Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein: Bis zu 1000 PS und 2700 Newtonmeter Drehmoment, maximal 1200 Kilometer Reichweite, aber keine Emissionen - zumindest temporär. Und lieferbar soll das Ganze bereits in drei Jahren sein.
An Selbstbewusstsein mangelt es dem US-amerikanischen Start-up Nikola wahrlich nicht, obwohl man bislang noch keinen einzigen in Serie gefertigten Truck vorweisen kann. Nach den beiden auf den amerikanischen Markt abgestimmten Brennstoffzellen-Trucks Nikola One und Nikola Two nimmt man nun trotzdem Kurs auf Europa. Und zwar mit dem "Tre" (norwegisch für "drei"), der dank seiner Frontlenkerbauweise hierzulande geltende Längenvorschriften erfüllt.
Laut Nikola soll der Tre neue Maßstäbe in Sachen Aerodynamik setzen, was dem Antriebskonzept die Arbeit entsprechend erleichtern würde. Das besteht aus einer 120-kW-Brennstoffzelle, die Strom in mitgeführten Batterien speichert, aus denen sich die Elektromotoren bedienen. Motorleistungen zwischen 500 und 1000 PS sollen an den Antriebsrädern ankommen. Dabei will Nikola sowohl 4x2- als auch dreiachsige Zugmaschinen anbieten.
Vorteile bietet das alternative Antriebskonzept auch bergab. Dann nämlich schalten die Motoren auf Rekuperation um, speichern also Strom in die Batterien zurück. Der daraus resultierende Widerstand genügt, um in vielen Fällen die Motorbremse oder gar einen Retarder zu ersetzen.
PER ANZAHLUNG KANN MAN EINEN NIKOLA RESERVIEREN
Bevor der Euro-Nikola aber die Straßen Europas aufmischt und der etablierten Konkurrenz das Fürchten lehrt - wie der Hersteller ankündigt - müssen interessierte Transportunternehmen aber schon in die Tasche greifen, bevor die Serienproduktion startet. Denn es gilt: Wer einen oder mehrere Tre kaufen will, muss eine entsprechende Anzahlung leisten, die Nikola für die Serienentwicklung nutzen will. 380 Millionen US-Dollar (circa 333 Millionen Euro) seien auf diese Weise bereits zusammengekommen - und mit vielen europäischen Großflotten führe man intensive Gespräche.
Ein ähnliches Bezahlsystem nutzt auch Konkurrent Tesla bei seinem "Semi-Truck", und nicht wenige Firmen, darunter DHL und UPS, zahlten bereits entsprechend an. Bei der Präsentation 2017 geizte das Unternehmen nicht minder mit vollmundigen Versprechen. Aktuell ist es um die vollelektrische Zugmaschine aber ruhig geworden. Die US-Amerikaner haben schließlich genug Probleme, die Serienproduktion ihrer Pkw-Palette am Laufen zu halten. Auf der offiziellen deutschen Tesla-Internetseite war bis zum Redaktionsschluss dieser TRUCKER-Ausgabe jedenfalls nichts mehr über den Semi-Truck zu finden.
Dabei lesen sich seine technischen Daten verlockend: Vier Radnabenmotoren beschleunigen den voll beladenen Sattelzug in nur 20 Sekunden von null auf 60 Meilen pro Stunde (knapp 97 km/h). Selbst wenn zwei davon ausfallen, fährt der Tesla-Truck noch problemlos an jedem Diesel-Lkw vorbeifahren, so behauptet zumindest sein Schöpfer und Tesla-Chef Elon Musk.
Erstaunlich auch die angegebene Reichweite mit einer Batteriefüllung: Bis zu 800 Kilometer soll der Semi-Truck trotz voller Beladung schaffen und nach nur 30 Minuten an der Ladesteckdose soll wieder genug Strom für weitere 640 Kilometer nachgeladen sein.
Mit solchen Superlativen halten sich die etablierten Hersteller lieber zurück. Was nicht heißt, dass sie nicht ebenfalls am Lkw der Zukunft arbeiten. Erste Vorgeschmäcker gab es bereits auf der IAA im vergangenen Jahr zu sehen. Beispielsweise bei Iveco, wo man ein Stralis-Fahrgestell mit selbst entwickelter Brennstoffzelle ausstellte. 160 Liter Wasserstoff sollen für bis zu 1600 Kilometer reichen. Im Jahr 2030 könnte der Serienstart sein, ließen die Italiener verlauten.
DAIMLER: 500 MILLIONEN EURO FÜR HOCHAUTOMATISIERTE LKW
Auch Wettbewerber Daimler bleibt auf dem Gas. In den nächsten Jahren will man knapp 500 Millionen Euro in die Entwicklung hochautomatisierter Lkw stecken und in diesem Zug 200 neue Arbeitsplätze schaffen.
Der 2018 neu vorgestellte Actros erfüllt bereits die Vorgaben nach dem Level2 für teilautomatisiertes Fahren. In den nächsten Jahren will man die Produkte gleich auf Level 4 bringen. Das bedeutet, dass die Elektronik des Lkw in definierten Bereichen und zwischen definierten Knotenpunkten nicht mehr zwingend erwartet, dass ein Benutzer auf eine Aufforderung zum Eingreifen reagiert. Womit ein weiterer Schritt hin zum vollautomatisierten Truck genommen wäre.
Für Tumult in der Branche sorgte zudem die Ankündigung Daimlers, aus dem Thema Platooning, also der elektronischen Deichsel für mehrere hintereinander fahrende Lkw, auszusteigen.
Theoretisch soll der geringere Abstand der einzelnen Lkw zueinander für eine spürbare Verbrauchssenkung sorgen. Intensive Daimler-Versuchsfahrten ergaben jedoch, dass die Einsparungen selbst unter optimalen Platooning-Bedingungen deutlich geringer ausfallen als erhofft. Bestehende Platooning-Projekte will Daimler aber noch zu Ende führen, bevor Schluss ist.
Konkurrenten wie DAF, MAN und Scania sehen das anders. Alle drei Firmen haben angekündigt, am Thema Platooning intensiv dranbleiben zu wollen. JB