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Interview des Monats: "Ärzte verstehen zu wenig von Verkehrsmedizin"

27.12.2017 08:00 Uhr
Sabine Herzberg
Sabine Herzberg ist Facharzt für Neurologie und Psychiatrie
© Foto: Deutscher Verkehrssicherheitsrat DVR

In Zeiten des Lkw-Fahrermangels begrüßen es Speditionen, wenn Fahrer nicht in den Ruhestand gehen, sondern noch viele Jahre weiterarbeiten. Annähernd 30.000 Fahrer sind bereits in Rente, sitzen aber immer noch am Steuer. Nur alle fünf Jahre ist ein Gesundheitscheck beim Allgemeinarzt nötig. Reicht das in puncto Verkehrssicherheit?

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Die (berufstätige) Bevölkerung Deutschlands wird immer älter und leidet zugleich mehr unter Stress, Fettleibigkeit, Diabetes, psychischen Problemen. Das trifft auch auf Berufskraftfahrer zu. Berücksichtigen die Begutachtungsleitlinien, anhand derer die Fahreignung von Kraftfahrern geprüft wird, diese Entwicklung?

Die Begutachtungsleitlinien werden ständig von einzelnen Fachgremien aktualisiert. Zwar wäre eine Neufassung im Fachgebiet Neurologie und Psychiatrie wünschenswert. Doch die Bereiche Kardiologie und Diabetes entsprechen aus meiner Sicht dem Stand der Wissenschaft. Völlig neu ist auch das wichtige Kapitel Tagesschläfrigkeit. Die Begutachtungsleitlinien sind also nicht das Problem.

Sondern?

Sondern die Tatsache, dass die behandelnden Ärzte oft nicht das nötige verkehrsmedizinische Wissen besitzen, um die Lkw-Fahrer fachgerecht zu beraten - obwohl sie die Aufklärungspflicht haben. Das beginnt schon bei den Nebenwirkungen von Medikamenten. Auch im Medizinstudium spielte Verkehrsmedizin lange kaum eine Rolle.

Die überprüfenden Ärzte haben zu wenig Ahnung?

Der in Abständen von fünf Jahren erforderliche Gesundheitscheck ist bewusst nur eine Untersuchung mit geringem Umfang. Und eine besondere Qualifikation des Arztes ist nicht gefordert.

Eine ärztliche Untersuchung nur alle fünf Jahre - ist diese Zeitspanne nicht viel zu lang?

Wichtig wäre hier nicht zwingend eine Verkürzung der Zeitspanne, sondern die obligate verkehrsmedizinische Qualifikation der untersuchenden Ärzte.

Es sind zunehmend Fahrer im höheren und hohen Alter unterwegs, rund 30.000 sind schon Rentner, fahren aber weiter*. Sollte nicht irgendwann einmal Schluss sein mit dem anstrengenden Job?

Zunächst sollte darüber nachgedacht werden, die Zeitabstände der ärztlichen Untersuchungen ab einem gewissen Alter, zum Beispiel ab dem 60. Lebensjahr, zu verkürzen. Im Schienenverkehr zum Beispiel werden die Untersuchungen alle drei Jahre durchgeführt, ab dem 55. Lebensjahr jedes Jahr. Der Umfang der Untersuchung ist auch deutlich größer. Eignungsausschließende Erkrankungen werden so sicherer entdeckt. Auch eine absolute Höchstaltersgrenze für Berufskraftfahrer ist etwas, worüber man nachdenken kann.

Wie ist Ihre Erfahrung aus den Gutachtergesprächen - sind Berufskraftfahrern im Allgemeinen gesundheitliche Einschränkungen und das eventuell damit einhergehende Risiko bewusst?

Ich sehe da keinen Unterschied zwischen Berufskraftfahrern und anderen Kraftfahrern. Die einen sind sich dessen bewusst, andere versuchen sich durchzumogeln. Das Wissen um die Erkrankung ist weniger das Problem als der Umgang mit der Erkrankung und das allgemeine Gesundheitsverhalten der Fahrer - Stichworte Bewegungsmangel oder Ernährung ...

Es besteht für Berufskraftfahrer eine Weiterbildungspflicht. In den Schulungsprogrammen spielt das Thema "Gesundheit" oft eine untergeordnete Rolle. Sollte man die Pflichtstunden nicht stärker für die Prävention nutzen?

Durchaus. Aus meiner Erfahrung wären die Themen Ernährung, Umgang mit Genussmitteln oder auch Schlafhygiene et cetera wichtig.

Auch wenn die Fahreignung besteht, heißt das nicht, dass ein Fahrer aktuell fahrtüchtig ist. Müsste man die Arbeitgeber stärker in die Pflicht nehmen, etwa in puncto Prüfung der Fahrtüchtigkeit - zum Beispiel durch technische Hilfsmittel wie den "Alcomat"?

Hier ist zunächst der Lenker selbst in der Pflicht, siehe Fahrerlaubnis-Verordnung § 2: Wer sich infolge körperlicher oder geistiger Beeinträchtigungen nicht sicher im Verkehr bewegen kann, darf am Verkehr nur teilnehmen, wenn Vorsorge getroffen ist, dass er andere nicht gefährdet. Aber bei Fahrern mit besonderer Verantwortung (Bus, Gefahrgut, Schwertransporte etc.) könnte ein Alkohol-Interlock die Zahl der alkoholbedingten Unfälle gegen Null gehen lassen.

* Deutsche Handwerks-Zeitung vom 9.1.17

Sabine Herzberg

ist Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, leitende verkehrsmedizinische Gutachterin des TÜV Thüringen und Mitglied der deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin e.V. Sie schult Gutachter, begutachtet Kraftfahrer aber auch selbst, sowohl wegen Erkrankungen als auch im Rahmen der MPU wegen Alkohol, Drogen oder Punkten.

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