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Wie Fahrer auf Sizilien leben

17.03.2014 08:00 Uhr
Wie Fahrer auf Sizilien leben
In  Deutschland wäre dieses Fahrzeug längst aus dem Verkehr gezogen worden, nicht so in Italien
© Foto: Richard Kienberger

Auch auf Sizilien müssen die Menschen mit der Krise klarkommen und sich mit schwierigen Verhältnissen arrangieren. Das funktioniert, mit typischer Mischung aus Charme und Schlitzohrigkeit.

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Vielleicht ist der Spuk jetzt endgültig vorüber? So genau weiß man das bei einem wie Silvio Berlusconi nicht. Jahrelang fragte man sich im Rest Europas, warum dieser Mann in Italien immer wieder begeistert gefeiert wurde. Offenbar wirkte der peinlichste Politiker Europas zu Hause gar nicht so peinlich - vielleicht, weil er viel von dem verkörpert, was Italien ausmacht? Er ist charmant, schlitzohrig, hat sich mit den Verhältnissen auf individuelle Weise arrangiert. Und auch das gut gepflegte Image des virilen Latin Lovers gefiel offenbar vielen Landsleuten.

Wenn man heute in Italien unterwegs ist, lassen sich Berlusconi und seine Regierungszeit nicht ignorieren. Viele Ursachen für die schwere Wirtschaftskrise, die das Gründungsmitglied der EU beutelt, kann man in direkter Linie auf Berlusconis Politik zurückführen, auch wenn das seine Fans anders sehen. Vor allem dürfte Italien nicht umhin kommen, tiefgreifende strukturelle Reformen anzugehen, wenn das Land irgendwann in der Lage sein will, sein stellenweise arg marodes Straßennetz zu sanieren, die Jugendarbeitslosigkeit von fast vierzig Prozent zu überwinden und die Kluft zwischen dem im direkten Vergleich reichen Norden mit dem armen Süden zu verringern. Die Agenda ließe sich noch lange weiterschreiben.

GROSSES DRAMA UM EINE HALB VERFAULTE MELONE

Die Dramen, die in Italien auf der großen politischen Bühne gegeben werden, wiederholen sich auch im Kleinen dutzendfach - und da wirkt die Szenerie plötzlich ganz anders, geradezu liebenswert und sympathisch. Zum Beispiel, wenn in der Peripherie von Agrigent auf Sizilien der schlitzohrige Obsthändler Carmelo an einem Freitagmorgen versucht, einem Kunden eine nicht mehr ganz taufrische Melone anzudrehen. Daraus entwickelt sich ein minutenlanger, lautstarker Dialog, in den der zufällig vorbeikommende Reporter auch gleich mit einbezogen wird. Dass dessen Sprachkenntnisse bei weitem nicht ausreichen, um das Lamento zu verstehen, macht überhaupt nichts.

Den Gesten nach zu urteilen, beschimpft der Interessent den Verkäufer als großen Gauner. Die Geschichte endet, wie solche Geschichten eben enden in Italien: Der Kunde nimmt eine andere Melone mit, der Händler erhält weniger Geld, als ursprünglich gefordert - und die verschmähte Frucht fliegt in hohem Bogen gegen die nächste Hauswand, wo sie zerplatzt und ihr Innerstes offenbart. Das ist noch verfaulter, als vermutet. Womit wieder bewiesen wäre: Italien funktioniert auf seine Art hervorragend. Der Kunde hat zu essen und Carmelo wieder ein wenig Geld verdient, auch wenn so ein Obstverkäufer sicher von einem schmalen Einkommen leben muss. Man muss sich eben arrangieren.

AUF DER STRASSE HERRSCHT DIE ITALIENISCHE ANARCHIE

Zum Beispiel auch mit den Schildern am Straßenrand, die dieses und jenes vorschreiben: Die SS 114 ist südlich der Provinzhauptstadt Catania bombastisch ausgebaut. Eine Landstraße mit den Dimensionen eines ultrabreiten Highways. Und doch gilt hier kilometerlang Tempo 50, ohne Ortsdurchfahrten, Baustellen oder Eisenbahnkreuzungen. Warum nur? Die heimischen Fahrer betrachten das Limit maximal als Empfehlung, vielleicht auch als kompletten Unsinn - jedenfalls hält sich niemand daran. Auf Sizilien scheint noch die alte Anarchie der Straße zu herrschen. Und deren Folgen manifestieren sich, leider, in vielen Kreuzen und Plastikblumengebinden am Straßenrand.

Bei Kilometer 120 zeigt sich das Land von seiner Schattenseite: Eine verlassene Q8-Tankstelle rottet vor sich hin, die Ecke ist mit Müll übersät. Einige Kilometer weiter windet sich die Straße einen Hügel hoch - und plötzlich hat man einen phantastischen Ausblick auf Catania, das Meer und den mächtigen Vulkan Ätna.

DAS WILDE KABINEN-DESIGN IST HAUSGEMACHT

Nach dem erfolgreich abgeschlossenen Geschäft nimmt sich Carmelo Zeit, seinen blau und rot lackierten Iveco zu präsentieren. In Deutschland hätte der TÜV das Vehikel wohl längst aus dem Verkehr gezogen, oder die Polizei hätte dem fliegenden Händler zugesetzt. Denn das Auto hat unter anderem "Beleuchtungseinrichtungen", die sicher nicht vorschriftsgemäß sind, da ist man ja weiter oben im Norden gelegentlich recht bürokratisch. Überhaupt ist der Minilaster "einzigartig, so einen gibt's kein zweites Mal", behauptet der Fruchthändler voller Stolz, auch wenn in Italien viele solcher Fahrzeuge die Basis für ein mobiles Geschäft bilden, das den Lebensunterhalt einer Familie garantieren soll. Der Klein-LKW ist Baujahr 1986 - und Carmelo hat die winzige Hütte zu einer Schlafkabine mit Klappbett umgemodelt. Die schmale Liege stützt sich auf der Rücklehne der Beifahrerbank ab und wird tagsüber von einer Kette oben gehalten. Schaut man sich in der Kabine um, drängt sich schon wieder der Vergleich mit dem ganzen Land auf: Fast alles ist improvisiert, aber es funktioniert und erfüllt seinen Zweck. Kabel hängen herum, bei der Gestaltung des Interieurs waren schwarzes und rotes Isolierband ein essentielles Hilfsmittel, und ja, über Geschmack kann man streiten. Mit einem Lichtschalter, wie er üblicherweise in Häusern zu finden ist, kann der Sizilianer die Lichtbänder einschalten, die er auf die Stirnseite geklebt hat. Nächtens sieht der Truck aus der Entfernung sicher aus wie ein Christbaum: Bella Italia leuchtet!

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