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Manipulation am Digi-Tacho

29.01.2013 08:00 Uhr
Manipulation am Digi-Tacho
Wehe dem, der bei der Manipulation des Tachografen erwischt wird.
© Foto: Siemens VDO

Manipulationen des digitalen Tachografen sind an der Tagesordnung. Doch viele Fahrer und Unternehmer wissen nicht, wie gefährlich das falsche Spiel sein kann.

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Auf Europas Straßen ist ein Wettrüsten entbrannt. Mit technischer Raffinesse und hoher krimineller Energie rüsten jene auf, die immer neue Wege suchen, um den digitalen Fahrtenschreiber zu manipulieren. Im gleichen Maße ziehen die Kontrollbehörden nach, die durch den Einsatz neuer Analysesoftware und akribischer Detektivarbeit bei Straßenkontrollen und in Betriebsprüfungen den Fälschern Paroli bieten.

Während die EU-Kommission in Brüssel darüber nachdenkt, wie künftige Tachografengenerationen besser vor Tricksereien geschützt werden könnten, gefährden die schwarzen Schafe der Branche die Sicherheit auf der Straße. Denn die Gefährdung durch übermüdete Fahrer wird dadurch, dass bestimmte Manipulationen offenbar die Sicherheitssysteme der LKW beeinträchtigen, noch verschärft.

SCHWERE UNFÄLLE DURCH DIE MANIPULATIONEN

Kontrolleure, die in ihrer täglichen Arbeit die Praxis hautnah erleben, schlagen Alarm. Polizeihauptkommissar Helfried Gössel von der Schwerlastüberwachungsgruppe der Autobahnpolizei Osnabrück: "Inzwischen häufen sich die schweren Unfälle, bei denen Manipulationen mitursächlich waren", erklärt Gössel. "Durch das Manipulieren werden wichtige Sicherheitssysteme der Nutzfahrzeuge beeinträchtigt oder ganz deaktiviert, wie zum Beispiel ABS, Geschwindigkeitsbegrenzer oder Verschaltsperren in den Getrieben." Kapitale Getriebeschäden und inzwischen auch blockierende Getriebe während der Fahrt oder ungleiches Bremsverhalten auf glatter Fahrbahn seien mögliche Folgen gezielter Manipulationen, die mittlerweile in die Fahrzeugelektronik eingreifen.

FORDERUNG NACH BESSEREN KONTROLLEN

Bernhard Resch, Dezernatsleiter bei der Regierung der Oberpfalz, wo das Kompetenzzentrum Fahrpersonal der Bayrischen Gewerbeaufsicht angesiedelt ist, stellt bei Betriebskontrollen ebenfalls einen Trend fest: "Es muss in aller Deutlichkeit festgestellt werden, dass die Zahl der von uns festgestellten und beweisbaren Manipulationen sehr zugenommen hat", schreibt Resch in seiner Antwort auf Anfrage der TRUCKER-Schwesterzeitschrift VerkehrsRundschau. Die Anzahl der eingeleiteten Strafverfahren wegen Nutzung einer fremden Fahrerkarte habe sich in den letzten Jahren vervielfacht.

Jüngst forderte der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) die Verbesserung der Kontrollmöglichkeiten bei den zuständigen Behörden. Der Verband hatte das Problem der Manipulationen anlässlich seiner diesjährigen Mitgliederversammlung auf die Agenda gesetzt. BGL-Hauptgeschäftsführer Karlheinz Schmidt: "Wir haben Alarm geschlagen, denn es kann nicht sein, dass der Wettbewerb durch Manipulationen bei den Lenkzeiten derart verzerrt wird." Der BGL sieht dringenden Handlungsbedarf bei der Kontrollausstattung der Behörden. "Elektronische Manipulationen durch spezielle Softwareprogramme, die die Fahrerkarte quasi reinwaschen, können von den Behörden bei Unterwegskontrollen nicht ohne Weiteres erkannt werden", erklärt Schmidt.

