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Interview: "Wie groß ist das Problem Fahrermangel wirklich?"

24.11.2017 08:00 Uhr
Christian Richter
Christian Richter ist Landesgeschäftsführer für Güterverkehr und Entsorgung
© Foto: GVN

Der Gesamtverband des Verkehrsgewerbes Niedersachsen klagt über stillstehende Fahrzeuge und geplatzte Aufträge. Jetzt sollen Quereinsteiger ran.

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Lkw bleiben stehen und Unternehmer müssen Aufträge ausschlagen, weil sie nicht genug Fahrer haben - überzogenes Horrorszenario oder Realität?

Das ist Realität. Wir haben tatsächlich Mitgliedsunternehmen, denen es bereits so geht. Hinzu kommt, dass die Situation sich zuspitzt. Die Fahrer werden älter und die Jungen kommen nicht nach. Der Anteil der Berufskraftfahrer unter 25 Jahren liegt bei 2,5 Prozent. 16,8 Prozent der Berufskraftfahrer sind dagegen zwischen 55 und 65 Jahre alt. Böse Zungen behaupten, das Problem sei hausgemacht: Die Branche bilde einfach nicht genügend Berufskraftfahrer aus. Unternehmen bilden noch zu wenig aus, das ist richtig. Es gibt aber ein Umdenken: Immer mehr Betriebe sind dazu bereit, das war vor zehn Jahren noch anders. Allerdings ist es schwierig, überhaupt Azubis zu finden, und sehr viele brechen die Ausbildung dann wieder ab. Wieder andere greifen den Führerschein ab und gehen dann in einen anderen Beruf.

Der GVN ruft gerade ein Ausbildungsprojekt ins Leben. Was haben Sie vor?

Grundsätzlich wollen wir Quereinsteiger für den Beruf gewinnen. Dafür wollen wir eng mit den Arbeitsagenturen und Jobcentern zusammenarbeiten, die uns potenzielle Kraftfahrer vermitteln sollen. Die können neben der Führerscheinausbildung und der benötigten Grundqualifikation auch den Gabelstaplerschein und die Gefahrgutausbildung erwerben. Bezahlt wird das Ganze über Bildungsgutscheine der Arbeitsagentur.

Bisher werden nur sehr wenige Bildungsgutscheine für die Kraftfahrerausbildung ausgestellt. Woran liegt das?

Daran, dass den Behörden so wenige offene Fahrerstellen gemeldet werden. Die Unternehmen glauben nicht, dass von den Jobcentern geeignete Bewerber kommen, und melden ihre Stellen daher erst gar nicht. Deshalb erkennen die Behörden den hohen Bedarf nicht und stellen auch kein Geld bereit.

Und versprechen Sie sich eine höhere Erfolgsquote als bei der normalen Berufsausbildung?

Damit die Bewerber auch wissen, was auf sie zukommt, machen sie als erstes einen Tag lang ein Praktikum in einem Transportunternehmen. Wer dann noch Interesse hat, den laden wir zu einer Art Speeddating mit Unternehmern ein. So können sich Bewerber und potenzielle Arbeitgeber kennenlernen und austauschen. Wenn ein Anwärter dann weiterhin Interesse hat, machen wir einen Eignungstest. Damit wollen wir sicherstellen, dass er in der Lage ist, nach der Ausbildung die IHK-Prüfung in deutscher Sprache zu bestehen. Diese Hürde wollen wir von vornherein ausschließen. Es folgt noch einmal ein einwöchiges Praktikum im Unternehmen. Erst dann beantragen wir den Bildungsgutschein.

Mit welchen Ausbildungszeiten rechnen Sie?

Für den Führerschein, beschleunigte Grundqualifikation, Gabelstaplerausbildung und Gefahrgutschein planen wir neun Wochen ein. Dann sind die Bewerber im Grunde fertige Lkw-Fahrer. Es folgt dann aber noch ein achtwöchiges Praktikum im Unternehmen.

Ein straffes Programm.

Das ist zu schaffen. Wir machen das so ähnlich in der Busfahrerausbildung. Da haben wir damit gute Erfahrung gemacht.

Sie hatten jetzt eine erste Informationsveranstaltung mit Mitarbeitern aus Jobcentern und von der Arbeitsagentur. Wie waren die ersten Reaktionen?

Eher verhalten. Für die Behörden bedeutet die Kraftfahrerausbildung aber auch hohe Kosten, die über die Bildungsgutscheine gedeckt werden müssen.

Da ist es für die Arbeitsagentur vielleicht günstiger, Arbeitssuchenden zum Beispiel einen Schweißer-Lehrgang zu spendieren. Hinzu kommt, dass die Mitarbeiter der Behörden das Berufsbild auch hauptsächlich nur aus Zeitungsberichten kennen: Unfälle, überfüllte Parkplätze, lange Arbeitszeiten et cetera. Durch die Zusammenarbeit können wir an dieser Stelle auch die positiven Seiten aufzeigen. Viele Kraftfahrer sind ja abends auch zu Hause bei der Familie.

Also sind wir wieder beim Imageproblem.

Ja, das Image hat in den vergangenen Jahren sehr gelitten. Wir sind aber wieder auf einem guten Weg. Jeder von uns braucht Lkw und Lkw-Fahrer und das muss auch die Öffentlichkeit sehen. Wir müssen als Branche und insgesamt auch als Verbände daran arbeiten, dass wir auch mehr Work-Life-Balance reinbekommen. Die Fahrer sollten zumindest am Wochenende zu Hause sein.

Christian Richter

Christian Richter ist Landesgeschäftsführer für den Bereich Güterkraftverkehr und Entsorgung beim Gesamtverband des Verkehrsgewerbes Niedersachsen GVN, seit 2013 war er Stellvertreter in dieser Position. Richter war zuvor mehrere Jahre in einem Entsorgungsfachbetrieb mit Transport von Sondermüll tätig, er ist Verkehrsfachwirt und gelernter Kraftverkehrsmeister.

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