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Wintertest Scania S 730: Wie ein rohes Ei!

24.02.2017 08:00 Uhr
Wintertest Scania S 730: Wie ein rohes Ei!
Passt schlecht zusammen: 50 Tonnen und winterliche Straßenverhältnisse
© Foto: Jan Burgdorf

Treffen 50 Tonnen auf den skandinavischen Winter, ist Vorsicht geboten. Wir wagten im Scania S 730 den Selbstversuch.

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Eine tiefe Furche aus Schnee rahmt die schneebedeckte Reichsstraße 25 in Mittel-Norwegen ein und zu allem Überfluss verschwindet sie in wenigen hundert Metern in einem steilen Gefälle. Bedingungen, die zu unserem Gefährt überhaupt nicht passen!

Knapp 25 Tonnen wiegt der Doosan-Kettenbagger auf der Ladefläche des dreiachsigen Istrail-Tiefladers, den mit dem S 730 nicht weniger als das Flaggschiff in Scanias neuer Lkw-Baureihe zieht. Übrigens ein durchaus landestypisches Gespann, denn der mit Abstand größte Anteil des Lkw-Verkehrs entfällt in Norwegen auf die Baubranche. Meist wird dabei das in Norwegen erlaubte Maximum für sechsachsige Kombinationen von 50 Tonnen voll ausschöpft und auch unser Gespann liegt mit 49,5 Tonnen nicht viel darunter.

Was meinen norwegischen und damit schnee- und kälteerprobten Beifahrer aber deutlich mehr Kopfzerbrechen bereitet, ist die für diese Jahreszeit ungewöhnlich warme Außentemperatur. Null Grad meldet das Thermometer im Zentraldisplay. Und die stellen eine Gefahr dar, denn die Sonne taut die festgefahrene Schneedecke auf der Straße an, wodurch sich ein eisigrutschiger Untergrund bildet.

MIT DEM RETARDER SOLLTE MAN VORSICHTIG SEIN

Das beste Mittel dagegen: Tempo runter! Außerdem das Opticruise-Getriebe auf manuell zu schalten und schon mal einen niedrigen Gang zu wählen. Im Schritttempo rollt der Scania ins Gefälle, trotzdem fangen die 49 Tonnen sofort gewaltig an zu schieben - physikalische Gesetze nehmen auf winterliche Straßenverhältnisse leider keine Rücksicht. Mir bricht der Schweiß aus. Jetzt heißt es, überlegt zu handeln. Einfach wie gewohnt am Retarderhebel zu ziehen und die Fuhre auf diese Weise zu verzögern, könnte fatal enden. Denn die Continental-HDW2-Winterreifen an der Hinterachse werden für die plötzlichen 4100 Newtonmeter des Scania-Retarders im Zweifel keine Traktion finden. Vorsichtig bemühe ich die erste Stufe der Dauerbremse - kaum mehr als der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein. Also vorsichtig nach und nach den rechten Lenkstockhebel weiter nach unten ziehen. Endlich stellt sich so etwas wie Verzögerung ein. Nur melden die beiden Geschwindigkeitsanzeigen (digital und analog) im Zentraldisplay mittlerweile 69 km/h. Gefühlt deutlich zu viel für die langgezogene Linkskurve, die jetzt auftaucht. "Kein Problem!", ermuntert mich mein Beifahrer, der die Strecke aus dem Effeff kennt. Und es geht tatsächlich, wenn auch mit mulmigem Gefühl, denn Fracht und Trailer drücken dem S 730 weiter ins Kreuz. Erst als nach der Kurve die Straße eben mündet, löst sich meine Anspannung. Jetzt kann ja wohl kaum noch etwas passieren?

Doch wo's bergab geht, geht's bekanntlich meist auch wieder bergauf. "Vollgas, wir brauchen Schwung!", kommt prompt das Kommando von rechts. Wie bitte? Die Traktionsverhältnisse haben sich doch keinesfalls verbessert! Okay, jetzt sehe ich die ausgewachsene schnurgerade Steigung auch, auf der die Straße weiterführt. Serpentinen sind im norwegischen Hinterland weitgehend unbekannt ...

IM NORWEGISCHEN GEBIRGE SIND 730 PS NICHT ZUVIEL

Auf immerhin 74 Sachen und den elften Gang bringe ich den Sattelzug noch, dann bremst die Steigung den Vortrieb. Und nun kommen selbst 730 PS an ihre Grenzen. Gang um Gang schaltet Opticruise runter, die, gemessen am Vorgänger, mittels Vorgelegewellenbremse deutlich verkürzten Schaltzeiten zahlen sich hier doppelt aus. Der V8 entwickelt sein legendäres Grollen, für das Scania-Fans diesen Motor lieben, die hohe Leistung scheint keinesfalls übertrieben. Kein Wunder, dass sich über 60 Prozent der norwegischen Scania-Kunden für den leistungsstarken V8 entscheiden. Meist mit 580 oder gleich 730 PS.

Sofern die Leistung denn auf der Straße ankommt, denn das ASR meldet unentwegt Traktionsverlust. 3500 Newtonmeter Drehmoment passen eben nicht zum vereisten Straßenbelag. Gott sei Dank haben wir vor Antritt der Fahrt in weiser Voraussicht die doppelt bereifte Nachlaufachse der Zugmaschine geliftet, sodass auf der Antriebsachse die vollen 15,2 Tonnen Sattellast liegen.

Dieser Trick ist in Norwegen übrigens dauerhaft legal. In Deutschland darf die Triebachse dagegen für höchstens eine halbe Minute und nur unterhalb von 30 km/h mit maximal 14,9 Tonnen belastet werden. Alternativ zur Liftachse kann Scania auch das sogenannte "Load-Transfer" liefern, mit dem die letzte Achse per Knopfdruck entsprechend entlastet werden kann.

Trotzdem bremst uns der Berg am Ende auf Tempo 20 ein. Wieder beschleunigen lohnt aber nicht, denn die Route führt jetzt auf eine der unzähligen Nebenstraßen. Und für mich folgt umgehend die nächste Lektion.

DER FAHRER MUSS DAS KETTEN ANLEGEN ÜBEN

"Bleib unbedingt in der Straßenmitte, damit wir nicht einsinken", mahnt der Profi auf dem Beifahrersitz. Die optisch fest verdichtet wirkende Schneedecke am Rand kann nämlich schnell zur gefährlichen Falle werden, die in jedem skandinavischen Winter unzähligen Lastern zum Verhängnis wird.

Und noch einen Tipp bekomme ich: "Schaltung auf manuell und den vierten Gang rein!" Schließlich geht es schon wieder leicht bergauf. Jetzt bloß keine Zugkraftunterbrechung! Denn für die letzten Meter noch die Ketten anzulegen, darauf legen weder ich noch mein Beifahrer gesteigerten Wert. Sie mitzuführen, ist in Norwegen dagegen Pflicht, ebenso ein Nachweis, dass der Fahrer auch weiß, wie er sie anzulegen hat.

Das müsste ich erst noch üben. Aber laut meinem Beifahrer dauert es sowieso mindestens zwei lange skandinavische Winter, bis sich das eingangs mulmige Gefühl im Magen in Souveränität wandelt. Auch wenn man das Glück hat, mit einem solch noblen Arbeitsgerät wie dem S 730 unterwegs zu sein.

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