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Wie aus Flüchtlingen Fahrer werden

01.07.2018 08:00 Uhr
Flüchtlinge
Frank Schmidt mit den Umschülern Monir Al Ayd Al Amour, Gebre Teklemariam und Ali Yahyaei Elizeei sowie Peter Peisker und Logistikleiter Zoran Rados (v. l.)
© Foto: Julia Thomsen

In Deutschland fehlen Tausende Lkw-Fahrer. Der Zustrom von Flüchtlingen bringt zwar auch neue potenzielle Fahrer, doch dafür müssen Speditionen Sprachprobleme und Bürokratie überwinden.

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Die Routine kommt mit dem Arbeitsalltag, wie bei jedem neuen Fahrer", sagt Peter Peisker, Geschäftsführer von Peisker Logistik. Der Unternehmer weiß, wovon er spricht: Regelmäßig bildet er in seiner Spedition in Waldbröl Nachwuchsfahrer aus, doch die Bewerber werden immer weniger: "In diesem Jahr fängt nur ein Azubi zum Berufskraftfahrer bei uns an." Auch erfahrene Fahrer und Lagermitarbeiter seien immer schwieriger zu bekommen.

Immer wieder hat sich Peisker auf der Suche nach fähigen Mitarbeitern an das Jobcenter Oberberg gewandt - und geht gemeinsam mit der Behörde nun einen neuen Weg: Im Kampf gegen den Fachkräftemangel schult er drei Flüchtlinge zu Lkw-Fahrern um. Gemeinsam mit dem Jobcenter und der Agentur für Arbeit sowie der Dekra Akademie Gummersbach bildet Peisker drei Männer aus Syrien und Eritrea zu Berufskraftfahrern (BKF) aus. Sie erwerben den Führerschein und durchlaufen die beschleunigte Grundqualifikation. "Wir übernehmen die praktische Ausbildung", erklärt Peisker, "die Dekra Akademie die Theorie."

HOCHMOTIVIERT UND BEREIT, ETWAS NEUES ZU LERNEN

Dabei sei vor allem die Sprache der Knackpunkt, weiß Frank Schmidt von der Dekra Akademie in Gummersbach. Denn am Ende der Ausbildung stehe nun mal die theoretische Prüfung vor der Industrie und Handelskammer (IHK) - auf Deutsch. "Damit die Männer die Prüfung bestehen, unterstützen wir sie mit allen Mitteln." Daher erhalten Monir Al Ayd Al Amour und Ali Yahyaei Elizeei aus Syrien sowie Gebre Teklemariam aus Eritrea zusätzlich zum Fach-, auch Sprach- und Grammatikunterricht.

Finanziert werden die Maßnahmen vom Jobcenter und der Agentur für Arbeit. "Das Projekt ist Teil eines branchenübergreifenden Kooperationsmodells", erklärt Yvonne Wagner-Wolff, Bereichsleiterin Markt und Integration beim Jobcenter Oberberg. Mithilfe des Modells "Kommit" sollen sowohl Flüchtlinge, aber auch Geringqualifizierte nachhaltig beruflich und sozial integriert werden.

Gerade bei der Umschulung zum Fahrer sieht die Jobcenter-Mitarbeiterin enormes Potenzial. "Unter unseren Kunden mit Flüchtlingshintergrund sind sehr viele hochmotivierte Kandidaten", sagt Wagner-Wolff. Die meisten der Geflüchteten wollten so schnell wie möglich arbeiten und seien sofort bereit, eine Weiterbildung oder Umschulung zu machen. "Da sind jede Menge potenzielle Fahrer auf dem Markt", sagt Peisker.

Die Zahlen geben beiden recht: 193.000 Menschen aus den typischen Flüchtlingsländern sind hierzulande derzeit arbeitslos gemeldet (Stand: April 2018). Zu den Toptätigkeiten, in denen Flüchtlinge in Deutschland Arbeit finden, zählt auch die Fahrzeugführung. 938 Personen aus typischen Herkunftsländern waren nach Auskunft der Agentur für Arbeit 2017 als BKF im Güterverkehr beschäftigt (siehe Tabelle, Seite 72).

