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Schneekettentest: Traktion mit Stahl

24.01.2013 08:00 Uhr
Schneekettentest: Traktion mit Stahl
Im Winter oft unverzichtbar: Schneeketten auf der Antriebsachse
© Foto: Felix Jacoby

Schneeketten bringen Lastwagen sicher über verschneite und vereiste Streckenpassagen. Wir zeigen am Beispiel von vier Fabrikaten, wie die Traktionshilfen angewendet werden.

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Der Dezember 2012 hat es dem Straßengüterverkehr einmal mehr deutlich gezeigt. Wenn der Winter, so wie in diesem Jahr, reichlich Schnee auf die Straßen wirbelt, bringt das den Verkehr schnell gründlich ins Stocken. Oder es passiert beispielsweise noch weit Schlimmeres, wie dem Fahrer eines österreichischen Vierachskippers am 10. Dezember.

Mit einer Ladung Kies, aber ohne Schneeketten, ist er auf der glatten B154 unterwegs, der Mondseestraße bei St. Gilgen im Salzkammergut, als er plötzlich die Kontrolle über das schwere Fahrzeug verliert. Er stellt sich quer und rutscht in einen entgegenkommenden Reisebus. 18 Personen werden bei dem Unfall leicht, die Reiseleiterin schwer verletzt.

Wegen solcher Geschehnisse oder nur um des Vorwärtskommens wegen sind die Traktionshilfen in bergiger Landschaft und auf extrem glatten Fahrbahnen oft unverzichtbar. In den Alpenländern sind diese für Lastwagen sogar während der Winterzeit vorgeschrieben. Doch viele Fahrer haben mit dem sinnvollen Zubehör entweder gar keine oder einfach zu wenig Erfahrung.

Wir haben uns fachkundige Hilfe und einen winterlichen Tag gesucht, um einige der Schneeketten einer kritischen Betrachtung zu unterziehen und sie unter praktischen Bedingungen im Schnee zu erproben. Unser freiwilliger Helfer und Spezialist ist Wolfgang Bösch, der im Alltag Lebensmittelgeschäfte beliefert, unter anderem in Gargellen im Montafon oder in Lech am Arlberg. Hochalpine Ortschaften, die im Winter nur über verschneite Straßen zu erreichen sind.

GRIZZLY SETZT AUF EINE EIGENE KONSTRUKTION

Als erstes probieren wir ein neuartiges System von Grizzly aus Plauen aus, das allerdings Stahlfelgen auf der Antriebsachse voraussetzt. Denn in diese wird ein Spannring im Felgenhorn nahe des Reifens montiert, an dem passend zu den Felgenlöchern zehn Spannschrauben montiert sind. Üblicherweise wird der Ring im Herbst montiert und den ganzen Winter über am Rad gelassen.

Braucht man nun die Traktionshilfe, werden bis zu zehn einzelne Kettenstücke über den Reifen gelegt und mit einem Hilfshaken durch das Felgenloch gezogen. Wenn die beiden Enden eines Kettenstücks dann am Spannmechanismus eingehängt sind, wird dieser mit einer Kurbel angezogen, bis das Stahlgliederband fest am Reifen liegt.

Der Vorteil dieser Technik liegt darin, dass sie auch dann noch funktioniert, wenn man sich schon im Schnee festgefahren hat. Und wenn es nur wenige Meter sind, etwa an eine Rampe oder aus einer Ausfahrt hinaus auf eine geräumte Straße, reichen schon deutlich weniger als zehn Kettenstränge, um die entscheidende Traktion auf den Boden zu bekommen.

Andererseits sind die einzelnen Stränge weniger stabil als ein Kettennetz und müssen öfter ersetzt werden, bei längeren Strecken soll der Verschleiß laut Aussagen von Fahrern hoch sein, dann müssen einzelne Stücke häufiger nachgekauft werden. Für gelegentliche Nutzung aber, oder um sich aus problematischen Situationen zu befreien, zeigen sich die österreichischen Transportspezialisten durchaus angetan von diesem Produkt.

