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Kein rechtsfreier Raum

30.07.2012 08:00 Uhr
Kein rechtsfreier Raum
Die Zuständigkeiten für das Be- und Entladen sind gesetzlich klar geregelt.
© Foto: dapd/Focke Strangmann

Bei Problemen an der Rampe handelt es sich oft um Zuständigkeiten beim Be- und Entladen, um Schadensfälle oder die Standzeiten. Wer darf was?

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Bei ihren täglichen Anlieferfahrten haben Transportunternehmer oft den Eindruck, dass an der Rampe das Recht des Stärkeren gilt. Meist ist das der Warenempfänger - er bestimmt, wer, wann und wie entladen wird. Dabei ist die Rampe keineswegs ein rechtsfreier Raum.

Die Zuständigkeit für das Be- und Entladen etwa ist gesetzlich klar geregelt. "Nach dem Handelsgesetzbuch (HGB) ist dafür der Absender verantwortlich", erklärt der auf Transportrecht spezialisierte Rechtsanwalt Mathias Bouveret aus der Kölner Kanzlei Ossenbach Bouveret Akkad. Er muss gemäß § 412 Absatz 1 HGB zu Beginn des Transports für die beförderungssichere Beladung, für die Verstauung und Befestigung des Gutes sowie am Ende für dessen Entladung sorgen.

IN DER REGEL IST DER ABSENDER FÜR DIE ENTLADUNG VERANTWORTLICH

"Der Frachtführer ist dazu zunächst einmal nicht verpflichtet und kann sich auch weigern", betont der Anwalt. Wenn beim Empfänger niemand ablädt, sollte der Frachtführer - wie immer bei auftretenden Problemen - aber bei seinem Auftraggeber, dem Absender, anrufen und eine Weisung einholen, wie weiter zu verfahren ist, rät der Experte. Die Praxis sieht jedoch vielfach anders aus. Hier wird vom Fahrer erwartet, dass er mit anpackt. "Wird dieser ohne eigene Verpflichtung tätig, handelt er in der Regel als Erfüllungsgehilfe des Absenders, er leistet also eine Art Gefälligkeit", macht Bouveret deutlich. "Kommt es dabei zu einem Schaden am Transportgut, wird das Fehlverhalten des Fahrers dem Absender zugerechnet, dieser haftet also. Es sei denn, der Fahrer hat seine Schutzpflichten verletzt."

In der Regel liegt einem Transport ein Kaufvertrag über die Ware zugrunde. Im Rahmen dieses Kaufvertrages ist häufig geregelt, ob der Käufer oder der Verkäufer das Risiko eines Schadens an der Ware während des Transports trägt, und gegebenenfalls auch, wer das Gut entladen muss. "Hier ist allerdings ein Blick in den konkret zugrundeliegenden Vertrag erforderlich, um sagen zu können, wer tatsächlich abladen muss und wem im Fall der Beschädigung oder des Verlustes des Transportgutes ein Schaden entsteht", sagt Bouveret. Gängige Klauseln regelten oft, dass die Gefahr eines Schadens schon ab dem Zeitpunkt der Übergabe der Ware an den Frachtführer beim Empfänger liege, so der Anwalt.

Diese kaufvertraglichen Regelungen schlagen aber nicht unmittelbar auf den Frachtvertrag zwischen dem Frachtführer und den ihn beauftragenden Absender - das kann sowohl der Verkäufer als auch der Käufer sein - durch. Für den Frachtführer ist nur relevant, was er mit seinem Vertragspartner, also dem Absender, vereinbart hat. Ist die Entladepflicht weder im Rahmen des Frachtvertrages geregelt, noch aufgrund der Umstände oder der Verkehrssitte Aufgabe des Frachtführers und lädt der Empfänger auf eigene Faust ab, obwohl dazu laut Gesetz der Absender verpflichtet ist, handelt der Empfänger aus der Perspektive des Frachtführers als Erfüllungsgehilfe des Absenders. "Das bedeutet, dass für einen Schaden an der Ware dann jedenfalls nicht der Frachtführer geradezustehen hat", so der Experte.

NORMALE WARTEZEITEN SIND MIT DEM FRACHTLOHN ABGEGOLTEN

In punkto Standgeld ist die rechtliche Situation nicht weniger knifflig. Denn der Frachtführer steht, wie gezeigt, nur in einer vertraglichen Beziehung zum Verlader (Absender), nicht jedoch zum Empfänger der Ware. Von seinem Auftraggeber, dem Verlader, kann er Standgeld nur unter engen Voraussetzungen verlangen. Diese sind in § 412 Absatz 3 HGB geregelt. Danach kommt ein Standgeld für den Spediteur nur in Betracht, wenn die üblichen Be- und Entladezeiten überschritten werden. Normale Wartezeiten sind dagegen bereits mit dem vereinbarten Frachtlohn abgegolten. "Was üblich ist, ist allerdings nirgends gesetzlich geregelt", erklärt Ulrich Hoffmann vom Landesverband Thüringen des Verkehrsgewerbes. "In § 5 der VGBL, der Vertragsbedingungen für den Güterkraftverkehrs-, Speditions- und Logistikunternehmer, wird aber für einen 40-Tonner eine Frist von zwei Stunden zum Be- und zwei Stunden zum Abladen veranschlagt. In Ermangelung staatlicher Normen haben die Amtsgerichte diesen Wert in der neueren Rechtsprechung akzeptiert", so Hoffmann.

