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Länderreport Polen: Auf dem Weg zur No. 1

16.09.2015 08:00 Uhr
Länderreport Polen: Auf dem Weg zur No. 1
Polens Fahrer sind begehrt, die Bedingungen aber schlecht
© Foto: picture-alliance/Stefan Sauer

Polnische Fahrer sind im Ausland begehrt. Dabei böte das eigene Land viele Chancen und ist Aufsteiger Europas - wären nur die Bedingungen besser.

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Auswandern? "Tak, prosze!" - Ja, gerne! Nach einem aktuellen Bericht der Zeitung "Die Welt" zieht es immer mehr junge Polen ins Ausland. Vor allem Akademiker arbeiten gerne in Großbritannien oder Deutschland. Und diese Tendenz kann jeder Jobvermittler, der in Osteuropa Fahrer für deutsche Unternehmen sucht, bestätigen. Rund ein Drittel der polnischen Fahrer sitzt nicht für einheimische Beförderer am Steuer, sondern arbeitet im Ausland. Nur in Rumänien, Weißrussland und der Ukraine sind noch weniger Einheimische unterwegs, ergab eine Stichprobe des Bundesamtes für Güterkraftverkehr BAG.

Der Grund dafür ist natürlich die bessere Bezahlung. Im EU-Land Polen beträgt der jährlich neu festzulegende Mindestlohn gerade einmal 420 Euro/Monat. Doch auch die teils miserablen Arbeitsbedingungen bringen viele dazu, nicht für polnische Unternehmen zu fahren. Insbesondere Speditionen, die im Verkehr in Richtung Osten tätig sind, nehmen es offenbar mit dem Arbeitsrecht nicht so genau. Lenk- und Ruhezeiten werden bei Fahrten nach Weißrussland, in die Ukraine und weiter nach Russland gerne ignoriert. Ein Berufskraftfahrer einer polnischen Spedition erzählt dem TRUCKER, dass Fahrer regelmäßig drei Wochen am Stück unterwegs seien, manchmal auch länger, wenn sie unterwegs vergeblich auf Rückladung warteten. Während der Liefertouren allerdings bliebe nicht mal ausreichend Zeit, sich etwas zu essen zu kaufen oder selbst zu kochen.

BESSERE INFRASTRUKTUR, STEIGENDE LÖHNE

Dass so viele Polen ihr Land verlassen, ist eigentlich erstaunlich. Denn wirtschaftlich steht man nicht schlecht da: Die Arbeitslosenquote sinkt beständig, sie beträgt zwar immer noch etwas über zehn Prozent, doch vor rund zehn Jahren waren noch doppelt so viele Menschen arbeitslos. Zum Erfolg beigetragen haben eine wirtschaftsfreundliche Politik, der Ausbau der Infrastruktur mithilfe von EU- Fördermitteln und ein arbeitgeberfreundliches Arbeitsrecht. Aber auch die Löhne stiegen: 2014 gegenüber 2013 um fast vier Prozent.

Da die Inflation sehr niedrig ist, bleibt tatsächlich mehr Geld auf dem Konto. Allerdings vernebelt die Durchschnittsbetrachtung, dass die Löhne der Berufskraftfahrer nicht so stark gestiegen sind wie diejenigen in anderen Branchen.

Gesetzlich verankert ist in Polen, dass Fahrer, die international unterwegs sind, Reisekosten von 5,60 Euro pro Stunde bekommen. Zusammengerechnet mit dem Mindestlohn liegt die Lohnuntergrenze damit bei knapp acht Euro pro Stunde, also nicht weit von unseren 8,50 Euro entfernt. Allerdings zahlen nicht alle Firmen die Spesen, auch wenn sie dazu verpflichtet wären.

Die Gewerkschaft Verdi kritisierte im vergangenen Jahr, dass polnische Fahrer aber auch von deutschen Arbeitgebern übers Ohr gehauen werden: Löhne werden nicht gezahlt, Urlaubstage vom Lohn abgezogen oder die Fahrer gezwungen, die Lenkzeiten massiv zu überschreiten. Leider glauben viele polnische Fahrer, dass auch hier die Auszahlung von Spesen gesetzlich garantiert ist und akzeptieren daher einen geringeren Lohn.