Ebenfalls unkonventionell ist das System "Trak" des italienischen Herstellers Maggi, das ebenfalls auf einem Hilfsring in der Felge basiert. Dieser wird weiter innen als beim Grizzly-System montiert, und da er sich mit drei Gummielementen, die per 17er-Schraubenschlüssel auf Spannung gebracht werden, in der Felge fixiert, geht das auch bei Alurädern.

DAS SYSTEM VON MAGGI IST LEICHT ZU MONTIEREN

Das Hauptelement besteht aus einer raffinierten Konstruktion aus Ketten und Plastikelementen mit Spikes, das zusammengeklappt verstaut ist und sich zur Benutzung einfach auffalten lässt. Man legt es dann oben über den Reifen, fährt eine halbe Radumdrehung vor und schiebt dann den Rest auf den Reifen. Dann wird das ganze Teil am vormontierten Felgenring fixiert.

Auch hier ist die Montage recht einfach, wird aber problematisch, wenn man sich schon festgefahren hat. Kompliziert wirkt auch das Nachspannen bei durch Abrieb reduzierter Profilstärke, man sollte kein Feind umfangreicher Bedienungsanleitungen sein, um das zu bewerkstelligen. Ein Nachteil dürfte auch der beträchtliche Platzbedarf der italienischen Traktionshelfer bei Nichtbenutzung sein.

Die klassischen Spurketten für den äußeren Zwilling kommen unter anderem vom deutschen Hersteller RUD aus Aalen. Zur Aufbewahrung der netzartigen Konstruktion werden stabile Textilsäcke mitgeliefert. Diese Kette wird über das Rad gelegt, dann muss man ein kleines Stück vor- oder zurückfahren, um die gesamte Länge komplett über den Reifen zu bringen.

Das ist für Ungeübte nicht ganz einfach, man zerrt erst einmal reichlich an der Kette, die sich oft in den Profilrillen einhängt und erst bei optimaler Ausbreitung über dem Reifen zusammenhaken lässt. Vor allem wenn man auf einem Kettenstück steht, das nicht voll in die Länge gezogen ist, wird es schwierig. Viele Profis stellen sich deswegen mit dem Reifen auf ein Stück Holz, um weniger Aufstandsfläche zu haben und damit der Kette mehr Bewegungsspielraum zu geben.

Hat man schließlich die Verschlüsse eingehängt, wird das Ganze mit einer Spannkette außen am Reifen stramm gezogen, diese sollte nach einigen Metern Fahrt noch einmal nachgezogen werden. Rud liefert dünne Hilfsketten mit, damit kann der Anfang der Schneekette am Reifen befestigt werden, um dann mit Vorfahren die vorher sauber am Boden ausgelegte Kette über den Reifen zu ziehen.

HERSTELLER RUD BIETET EIN GROSSES SORTIMENT

Bei diesen Ketten von Rud muss die Richtung der Kette bei der Montage beachtet werden. Der Hersteller legt Wert auf die Feststellung, dass der zur Verfügung gestellte Kettentyp eine dank zusätzlicher Greifstege besonders robuste Variante ist, für den Gelegenheitseinsatz gibt es leichtere und billigere Modelle.

Ähnlich im System, aber in beide Richtungen verwendbar und damit vom Abrieb der Kettenglieder länger haltbar, sind die Spurketten des österreichischen Herstellers Pewag. Sicher ist es auch etwas Lokalpatriotismus der Vorarlberger Transportspezialisten, dass sie das Produkt aus dem eigenen Land favorisieren und seit Jahren selbst verwenden. Aber auch objektiv betrachtet wirkt die österreichische Spurkette am robustesten und überzeugt mit durchdachtem Hakenmechanismus und einer leichter funktionierenden Spannvorrichtung.

Pewag liefert in den ebenfalls robusten Aufbewahrungssäcken einen festen Draht mit, der die gleiche Funktion wie die erwähnte dünne Hilfskette hat: Damit lässt sich der Anfang der Kette am Reifen fixieren und danach das restliche Kettenwerk per Fahrbewegung über die Lauffläche ziehen. Auch hier wird das Netz aus Stahl mit einer äußeren Spannkette straff gezogen.