FLÜCHTLINGE DROHEN AN DER PRÜFUNG ZU SCHEITERN

Ein Großteil der in Deutschland eingereisten Asylsuchenden aus den Top-10-Herkunftsländern verfügt zudem mindestens über eine mittlere Schulbildung (etwa 34 Prozent). Das ergeben die Daten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zum ersten Halbjahr 2017, die sich laut BAMF auf den Durchschnitt der Antragssteller übertragen lassen. Etwa 20 Prozent der Flüchtlinge haben demnach ein Gymnasium besucht, 16 Prozent sogar eine Hochschule.

Flüchtlinge bringen also potenzielle Arbeitskraft mit, sind motiviert und in vielen Fällen gut gebildet. "Gerade in niederschwelligen Ausbildungsberufen ist die Integration daher kein Problem", meint Wagner-Wolff. Beim Berufskraftfahrer seien die Anforderungen durch die Grundqualifikation jedoch deutlich höher. "Das klappt nicht so ohne Weiteres."

Das mussten die Projektpartner in Waldbröl im Laufe des vergangenen Jahres lernen. Das Projekt ist mit einer Eignungsphase in Form eines Praktikums in der Spedition gestartet. "Aus zehn Flüchtlingen haben wir uns für vier entschieden, die wir als Fahrer ausbilden wollten. Einen weiteren haben wir zudem als Umschüler zur Fachkraft für Lagerlogistik angestellt", erzählt Peter Peisker. Die vier Nachwuchsfahrer machten im September 2017 ein weiteres Praktikum, bevor der Spediteur sie für die Ausbildung anstellte. Einer der Männer musste diese zwischenzeitlich abbrechen. "Der Fahrerberuf war für ihn nicht das Richtige", erklärt Frank Schmidt.

Die drei Verbliebenen - Al Ayd Al Amour, Ali Yahyaei Elizeei und Gebre Teklemariam - entwickelten sich gut, hatten den Führerschein schnell in der Tasche und praktisches sowie theoretisches Wissen zügig verinnerlicht. "Das Talent der Männer ist vorhanden", sagt Peisker. Zwei der Männer brachten bereits Erfahrungen im Umgang mit dem Lkw mit, waren in ihren Heimatländern Eritrea und Syrien schon beruflich und für das Militär Lkw gefahren.

Doch die Krux bleibe die Sprache. Die Prüfung vor der IHK bereitet große Schwierigkeiten. Trotz des Sprachniveaus von B1, das Voraussetzung für die Teilnahme an dem Ausbildungsprogramm war, haben die drei Männer Schwierigkeiten mit dem Lesen, Schreiben und dem komplizierten Prüfungsdeutsch. Das Ergebnis: Nur einer der Männer hat die Abschlussprüfung bisher bestanden.

PER GESETZ IST FLÜCHTLING NICHT GLEICH FLÜCHTLING

Gebre Teklemariam aus Eritrea kann künftig als Fahrer für Peisker arbeiten. Zu Beginn werde er in Doppelbesetzung fahren, bevor er dann einfache Rundläufe übernimmt, so Peisker. "Die anderen beiden müssen die Prüfung leider wiederholen." Die schwierige Prüfungssprache und die teils langen Wartezeiten auf das Ergebnis und weitere Prüfungstermine sehen Schmidt und Peisker als eines der größten Probleme bei der Ausbildung von Flüchtlingen. "Da stehen fertige, fähige Fahrer mit Führerschein, aber sie dürfen nicht fahren. Das hemmt", moniert Peisker.

Mit der Meinung ist er nicht allein. Wolfgang Wittig, Prokurist bei Steden Logistik, weiß um die Schwierigkeit der deutschen Prüfung. Am Leipziger Standort schult das Unternehmen einen syrischen Flüchtling zum Lkw-Fahrer um. Doch auch er droht, an der IHK-Prüfung zu scheitern. "Da müsste man etwas ändern, um die Berufschancen für Flüchtlinge zu erhöhen", meint Wittig. Vereinfachtes Deutsch oder andere Prüfungssprachen seien Möglichkeiten. Steden bildet regelmäßig Berufskraftfahrer aus, im Durchschnitt fünf bis sechs pro Jahr. Seit Herbst 2017 gehört am Standort Unna auch ein Flüchtling zu den Azubis.