Die Standzeiten sollten in jedem Fall dokumentiert werden, entweder durch ein entsprechendes Standzeiten-Protokoll, durch den CMR-Frachtbrief, Tachografen- oder Telematikdaten oder durch Zeugen. In der Praxis werden Unterschriften auf Protokollen zum Nachweis von Standzeiten vom Rampenpersonal aber häufig verweigert.

DER FRACHTFÜHRER HAT DAS RECHT, DAS OFFENE ENTGELT ZU VERLANGEN

Oft sehen sich Spediteure auch mit einer Klausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen ihrer Auftraggeber konfrontiert, nach denen ein solcher Anspruch ausgeschlossen sein soll. Der Bundesgerichtshof hat jedoch im Mai 2010 klargestellt, dass ein solcher Ausschluss gegen Treu und Glauben verstößt und damit unwirksam ist (Urteil vom 12. Mai 2010, Aktenzeichen: I ZR 37/09). Standgeld darf also nicht von vornherein per AGB ausgeschlossen werden.

Bei überlangen Wartezeiten kann der Frachtführer auch den Empfänger der Ware, bei dem er möglicherweise mehrere Stunden gestanden hat, in die Verantwortung nehmen. Unterstützung erfährt er dabei vom Gesetzgeber (§ 421 Absatz 3 HGB). Dieser hat nämlich geregelt, dass der Frachtführer das Recht hat, bei Ablieferung das noch offene Entgelt für die Beförderung zu verlangen. Fordert der Empfänger in diesem Fall seinerseits die Herausgabe des Frachtguts, schuldet er dem Frachtführer kraft Gesetzes die Zahlung der noch offenen Beträge. Das umfasst auch Nebenforderungen wie beispielsweise ein Standgeld.

"Dieses Ablieferungsverlangen kann auch konkludent erfolgen", erklärt Hoffmann, "und zwar, indem der Empfänger dem Frachtführer eine Entladestelle zuweist und die Entladung des Fahrzeugs durchführt." Die Höhe des Standgeldes müsse der Frachtführer daher noch nicht konkret benennen, betont er. So hat etwa das Amtsgericht Hamburg-Harburg entschieden, dass die Verpflichtung zur Zahlung von Standgeld auch gelten soll, wenn die konkrete Höhe dem Empfänger nicht bekannt ist (Beschluss vom 6. Januar 2012, Aktenzeichen: 649 C 104/11).Der Gesetzgeber hat dem vermeintlich Schwächeren an der Rampe rechtliche Rückendeckung gegeben. Sie in der Praxis zu nutzen, bleibt aber die nicht ganz einfache Aufgabe der Transportunternehmer. (Ina Reinsch)

HINTERGRUND

Vorrücken zieht Probleme nach

Rechtliche Fragen bei Wartezeiten an der Rampe stellen sich auch bei der Auslegung der arbeitszeit- und fahrpersonalrechtlichen Vorschriften. Gelten die Wartezeiten als Arbeitszeit, sind sie Ruhezeit? Oder Pause?

"Arbeitszeit ist alles zwischen Beginn und Ende der Arbeit mit Ausnahme der Pausen", erklärt Ingo Hamm, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Bochum. So sieht es das Arbeitszeitgesetz vor. "Die Wartezeit wäre also nur dann keine Arbeitszeit, wenn sie von vornherein feststünde und frei von Arbeit wäre", so der Anwalt. Frei von Arbeit ist sie aber dann nicht, wenn der Fahrer sich auf Abruf bereithalten muss und in seiner Bewegungsfreiheit beschränkt ist. Umgekehrt heißt das: Die Wartezeit ist keine Arbeitszeit, wenn der Fahrer beim Besteigen des LKW weiß, wann und wie lange er an der Rampe steht und welche Zeit ihm dort zur freien Verfügung steht. Nach Einschätzung des Arbeitsrechtlers ein völlig unrealistisches Szenario. "Denn der Fahrer soll den LKW ja immer dann bewegen, wenn vor ihm einer voll oder leer gemacht wurde. Und wann das ist, weiß vorher niemand."

Doch das ist nicht das einzige Problem am Vorrückverfahren. Das Vorrücken selbst zerschießt den Fahrern nämlich auch die Fahrtunterbrechung sowie die Ruhezeit nach den fahrpersonalrechtlichen Vorschriften: So muss der Fahrer nach einer Lenkdauer von viereinhalb Stunden eine Lenkzeitunterbrechung von insgesamt 45 Minuten einlegen. Diese Unterbrechung kann in zwei Stücke von 15 Minuten und 30 Minuten aufgeteilt werden. Wird die jeweilige Mindestdauer nicht erreicht, so liegt keine wirksame Lenkzeitunterbrechung vor. Das ist etwa dann der Fall, wenn eine Teillenkzeitunterbrechung weniger als die geforderten Minuten beträgt, weil der Fahrer vorrücken muss.

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