BEI DEN ÖSTERREICHERN IST PEWAG SEHR BELIEBT

Wir können jedem Anwender nur empfehlen, den Einsatz von Ketten, gleich welchen Systems, vorher schon mal im Trockenen zu üben. In jedem Fall sinnvoll ist es, ein Stück Plane oder zumindest Karton dabeizuhaben, sodass man sich notfalls auch mal zum Schließen der inneren Haken oder bei sonstigen Schwierigkeiten auf den Schnee legen kann, ohne dass man gleich nass wird.

Beim Abnehmen der Netzketten muss man vorsichtig vorgehen, denn wenn sie zwischen die Zwillingsreifen rutschen, kann es nach der Erfahrung der Spezialisten dazu kommen, dass sich der Stahl zwischen dem Gummi verklemmt, dann hilft nur noch das Abmontieren des äußeren Rads, um sich aus dieser Situation zu befreien. Wer sich aber mit seinen Ketten dank vorausgegangener Übung gut auskennt, wird auch im Bergland eine gute Figur als Kraftfahrer machen.

TIPPS ZUM SCHNEEKETTENEINSATZ

  • Vor dem ersten Einsatz unbedingt Bedienungsanleitung lesen und Trockenübungen machen.
  • Das Aufziehen von in Fahrtrichtung ausgelegten Spurketten mit Hilfsketten oder Hilfskabel üben, mit denen der Kettenanfang am Reifen fixiert wird, so lassen sich Ketten sauber mit einer Radumdrehung auf den Reifen ziehen.
  • Bei zu erwartendem Einsatz Kettensäcke im warmen Beifahrerfußraum lagern.
  • Holzkeil für netzartige Spurketten mitführen, wenn man darauf beim Anlegen auffährt, lässt sich die Kette leichter um den Reifen herum spannen.
  • Ketten nach kurzer Fahrt auf festen Sitz überprüfen und gegebenenfalls nachspannen.
  • Beim Abnehmen von Netzketten vorsichtig vorgehen, damit sich diese nicht zwischen den Zwillingsrädern verklemmen.
  • Ketten nach dem Einsatz und vor dem Verstauen trocknen lassen.
  • Faltbare Plane oder ähnliche Unterlage mitführen, um auf Schnee arbeiten zu können, ohne dabei nass zu werden.

KOMMENTAR

Kettenmontage nur ohne Gefahr

Nach jedem heftigen Wintereinbruch wird seitens irgendeines selbst ernannten Verkehrsspezialisten der Ruf nach einer verbindlichen Kettenpflicht für Lastwagen auch in Deutschland laut. Hört sich für die breite Masse der Verkehrsteilnehmer natürlich gut an, lässt jedoch eine wichtige Tatsache außer Acht: Obwohl der Staat seit vielen Jahren gigantische Summen über die Lastwagenmaut kassiert, wurde der Ausbau von Parkmöglichkeiten für Schwerfahrzeuge auf geradezu sträfliche Weise vernachlässigt. Wenn man aber Ketten auflegen muss, benötigt dies Fläche, wie sie zum Beispiel die Kettenanlegeplätze an den österreichischen Hauptstrecken bieten. In Deutschland aber mit seiner kolossalen Verkehrsbelastung wären die Kraftfahrer besonders nachts gezwungen, ihre Schneeketten auch auf schmalen Pannenstreifen von Straßen und Autobahnen anzulegen, weil jeder anderweitige Verkehrsraum mit pausierenden Lastwagen komplett vollgestellt ist. Das würde besonders beim Arbeiten auf der linken Seite enorme Risiken bergen, von Vorbeifahrenden überfahren zu werden. Hilfreicher wäre es, wenn es der Gesetzgeber unterbindet, dass Reifen mit sommerlicher Profilierung auf wundersame Weise durch ein Schneeflockensymbol zu Ganzjahresreifen deklariert werden, obwohl sie auf Schnee praktisch keine Traktion mehr liefern. Und das routinierte Auflegen von Schneeketten könnte Teil der Aus- und Fortbildungsmodule werden, damit wäre dann ebenfalls dem gesamten Verkehrsfluss geholfen.

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