Um solche ausgefeilten Manipulationen an den Datenströmen zu erkennen, reichten die Routinekontrollen auf der Autobahn nicht aus. Oft würden derartige Eingriffe erst bei Betriebskontrollen auf--gedeckt. "Bei einem Anteil von vierzig Prozent gebietsfremder Fahrzeuge auf den deutschen Autobahnen ist dies ein unhaltbarer Zustand", folgert Schmidt.

Medien hatten berichtet, dass die Beanstandungsquote bei fahrpersonalrechtlichen Kontrollen des BAG nur bei rund einem Prozent liege - ein im internationalen Vergleich auffällig niedriger Wert. Das BAG war um Aufklarung bemüht und lies in einer Stellungnahme wissen: Aufgrund der technischen Komplexitat der Sonderkontrollen kann nicht bei jeder fahrpersonalrechtlichen Strasenkontrolle eine vertiefte Prüfung auf Manipulationen am Kontrollgerät erfolgen. Sollten jedoch bei einer solchen Kontrolle Anhaltspunkte für eine mögliche Manipulation vorliegen, erfolgt die Hinzuziehung eines Technikexperten, der eine vertiefte Überprüfung des Kontrollgeräts vornimmt."

GRÖSSERER ERFOLG MIT VERTIEFTEN KONTROLLEN

Viel höher liege die Beanstandungsquote laut BAG bei vertieften Straßenkontrollen, die gezielt zur Aufdeckung technischer Manipulationen des Fahrtenschreibers durchgeführt wurden. Bei diesen Kontrollen mit speziell geschultem Personal liegt die Beanstandungsquote laut BAG bei 20 Prozent - eine Quote, die mit internationalen Referenzen durchaus vergleichbar sei. Wie hoch die Beanstandungsquoten liegen, hängt entscheidend von der Zielsetzung der Kontrolle ab, weiß Polizeihauptkommissar Gössel aus eigener Erfahrung. "Bei den groß angelegten Kontrollen werden Manipulationen seltener erkannt, weil die Kraft fahrer sich über CB-Funk warnen. Die Beanstandungsquoten liegen dann nur bei ein bis zwei Prozent", sagt Gössel. Erfolgt die Kontrolle dagegen gezielt auf die schwarzen Schafe, sei die Erfolgsquote höher und erreiche bis zehn Prozent.

Martin Bonthuis, Experte für Straßenverkehrsrecht und Kontrollen beim europäischen Polizeinetzwerk Tispol, weist darauf hin, dass Zahlen zu Beanstandungsquoten differenziert betrachtet werden müssen. "Teilweise wurde bei fokussierten Kontrollen, bei denen auch spezielles Equipment zum Einsatz kam, fast bei jedem dritten Fahrzeug Manipulationen am Fahrtenschreiber entdeckt", erklärt der Polizist, der auch die internationalen Schulungen für Kontrollbeamte koordiniert.

BLEIBT DIE SICHERHEIT AUF DER STRECKE?

Aus diesen Beanstandungsquoten lasse sich aber nicht ableiten, wie viele Fahrzeuge im Durchschnitt manipuliert sind. In den Schwerpunktkontrollen lenken die Kontrollbeamten den Blick aufgrund ihrer Expertise und Erkenntnissen aus anderen Kontrollen auf besonders verdächtige Fahrzeuge. Die tatsächliche Quote über alle Fahrzeuge dürfte daher wesentlich niedriger liegen, ist Bonthuis überzeugt.P Besorgniserregend sind Berichte, wonach bestimmte Manipulationen des Fahrtenschreibers gleichzeitig die Sicherheitssysteme der LKW außer Kraft setzen. Tispol-Experte Bonthuis: "Wir finden wirklich eine Menge idiotischer Eingriffe in die Elektronik. Die Fahrer wissen oft nicht, was das für Folgen für die Sicherheit hat."

