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Datenschutz: Das gläserne Fahrzeug

09.07.2014 08:00 Uhr
Datenschutz: Das gläserne Fahrzeug
USB-Schnittstelle: Wer soll auf sensible Daten zugreifen dürfen?
© Foto: picture alliance/Andreas Franke

Im LKW werden Unmengen an Daten gespeichert. Nach einem Unfall könnten diese zur Belastung für Halter und Fahrer werden. Was ist rechtlich zulässig? Und wer darf auf die Fahrzeugdaten zugreifen?

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Der Fahrer einer Spedition ist auf dem Weg von Hamburg nach Bayern. Nahe Allersberg verursacht er einen schweren Unfall, bei dem ein anderer LKW-Fahrer stirbt. Die genaue Unfallursache bleibt im Dunkeln. Der Fahrer wird zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Die Polizei, die den Unfall aufgenommen hat, weiß nicht, dass sich im LKW des Verursachers ein Unfalldatenschreiber (UDS) befindet. Die Spedition kann die Box ausbauen und auslesen lassen. Dabei kommt heraus, dass der Fahrer wahrscheinlich eingeschlafen ist.

Fahrzeugdaten können bei der Rekonstruktion schwerer Unfälle helfen. Sie können belasten und entlasten. Fahrzeugdaten können aber auch: Bewegungsprofile erstellen, dem Arbeitgeber Auskunft über den unsachgemäßen Umgang mit dem Fahrzeug liefern, Versicherungen über das Fahrverhalten informieren und vieles mehr.

Dass wir uns inzwischen in einem riesigen Spannungsfeld zwischen der Datensammelwut zahlreicher Akteure und dem Recht des Fahrers auf informationelle Selbstbestimmung bewegen, zeigte auch der Verkehrsgerichtstag 2014 in Goslar, dessen Arbeitskreis VII sich intensiv damit befasste, wem eigentlich die Fahrzeugdaten gehören. "Ohne die Wahrung der Vertraulichkeit fast aller Daten droht der gläserne Autofahrer", warnte etwa Thilo Weichert, Datenschutzbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein in seinem Vortrag.

KAUM EINER ÜBERBLICKT NOCH DIE DATENMENGE

"Kaum ein LKW-Fahrer macht sich Gedanken darüber, was eigentlich alles gespeichert wird", bestätigt Michael Weyde, vereidigter Sachverständiger für Straßenverkehrsunfälle in Berlin. Ein kurzes Schlaglicht: Laut Weyde werden beim LKW beispielsweise die Airbagdaten erfasst, die unter anderem Beschleunigungswerte dokumentieren. Der digitale Tachograph speichert die kompletten Fahrzeugdaten der vergangenen zwei Jahre, enthält also Informationen darüber, wann welcher Fahrer das Fahrzeug benutzt hat. Ladungs- und Bremssensoren registrieren zum Beispiel die "bremsbelagsverschleißabhängige Bremsbenutzung".

"Da dieser spezielle Datensatz zusammen mit dem Fehler abgelegt wird, kann der Hersteller die Daten auslesen und feststellen, wann der LKW überladen war. Er kann sich damit etwa gegen ungerechtfertigte Gewährleistungsansprüche verteidigen", erklärt der Sachverständige. Solche so genannten Freeze-Frame-Daten, also Daten, die von einem Steuergerät beim Eintritt eines Fehlers zusammen mit diesem gespeichert werden, dokumentieren auch Rahmenbedingungen wie beispielsweise Drosselklappen- und Gaspedalstellung oder die Geschwindigkeit.

IN ZUKUNFT FÄHRT SOGAR DIE KAMERA MIT - UND FILMT

"Bei neuen LKW gibt es inzwischen zwanzig bis dreißig Steuergeräte, die Informationen aufzeichnen", sagt der Sachverständige, der sich seit vielen Jahren unter anderem als gerichtlicher Gutachter mit der Rekonstruktion von Unfällen be fasst. Er betont aber, dass nicht alle dieser Daten auslesbar sind: "Einige sind für bestimmte Funktionen erforderlich, werden aber nur flüchtig gespeichert. Andere lassen keine zeitliche Zuordnung zu und können daher für eine Unfallrekonstruktion nicht genutzt werden." Dennoch: Die Datenmenge ist enorm.