Der Kostenvorteil führt dazu, dass polnische Speditionen seit Jahren massiv Marktanteile in Europa gewinnen. Noch sind deutsche Transporteure, gemessen an den beförderten Gütern pro Kilometer, die Nummer eins in Europa. Doch die polnischen Spediteure sind ihnen dicht auf den Fersen.

Für deutsche Speditionen ist Polen traditionell ein wichtiges Transitland. Sowohl in Richtung Osteuropa als auch auf der Achse von Nord- nach Südeuropa. Trotz des gut ausgebauten Eisenbahnnetzes werden fast drei Viertel aller Güter auf der Straße transportiert. Dafür hat Polen mit Hilfe der EU einiges investiert. Gab es 2010 nur rund 850 Kilometer Autobahnen, misst das mautpflichtige Netz inzwischen gut 3160 Kilometer und wird beständig ausgebaut. Seit Ende Juni muss für weitere neu eröffnete 250 Kilometer bezahlt werden, etwa für die Strecke zwischen Tarnow und Debica auf der A 4 im Südosten des Landes.

Eine Besonderheit entlang der Autobahnen sind Freiluft-Fitnessplätze, die seit 2013 an vielen polnischen Raststätten entstehen. Die Trans.org-Stiftung der Breslauer Firma Logintrans und Mercedes hat mittlerweile 21 solcher Fitnessanlagen errichtet. Dort sollen sich die Fahrer fit halten und die vom vielen Sitzen geschundenen Muskeln und Gelenke beweglich halten (Bericht s. TRUCKER 7/15, S. 81).

Fitness und uneingeschränkte Konzentration brauchen Lkw-Fahrer in Polen allerdings. Es gehört zu den Ländern mit dem höchsten Risiko für schwere Unfälle. Diebstähle und Überfälle sind zwar nicht mehr häufiger als in anderen Ländern, offizielle Stellen warnen aber immer noch davor, unbewachte Parkplätze zu nutzen und auf vorgetäuschte Unfälle oder Pannen hereinzufallen. Insbesondere die vielbefahrenen Strecken Görlitz-Breslau und Frankfurt/Oder-Warschau sind dafür bekannt.

WEISSRUSSLAND NIMMT ES BEIM GEWICHT SEHR GENAU

Das Auswärtige Amt warnt vor weiteren Besonderheiten, insbesondere im Grenzgebiet zu Russland. Die Exklave Kaliningrad zum Beispiel ist ein Relikt aus dem Zweiten Weltkrieg, die Grenze ist an vielen Stellen nicht klar erkennbar. Wer sie unbeabsichtigt überschreitet, riskiert eine Festnahme durch die russische Grenzpolizei.

Im Transitverkehr kann es insbesondere an der Grenze zu Weißrussland und in die Ukraine Probleme geben. Dort wurden in den vergangenen Jahren moderne Grenzübergänge eröffnet. Seitdem werden alle Lkw auf ihr Lade- und Leergewicht überprüft. Laut Auswärtigem Amt kommt es dabei vereinzelt zu Problemen bei der Wiedereinreise, vor allem dann, wenn die Wiegeprotokolle nicht exakt mit denen bei der Ausreise übereinstimmen. Wird gar eine Überladung festgestellt, wird es für die Fahrer teuer. In letzter Zeit verschärfte man zudem die Kontrollen, um illegal Reisende, Flüchtlinge und Schleuser zu entdecken. Die polnische Polizei gilt vor allem gegenüber ausländischen Fahrern als streng. Die Polizisten nehmen sich für die Kontrollen gerne mal viel Zeit und schauen auf Kleinigkeiten. Einheimische Fahrer hätten es da leichter, berichten Fahrer, bei den Lenkzeiten würde auch mal ein Auge zugedrückt. Die Polizisten kennen außerdem die Parkplatzprobleme, so dass Überschreitungen von einer Viertelstunde häufig toleriert würden. Alexander Heintze

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