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Türkei: Zwischen Orient und Okzident

30.01.2014 08:00 Uhr
Türkei: Zwischen Orient und Okzident
Nachts strahlen die Brücken über den Bosporos mit den Lichtern von Istanbul um die Wette
© Foto: Gregor Soller

Die Türkei verbindet Asien und Europa, Orient und Okzident. Und sie vereint höchst unterschiedliche Lebensbedingungen, die sich auch im Alltag der Fahrer zeigen.

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Streift man durch Istanbul, erlebt man in der großen Fußgängerzone im europäischen Teil, der Istiklâl Caddesi, eine Megacity mit 13,85 Millionen meist sehr jungen Einwohnern. Dort glänzen In-Stores mit schicken Cafés um die Wette, und fast überall wummern elektronische Bässe dazu.

Die Istiklâl Caddesi endet am Taksimplatz, wo junge Menschen in Anzügen Blumen und Coffee to Go kaufen - und die Unruhen der vergangenen Monate scheinen ganz weit weg zu sein: Die westlich orientierte Gesellschaft samt den Touristen aus aller Herren Länder mischt sich hier zwanglos mit streng gläubigen Muslimen und Menschen aus kriselnden Anrainerstaaten wie Syrien, Iran oder Irak.

Und während in Deutschland noch kleinlich diskutiert wird, ob man fünf- oder doch zehntausend syrische Flüchtlinge aufnehmen soll, zuckt man in der Türkei die Schultern und versucht, dem Ansturm der Zehntausenden, die ins Land strömen, irgendwie Herr zu werden.

Aber nicht nur an Bevölkerung wächst die Türkei: Wir fahren nach Adapazari, rund 100 Kilometer östlich von Istanbul zum Trailerhersteller Tirsan. Laut dessen Geschäftsführer Mehmet Önen stieg das Exportvolumen des Landes von 2002 bis 2012 von 36 auf 152 Milliarden Dollar. Bis zum 100-jährigen Republik-Jubiläum 2023 sollen es 500 Milliarden werden. Der Staat eröffnete jüngst die U-Bahn unter dem Bosporus, plant weitere Brücken darüber und einen dritten Flughafen für Istanbul. Außerdem gewährt man großzügige Mehrwertsteuerrabatte, wenn man ein Forschungs- und Entwicklungscenter im Land errichtet. In Zusammenarbeit mit dem britischen Fahrzeug-Testzentrum "Mira" entsteht unweit von Istanbul ein Testareal, das dem Original bei Birmingham gleicht. Entsprechend boomt auch die Logistik, natürlich vor allem um Istanbul herum.

SCHON IN DEN KLEINEN SEITENGASSEN BRÖCKELT DIE SCHICKE FASSADE

Trotzdem scheinen diese "fetten" Jahre an den meisten Kollegen offensichtlich spurlos vorüberzugehen, denn schon in der ersten Seitengasse bekommt die schicke Fassade Risse: Ein uralter Seilbagger hebt direkt neben einem Luxushotel eine Grube aus. Davor steht Hüssein, der mit seinem alten Askam Fargo den Bauschutt abfährt. Es ist ein Uhr nachts! Eine Übernachtung in dem Hotel, das hier in Akkordarbeit entsteht, wird sich der Fahrer trotz allem Fleiß nie leisten können. Und doch ist er zufrieden mit seiner Neun-Stunden-Schicht. Immerhin bietet der Schmelztiegel Istanbul viel Arbeit, die einigermaßen gut bezahlt wird - viel besser als in der Provinz. "Für das Geld, das man fernab der Metropole bekommt, macht in Istanbul niemand mehr einen Finger krumm", weiß Tirsan-Mann Önen, wobei auch die Lebenshaltungskosten nicht mehr weit entfernt sind von denen westlicher Metropolen.

Es geht weiter nach Izmir. Auch hier strahlt eine schicke City. Richtung Küste künden viele neue Hotels vom Aufschwung. Ein Bild, das der Autohof an der Ozan Abay Caddesi nicht halten kann. Von hier aus gehen viele Verkehre in die krisengebeutelten östlichen Anrainerstaaten, darunter Syrien, Iran und Irak. Wer Ende der 70er-Jahre von Deutschland aus dorthin fuhr, konnte am Monatsende je nach Geschick und Ladung schon mal 4000 Euro brutto nach Hause bringen: Damit gehörte man als Fernfahrer zu den Topverdienern.

NAHOSTVERKEHRE IM WANDEL DER ZEIT: MAN VERDIENT 400 STATT 4000 EURO

Die Fahrer hier können davon nur träumen - sie bekommen für ihre Nahost-Touren gerade einmal ein Zehntel von dem, was deutsche Kollegen vor 30 Jahren verdienen konnten, wie der 32-jährige Metin Karaaslan erzählt. Der kurdischstämmige Fahrer hat schon viel durchgemacht: Als der türkische Staat massiver gegen die kurdische Minderheit vorging, floh er mit einem Teil der Familie nach Deutschland. Metin lernte Deutsch und plante einen Neustart. Da aber sein jüngerer Bruder mit anderen Familienmitgliedern zurückblieb und Hilfe benötigte, kehrte er zurück - und landete für ein Jahr im Gefängnis.