Daneben existieren zahlreiche andere Möglichkeiten der Dokumentation. Bekanntes Beispiel: so genannte Dashcams, die an der Windschutzscheibe montiert werden. "Diese kleinen Kameras könnten sich in Zukunft durchsetzen", vermutet Weyde. "Ein Sensor löst bei starker Beschleunigung aus und speichert die Daten dreißig Sekunden vor und nach einem Unfall." Die Datengenauigkeit sei zwar nicht sehr hoch, sagt der Experte. Mit der Dashcam könne man aber sehr gut rekonstruieren, wer wann von wo kam.

Klassischer sind dagegen die eingangs erwähnten UDS. Mit diesen ebenfalls freiwillig eingebauten Geräten sind einige Fuhrparks ausgestattet. Arbeitgeber können so beispielsweise verfolgen, welche Fahrer mit den Fahrzeugen unsachgemäß umgehen. "Der klassische Unfalldatenspeicher ist sehr zuverlässig, aber im Prinzip veraltet", erklärt Weyde, "er speichert nur das, was im Moment des Aufpralls mit dem eigenen Auto passiert." Dennoch werden diese Geräte wegen ihrer Genauigkeit geschätzt. Ob ein UDS im Fahrzeug eingebaut ist, lässt sich allerdings von außen nicht ohne weiteres erkennen. "Nach einem Unfall hängt es entscheidend von der Kompetenz der Polizei ab, ob die Strafverfolgungsbehörden Zugang zu diesen Daten erhalten", sagt Weyde. Daher sind Fälle wie der des vermutlich eingeschlafenen LKW-Fahrers durchaus realistisch.

EU PLANT NEUE RICHTLINIE ZUM UNFALLDATENSPEICHER

Das könnte sich jedoch mittelfristig ändern. "Die EU plant mit einer Richtlinie, Unfalldatenspeicher auch in Europa einzuführen. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass ab 2020 alle in Europa zugelassenen Neufahrzeuge und damit auch LKW im Falle eines Unfalls diverse Fahrdaten speichern", so der Sachverständige. In Nordamerika sind bereits heute in rund 80 Prozent aller Fahrzeuge klassische Unfalldatenspeicher eingebaut.

Was wird uns also in punkto Fahrzeugdaten erwarten? Weyde prognostiziert eine ähnliche Entwicklung wie in den USA. Dort sind Fahrzeughersteller seit 2008 gesetzlich verpflichtet, einen bestimmten Mindestdatensatz zu speichern. Dazu zählen unter anderem die Airbag-Daten, die für eine Unfallrekonstruktion extrem wertvolle Informationen liefern. Das könnte auch in Europa geltende Rechtslage werden.

DER GLÄSERNE FAHRER IST ZUM TEIL SCHON REALITÄT

Und wer spielt sonst noch mit im Datenpoker? Inzwischen greifen auch Versicherungen Informationen aus dem Fahrzeug ab. Zum Beispiel bietet die Sparkassen-Versicherung ein Modell an, bei dem sich die Beiträge am Fahrverhalten des Versicherungsnehmers orientieren. Im Fahrzeug wird dabei eine Telematikbox verbaut, die Daten zum Fahrverhalten wie Beschleunigung oder etwa auch heftige Bremsmanöver speichert.

Der gläserne Fahrer ist hier zum Greifen nah. Im Bereich Spedition und Logistik ist er zum Teil schon Realität. "Zahlreiche Daten werden etwa über das Mautsystem erfasst. Satellitengestützte Fuhrpark-Management-Systeme erlauben inzwischen eine Komplettüberwachung des Fahrers", weiß Weyde. Von den Daten, die über Telekommunikationsanbieter bei der Nutzung des Handys gespeichert werden, ganz zu schweigen.

ES STELLEN SICH HIER VIELE RECHTLICHE FRAGEN

Das alles wirft bereits jetzt zahlreiche Rechtsfragen auf. Warum wissen zum Beispiel die meisten Fahrzeughalter und Fahrer nichts vom Umfang der Datenspeicherung? Daniela Mielchen, Fachanwältin für Verkehrsrecht in Hamburg, hat sich intensiv mit dem Thema befasst. Sie sagt: "Hier herrscht Wildwuchs. Zum Teil werden die Kunden beim Kauf von Fahrzeugen gar nicht darüber informiert, dass in den Steuergeräten Daten über das Fahrverhalten gespeichert werden. Andere Hersteller informieren bei Vertragsschluss zwar in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen darüber, aber nicht hinreichend genug."