Xhulian Halali stammt aus Albanien und kam vor zweieinhalb Jahren als alleinreisender Minderjähriger nach Deutschland, weil es in seiner Heimat keine Zukunft für ihn gab, wie er erzählt. Er ging hier weiter zur Schule und machte den Hauptschulabschluss. "Mein Vater ist in Albanien Lkw gefahren. Ich wollte das immer schon machen", sagt er. Für Steden ein Glücksgriff. Bei einer Präsentation an Xhulians Schule kommt der junge Albaner auf den Ausbilder Helge Kell zu. Nach einem Schnuppertag steht für beide schnell fest, dass er die Ausbildung machen kann.

"Xhulian hat richtig Lust auf den Job und Talent", sagt Ausbilder Kell. Auch die Sprache sei bei dem 18-jährigen Albaner kein Problem. Doch um Xhulian auszubilden, gilt es, andere Hürden zu überwinden. Albanien gilt als sicheres Herkunftsland; eine unbegrenzte Aufenthaltserlaubnis wie etwa Flüchtlinge aus einem Kriegsgebiet erhält er daher nicht. "Flüchtling ist nicht gleich Flüchtling - das mussten wir erst einmal lernen", sagt Kell.

DIE SOZIALE BETREUUNG IST EIN TEIL DER AUSBILDUNG

Anders als anerkannte Flüchtlinge wie die drei Männer bei Peisker kann Xhulian keine Unterstützungsleistungen der Agentur für Arbeit in Anspruch nehmen. Er darf nur im Land bleiben, weil er die Ausbildung bei Steden absolviert. "Xhulian läuft aktuell unter der 3+2-Regelung", erklärt Kell. Das bedeutet, obwohl er aus einem sicheren Herkunftsland stammt und eigentlich dorthin zurückkehren müsste, darf er vorerst in Deutschland bleiben - für drei Jahre Ausbildung und zwei weitere Jahre Beschäftigung in seinem Ausbildungsberuf. Dann entscheidet die Ausländerbehörde neu, ob er das Land verlassen muss oder nicht.

"Wir hoffen natürlich, dass er bleiben darf", sagt Wittig. "Es wäre doch bescheuert, ihn wieder wegzuschicken, obwohl uns hier in Deutschland Lkw-Fahrer fehlen!" Der junge Albaner will jedenfalls bleiben. Er sei angekommen, sagt er. Das Unternehmen hat ihm dabei so gut wie möglich geholfen. Sogar eine Wohnung hat Steden für Xhulian angemietet, in der er nun als Untermieter leben kann. "Wenn man Fahrer aus dem Ausland oder Flüchtlinge anstellt, gehört immer auch die soziale Betreuung dazu", erklärt Wittig. Da sei mehr nötig, als den Fahrer einen Vertrag unterzeichnen zu lassen. Doch der Aufwand lohne sich angesichts der schwierigen Nachwuchssituation auf dem deutschen Markt. Im Herbst fängt bei Steden daher ein Freund von Xhulian die Ausbildung zum Berufskraftfahrer an, ebenfalls ein Albaner.

Auch Peter Peisker und seine Projektpartner von Dekra, Jobcenter und Agentur für Arbeit sind sich sicher, dass sie gemeinsam weitere Flüchtlinge für die Logistik ausbilden wollen. "Wir müssen das Sprachlevel beim nächsten Mal vielleicht etwas höher ansetzen und bei der Vorauswahl noch etwas gründlicher sein", meint Peisker. Aber im Großen und Ganzen sei er zufrieden mit dem Projekt. Wenn alle mit anpacken, könne die Integration von Flüchtlingen als Fahrer im Unternehmen gelingen.

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