Die LKW-Hersteller wiegeln ab. Einen negativen Einfluss auf Fahrassistenzsysteme oder Technikkomponenten schließen sie aus. Iveco räumt lediglich ein, dass es zur Abschaltung von bestimmten Systemen kommen kann. Manfred Kuchlmayr, Pressesprecher von Iveco Magirus: "Zunächst bleibt festzuhalten, dass bei den uns bekannten Manipulationen alle sicherheitsrelevanten Funktionen erhalten bleiben. Manche Funktionen, die nicht sicherheitsrelevant sind, werden bei nicht plausiblen Signalen abgeschaltet. Dazu gehört zum Beispiel der Abstandstempomat ACC, der Spurhalteassistent LGS oder der Tempomat. Die Abschaltung ist aber für den Fahrer optisch erkennbar."

Die Nachfrage bei Scania ergab, dass eine Tachomanipulation in erster Linie zu einer Fehlercodeinformation "Unwahrscheinliche Geschwindigkeitssignale" führt. Dies tritt unter anderem dann auf, wenn im Falle von Manipulationen das Geschwindigkeitssignal, welches vom EBS-Steuergerät zum Fahrtenschreiber führt, nicht mit den Signalen des Raddrehzahlsensors übereinstimmt. Der Fahrer sieht dann eine gelbe Warnleuchte im Cockpit leuchten. Das fehlende Signal vom Fahrtenschreiber habe aber keine Auswirkung auf die Funktion von ABS und ESP, da das Hauptsignal von den Polrädern der ABS-Anlage komme, betont der befragte Fachmann, der wie andere Befragte anonym bleiben möchte.

HOHES RISIKO FÜR SCHÄDEN AM GETRIEBE

Auf jeden Fall können Manipulationen zu Getriebeschäden führen - das bestätigt der Getriebehersteller ZF in Friedrichshafen. Thomas Wenzel, Leiter der Produktkommunikation: "Im Hinblick auf ZF kann man sagen, dass ein fehlendes Geschwindigkeitssignal zum Beispiel vorhandene geschwindigkeitsabhängige Absicherungsmechanismen gegen unzulässige Schaltungen aufhebt. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit für Schäden an der Getriebesynchronisierung."

Sind die Kontrollbehörden gut genug ausgestattet, um den Betrügern das Handwerk zu legen? "Die vom BAG eingesetzte Software entspricht hinsichtlich der Überwachung der Einhaltung der Sozialvorschriften unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus den BAG-Kontrollen dem neuesten Stand der Technik", teilt das BAG mit. Die Software werde zudem stetig weiterentwickelt, zuletzt geschehen im Oktober 2012.

KONTROLLSOFTWARE PRÜFT 55 ASPEKTE

Helfried Gössel weist darauf hin, dass zumindest die Kontrollausrüstung der Autobahnpolizei immer von den finanziellen Mitteln der Behörden und der 16 Länder abhängig ist. "Die Software der Kontrolleure ist oftmals nicht auf dem neuesten Stand, die Systeme machen immer wieder Probleme beim Einlesen der digitalen Daten", klagt Gössel. Oft muss die Kontrolle dann ohne Datensicherung abgebrochen werden, um den Kraftfahrer nicht unnötig lange warten zu lassen.

Burghard Toschek, Leiter Datenmanagement digitaler Tachograf des Softwareanbieters EH-Systemhaus: "Die meisten Manipulationen können in Straßenkontrollen mithilfe einer Software und gut ausgebildeter Beamten aufgedeckt werden." Das Unternehmen liefert neben Tachografen-Auswertsoftware für Fuhrparks unter anderem die Kontrollsoftware für die bayerische Polizei. Damit werden über fünfzig mögliche Verdachtsmomente standardmäßig überprüft. Manipulationen mit Magneten (sie bilden neben der missbräuchlichen Verwendung von Fahrerkarten immer noch den Löwenanteil der aufgedeckten Vergehen) werden von der Software leicht erkannt.