Das Problem setzt sich fort, wenn das Fahrzeug verkauft wird. Der neue Eigentümer tappt hier vielfach komplett im Dunkeln.

Die Frage, die zahlreiche Halter und Fahrer umtreibt, dürfte in Zukunft aber lauten: Können die Strafverfolgungsbehörden auf die vom Hersteller erhobenen Fahrzeugdaten zugreifen? "Diese Daten sind in der Regel weder für den Halter selbst noch für die Strafverfolgungsbehörden auslesbar", erklärt Mielchen. "Die Daten werden vom Hersteller verschlüsselt und können nur mit einer entsprechenden Software ausgelesen werden. Die Automobilindustrie hat hier in der Vergangenheit aber extrem gemauert und selbst nach tödlichen Verkehrsunfällen den Zugang zu den Computerprogrammen verweigert." Gibt es keine Möglichkeit, die Hersteller zur Mitwirkung zu zwingen? "Doch", sagt Mielchen, "im Zivilprozess kann die Mitwirkung über Paragraf 142 der Zivilprozessordnung vom Gericht angeordnet werden." Datenschützer Weichert verweist zudem auf Paragraf 34 des Bundesdatenschutzgesetzes. "Nach dieser Vorschrift haben Betroffene einen umfassenden Anspruch auf Auskunft, ebenso die Strafverfolgungsbehörden", sagt der Experte. Zwar wurde von der Norm bislang kaum Gebrauch gemacht. Das dürfte sich nach seiner Einschätzung in Zukunft jedoch ändern.

DAS EIGENE FAHRZEUG WIRD PLÖTZLICH ZUM VERRÄTER

In der Zwischenzeit könnten uns die technischen Möglichkeiten einholen. Viele Daten sind in den USA bereits heute auslesbar. Das dürfte mit der entsprechenden Software zunehmend auch der Polizei in Deutschland gelingen, so dass den Strafverfolgungsbehörden künftig sämtliche Unfalldaten praktisch zur Verfügung stehen könnten. Mielchen warnt daher eindringlich vor den damit einhergehenden Problemen. "Hier könnten strafrechtliche Schutzrechte massiv ausgehöhlt werden", sagt die Expertin, "nämlich der Grundsatz, dass sich niemand selbst belasten muss und das Aussageverweigerungsrecht. Der staatliche Zugriff auf diese Daten würde aber bedeuten, dass der Betroffene durch sein eigenes Fahrzeug belastet würde. Das Aussageverweigerungsrecht würde damit praktisch leer laufen." Das betrifft übrigens nicht nur die vom Hersteller erhobenen sondern auch die mittels eines UDS oder einer Dashcam freiwillig dokumentierten Daten.

Das Risiko, vom eigenen Fahrzeug verraten zu werden, sieht Miel chen auch bei den angesprochenen Versicherungstarifen mit Telematik-Option: "Zum einen könnten die Verfolgungsbehörden über eine Durchsuchung und Beschlagnahme beim Versicherer an die Daten von Verkehrssündern gelangen. Vielfach wird das aber nicht einmal nötig sein, Schon heute erteilen die Versicherungen den Behörden bereitwillig Auskunft über Angaben, die ein Geschädigter im Rahmen einer Schadensanzeige gemacht hat. Da ist auch die Weitergabe der im Telematikwege erhobenen Daten zu befürchten."

Sicherstellung und Beschlagnahme könnten in punkto Daten künftig zur Allzweckwaffe der Polizei werden. "Verschärfend kommt hinzu, dass dazu mehrheitlich nicht mal ein Durchsuchungsbeschluss notwendig sein wird", sagt die Verkehrsrechtsexpertin. Wegen Gefahr im Verzug würde die Polizei in den meisten Fällen selbst entscheiden können. Mielchen fordert daher, ausreichende Schutzgesetze zu schaffen und die Beteiligten ausführlich über die Speicherung der Daten aufzuklären. Darüber hinaus müsse es möglich sein, die vom eigenen Fahrzeug erhobenen und gespeicherten Daten frühzeitig und gegebenenfalls als erster einsehen zu können.

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