerhin schafft er bis zu 47 Prozent Steigung bei minimal 2,8 km/h, während es der Turbo bei 39,5 Prozent und 3,7 km/h beließ. Auf der Straße würde der aufgeladene Reihensechser dann "davonstürmen": mit maximal 72 km/h im größten Gang, während unser V8 bei 53 Sachen die Segel streicht.

Die sechs Gänge lassen sich alle sauber einlegen, nur die Kupplung braucht eine sehr kräftige Wade, schließt aber dafür sanft und gut dosierbar. Geschmeidig setzt sich das Monster in Bewegung. Die Abgase strömen durch den Muldenboden und die Seitenwand über eine Öffnung in der Kippbrücke nach oben ins Freie. Auf den ersten Metern hat man den Eindruck, am benachbarten Bahnhof München Moosach würde eine Dampflok abfahren: "Abhauen ist nicht - dank eurer Abgasfahne sehen wir immer genau, wo ihr seid", ätzt uns Julia Röhl aus dem Marketing noch hinterher, bevor sie in einer schwarzen Dieselwolke verschwindet.

Langsam nimmt das Monster Fahrt auf und wird handzahmer: Es lenkt sich dank hydraulischer Unterstützung einigermaßen leicht, in Ansätzen sogar zielgenau. Die Druckluftbremse verzögert das rund 17 Tonnen wiegende Trumm erstaunlich direkt und schnell, während die Auspuffklappe allenfalls ein laues "Verzögerungslüftchen" schafft.

Beladen ändert sich das alles natürlich und sowohl Lenken als auch Bremsen fordern Kraft und Aufmerksamkeit: Dann ist man mit knapp 40 Tonnen unterwegs - auf den damaligen Baustellen waren es eher 50. Es wurde eben geladen, bis die Mulde voll war. Trotzdem machen die Kaelble-Reiter, die damals zum Beispiel für Hoch Tief am Bau des Tunnels bei Rendsburg unter dem Nord-Ostsee-Kanal beteiligt waren, einen vergleichsweise entspannten Eindruck.

Allrad und Kipper respektive Nebenabtrieb schaltet man mit riesigen Gestängen vor der Beifahrerbank zu und tatsächlich schießt die Brücke binnen 14 Sekunden nach oben und genauso zügig wieder nach unten, was die Umlaufzeiten damals erheblich beschleunigte.

PRAKTISCH KEINE ÜBERSICHT, ABER VIEL LIEBE ZUM DETAIL

Das Rangieren "erleichtern" die kleinen Spiegelchen an den Peilstäben: Sie sitzen so weit vorn, dass sie automatisch eine "Weitwinkelfunktion" mitbringen und man ungefähr abschätzen kann, welcher Platz rechts und links seitlich noch bleibt. Direkt dahinter und daneben kann man nur hoffen, dass man vorher alles richtig eingeschätzt hat oder man bettelt um einen Einweiser.

Die Fenster lassen sich mit den soilden Kurbeln versenken, wie überhaupt das ganze Fahrzeug extrem viel Liebe zum soliden Detail zeigt - wie es eigentlich nur den Schwaben zu eigen ist.

Schwäbisch-präzise funktionieren auch die Instrumente inklusive des Drehzahlmessers, dessen grüner Bereich von 1000 bis knapp über 1500 Touren geht. Den bekamen Schmidt und seine Kollegen übrigens erst kurz vor der Fertigstellung. Doch der Lärm des V8 lässt einen schon bei 1200 Touren zum Schaltstock greifen, um die Zahnräder aus Friedrichshafen weiterzusortieren.

Mit der Zeit gewöhnt man sich an den Kaelble, der seine schwäbische Heimat bis auf den kurzen Ausflug ins Elsass nie verließ, um jetzt mitten in München eine neue Heimat zu finden - auf dem teils altehrwürdig bebauten Werksgelände von Meiller in Moosach. Und wenn hinter dem Bahnhof Moosach wieder einmal Rauchzeichen aufsteigen sollten - ist es keine Dampflok.

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