Auch Tricksereien mit der Fahrerkarte können durch Plausibilitätsprüfungen und Überprüfung der Wegstrecken von den Kontrolleuren meist schnell aufgedeckt werden. Helfried Gössel fordert, dass europaweit die Nutzfahrzeughersteller in die Pflicht genommen werden müssten. Bei manipulierenden Eingriffen, die sich auch auf die Elektronik des Fahrzeugs auswirken, müsste die Notlaufeigenschaft des LKW aktiviert werden, damit das Fahrzeug nicht mehr die volle Motorleistung hat. Außerdem müssten die Diagnoseschnittstellen herstellerübergreifend vereinheitlicht werden.

Die Manipulation des digitalen Tachografen kann Frachtführer teuer zu stehen kommen. "Tricksereien am Fahrtenschreiber sind kein Kavaliersdelikt", warnt Volker Lindner, Rechtsanwalt der Partnergesellschaft Lindner, Schabel, Lieske in Freiburg. Sowohl der LKW-Fahrer, der Fahrzeughalter als auch der sonstige Verantwortliche müssten mit rechtlichen Konsequenzen rechnen, wenn sie die Bordelektronik überlisten.

TÄUSCHUNG UND URKUNDENFÄLSCHUNG

"Allen drohen Vorwürfe, unter anderem wegen des Verdachts der Urkundenfälschung, der Fälschung technischer Aufzeichnungen, der Fälschung beweiserheblicher Daten, der Täuschung im Rechtsverkehr bei Datenverarbeitung und gegebenenfalls der Urkundenunterdrückung", sagt Lindner.

Nach seiner Erfahrung verhängen die Justizbehörden je nach Tatbestand und Tatbeteiligung empfindliche Geldbußen und Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren. "Zunächst einmal wird nur dem Fahrer ein Vorwurf gemacht", erklärt Lindner den Ablauf bei einer strafrechtlichen Verfolgung. "Hier ist der Entzug des Führerscheins denkbar, wenn der Fahrer gegenüber der Führerscheinstelle nicht nachweisen kann, dass er trotz der Tat zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist."

Damit sind dessen Vorgesetzte aber nicht aus der Haftung. Nachdem die aufgezeichneten Zeiten kontrolliert und ausgewertet wurden, zeigten sich meist Anhaltspunkte dafür, dass der Unternehmer oder dessen Disponent Kenntnis von der Manipulation hatten, sagt der Rechtsanwalt. "Die Ermittlungsbehörden werden folglich den Kenntnisstand aller Beteiligten ermitteln und die notwendigen Schritte einleiten." Unter Umständen könnten sogar Werkstätten, die an der Manipulation beteiligt gewesen sind, zur Verantwortung gezogen werden.

Gewerbeaufseher Resch aus Regensburg weiß von saftigen Strafen: "Soweit es sich um Ordnungswidrigkeiten handelt, werden Bußgelder verhängt. Allerdings erfüllt die Manipulation häufig einen Straftatbestand. In den letzten von uns ermittelten Verfahren wurden Geldstrafen von mehreren Tausend Euro gegen die Fahrer ausgesprochen", sagt Resch.

IN DEUTSCHLAND KRITIK AN DER RECHTSPRECHUNG

Auch versicherungstechnisch bleibt eine Manipulation nicht ohne Folgen. Das gilt sowohl für eine KFZ-Haftpflicht- und Kaskoversicherung als auch für eine Warentransportversicherung, die die Haftung in Bezug auf das zu transportierende Gut deckt. Kommen die Tricksereien am digitalen Tachografen ans Tageslicht, drohe dem Betrüger der Verlust des Versicherungsschutzes. Darauf weist Hans Kuckels hin, Prokurist beim Münchner Versicherungsmakler Schunck Group.

Mit Blick auf die Nachbarstaaten ist aber auch immer wieder Kritik zu hören, in Deutschland seien die Strafen zu lasch. "Das Fahren mit fremder Karte zum Beispiel wird trotz mehrfacher Verurteilung von Fahrern in Gerichtsver fahren immer noch bei einigen Staatsanwaltschaften nicht als Straftat gesehen, sondern an die Bußgeldstelle abgegeben", kritisiert Polizeihauptkommissar Gössel. "Innerhalb Europas haben wir bei Manipulationen des Fahrtenschreibers die lascheste Rechtsprechung."

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