Mittlerweile habe sich diese Problematik laut Metin aber "erledigt" und es lebe sich deutlich besser in der Türkei. Er stammt aus Idil in der Provinz Sirnak im Südosten der Türkei, unweit der syrischen Grenze und lädt bei der Tuborg-Dependance Izmir Dosenbier für den Irak. Mit ihm geht der 28-jährige Hamza Papo auf Tour, der ebenfalls einen noch sehr neuen Axor 1840 samt Fruehauf-Sattel voller Tuborg-Dosen gen Irak steuert. Papo sitzt seit fünf Jahren auf dem Bock und rechnet für die einfache Route drei Tage. "Dann ist mein Kreuz sowieso kaputt, weil der Axor so schlechte Sitze hat", scherzt er.

Beim vorigen Unternehmen fuhr er einen Renault Premium, der etwas mehr Komfort bot. Hamza und Metin parken ihre weißen Axor direkt nebeneinander, so wie sich die meisten Kollegen neben die Autos der eigenen Firma stellen.

EINIGE ROUTEN SIND VIEL GEFÄHRLICHER ALS NOCH VOR EINIGEN JAHREN

Gegenüber stehen die pechschwarzen Renaults des Logistikers Ünkar, die Mehmet Kara und Ikagol Veysel lenken. Auch Mehmet spricht Deutsch und fährt seit zwölf Jahren. Ein Teil seiner Familie ist noch in Düsseldorf. Er selbst lebt jetzt in Adana, der fünftgrößten türkischen Stadt in der gleichnamigen Provinz im Südosten des Landes. Beide Züge sind voll mit Alcoa-Alufelgen, die in Istanbul geladen wurden. Von dort setzen die beiden per Schiff nach Izmir über, von wo aus es weiter geht Richtung Osten.

Manchmal dauert es dort ein paar Tage, bis es Rückladungen gibt: Die Unruhen in manchen Anrainerstaaten entzogen ihnen die industrielle Basis. Folglich laden die Kollegen dort oft Grundnahrungsmittel wie Zucker, Milch oder Öle. "Die Region macht uns Sorgen", erklärt Metin, und erinnert sich: "Früher konnten wir problemlos vom Nordkap bis in den Irak durchfahren. Heute muss man östlich der Türkei vorsichtig sein." Immerhin habe sich die Kurdenproblematik etwas entschärft, wenngleich die großen Schritte der Türkei weiter auf sich warten lassen. Laut CIA sind rund zwanzig Prozent aller Einwohner kurdischstämmig. Bei den Fahrern beträgt der Anteil laut Metin eher sechzig Prozent, weiter gen Osten seien 85 von 100 Fahrern Kurden.

Für Senih Oquz und Hassan Kotan spielt das keine Rolle. Die beiden gehören mit ihren Volvo FH des Logistikriesen Ekol, der auch bei den Wingson-Wheels-Hilfstransporten von Daimler beteiligt war (s. Heft 11/2013), zu den Königen des Fernverkehrs. Auch ihnen helfen Kollegen beim Einparken. Das tun sie auch bei Fatih, der als Serbe neben Kollegen aus Bulgarien und Rumänien zu den Exoten auf dem Platz gehört.

Vorn bei der Einfahrtsschranke bietet ein kleines Restaurant ein Grundangebot an Nahrungsmitteln und Getränken. Die meisten Kollegen scheinen sich aber ohnehin von Tee und Zigaretten zu ernähren. Ein kleiner Shop verkauft in loser Anordnung Feuerzeuge, Werkzeug, Gaskocheraufsätze und Karabinerhaken. Duschen kann man unter freiem Himmel - das Wetter ist in Izmir ohnehin meist schön.

AUF NEBENSTRECKEN MUSS MAN AUF PFERDEFUHRWERKE ACHTEN

Der Zollhof versinnbildlicht den Spagat, den die Türkei vollbringt. In den westlichen Zentren wie Istanbul oder Izmir stehen modernste Unternehmen, in denen nicht nur gefertigt, sondern mittlerweile auch geforscht und entwickelt wird. Viele Führungskräfte sind weiblich und tragen ihr Haar offen. Auch einige Mitteleuropäer zieht es mittlerweile nach Izmir oder Istanbul.

Aber das Bild wandelt sich schnell: Zwanzig Kilometer Richtung Landesmitte arbeiten Hirten oder gar Kutscher fernab glitzernder Hochtechnologie wie seit Jahrhunderten in den Tag hinein. Die funkelnde Fußgängerzone in Istanbul ist davon nicht nur einen Brückenschlag entfernt.

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