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Test & Technik: Dampf auf Abruf

14.10.2020 15:00 Uhr | Lesezeit: 5 min
Test & Technik: Dampf auf Abruf
Im Test: Der Mercedes-Benz Actros 1863 GigaSpace
© Foto: Karel Sefrna

Dieser Actros strotzt vor Kraft. Trotzdem legt Daimlers 625 PS starkes Topmodell eine vernünftige Gangart an den Tag – zugunsten möglichst niedriger Verbräuche.

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Mehr Actros geht nicht, zumindest nicht bei den „normalen“ Fernverkehrsmodellen des Daimler-Programms. Angesichts der Superlative – in Zahlen: 625 Pferdestärken und die brachiale Gewalt von nicht weniger als 3000 Newtonmeter maximalem Drehmoment, rechnet man eigentlich mit einem dramatischen Auftritt – der vielen Käufern und Lenkern eines Hochleistungs-Lkw schließlich nicht ganz unwichtig ist.

Umso überraschender, dass sich Daimlers Topmodell optisch wie akustisch als eher zahmes Kätzchen entpuppt. Wäre da nicht der dezente 1863-Schriftzug auf der Seitentür, könnte unter der geräumigen GigaSpace-Kabine auch einer der schwächeren Actros-Antriebe stecken.

Auch der Power-Actros gehört  nicht zu den leisesten Lkw

Auch nach dem Druck auf den Startknopf bleibt das Aha-Erlebnis aus. Der 15,6 Liter große OM 473 haucht lediglich eine Spur kehliger in seine Umwelt, klingt ansonsten aber wie seine kleinvolumigeren Pendants. Wie die erweist er sich auch im Fahrerhaus als gut vernehmbar. Von laut zu sprechen, wäre zwar ungerecht, trotzdem dürfte Daimler sich des Themas Geräuschdämmung gerne noch einmal annehmen.

Dass man gerade das Actros-Topmodell bedient, wird erst unmissverständlich klar, wenn man den 1863 entsprechend fordert – sprich das Gaspedal in Richtung Bodenblech tritt oder den hier serienmäßigen Powermodus des automatisierten Getriebes anwählt, in dem die Gänge um 200 Touren höher ausgedreht werden.

Dann erst wirft die Elektronik ihren sonstigen Hang zu niedrigem Dieselverbrauch über Bord und lässt den OM 473 von der Leine, was eine vehemente Beschleunigung unseres voll ausgeladenen Fliegl-Testaufliegers in weniger als 39 Sekunden von null auf Reisetempo 85 zur Folge hat. Aber natürlich kratzen solcherlei Manöver an der Kostenbilanz, weshalb auf der genormten und wie immer per Referenz-Fahrzeug abgeglichenen TRUCKER-Testrunde die Regelelektronik die Kräftesteuerung übernimmt. Schließlich soll der Power-Daimler für einen Vertreter seiner Leistungsklasse vergleichsweise niedrige Verbräuche einfahren können, so das Versprechen des Herstellers. 

Beste Erreichbarkeit dank angewinkelter Mittelkonsole und viele brauchbare Ablagen
© Foto: Karel Sefrna

Dafür gibt Mercedes-Benz dem Testfahrzeug unter anderem eine lange Gesamtübersetzung mit auf den Weg. Knapp 1100 Touren meldet der Drehzahlmesser bei 85 km/h in Verbindung mit der 3,15er-Hinterachse. Das ist allerdings nicht der einzige Grund dafür, dass angesichts der Leistungsdaten überraschend früh, nämlich schon bei 1050/min, und bereits an eher harmlosen Steigungen, in die elfte Fahrstufe rückgestuft wird.

Zusätzlich spielt sicherlich die Tatsache eine Rolle, dass der Daimler-Reihensechszylinder seine 3000 Newtonmeter erst bei 1100/min ins Rennen schickt und damit deutlich später als die vergleichbaren Wettbewerber aus Södertälje, Göteborg oder München.

Vor allem aber liegt’s an der in dieser Leistungsklasse üblichen Overdrive-Ausführung der höchsten Fahrstufe. Direkt übersetzt und damit „reibungsverlust­ärmer“ ist hier die elfte Fahrstufe, von der sich Mercedes-Benz unter Volllast einen niedrigeren Verbrauch erhofft – ungeachtet des dann höheren Drehzahlniveaus.  An anspruchsvollen Bergen erfolgt die Rückstufung daher bereits in der Senke. Oder anders gesagt: Der 1863 holt einmal tief Luft, um die topografische Aufgabe anschließend mit höchstens 1350 Touren zu erstürmen, selbstredend ohne dass jemals eine weitere Rückstufung nötig würde, geschweige denn die Tachonadel unter die 80-km/h-Markierung fällt. Angesichts der Papierwerte keine Überraschung und zweifellos ginge es noch schneller, wenn die Elektronik den 63er lassen würde ...

Eine lohnenswerte Option für die Pause oder den Schreibkram ist der Klapptisch an der Beifahrerseite
© Foto: Karel Sefrna

Neben den gewählten Hysteresen des daimlertypisch äußerst intelligent agierenden GPS-Tempomaten zieht die Elektronik alle Register, um ein paar Zehntel einzusparen. Vor leichten Gefällen beispielsweise verordnet das System bei gesetzten 85 km/h mitunter eine Tempoverschärfung um 3 km/h, um die Fuhre anschließend im Eco-Roll-Modus entsprechend länger rollen lassen zu können. Und zwar runter bis auf Tempo 82, um anschließend wieder auf 85 zu beschleunigen. Diese Gangart, die erstmals Scania unter dem Namen „Pulse-and-Glide“ einführte und die auch im neuen MAN TGX hinterlegt ist (siehe TRUCKER 7/2020), benötigt Gewöhnung, soll aber positive Verbrauchseinflüsse ohne Tempoverlust zur Folge haben. Da wie gesagt immer mehr Hersteller auf diese Methode setzen, muss wohl etwas dran sein ...

Ein paar Zehntel Diesel dürften zusätzlich die kleinen Abweichungen bei der Temporegelung bringen, die sich die Elektronik an einigen Stellen der Testrunde erlaubte, indem sie es für einige Momente bei 84 anstatt 85 km/h beließ. Kleinigkeiten, die ohne den neuen, zusätzlichen Digitaltacho im Zentraldisplay sicher kaum jemandem auffallen würden, die aber ihren Teil dazu beitragen, beim Tester nach der 343 Kilometer langen Teststrecke einen weiteren Aha-Effekt auszulösen: Denn mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 80,54 km/h überwindet Daimlers Topmodell die TRUCKER-Normrunde längst nicht so schnell wie erwartet.

Zum Vergleich: Der Scania 650 S schaffte die gleiche Route um immerhin 0,4 km/h schneller. Aber – und das dürfte am Ende für den Großteil der Chefs mehr zählen: Mit durchschnittlich 28,10 l/100 km gönnte sich der 1863 zwar deutlich mehr als Vertreter der schwächeren 500-PS-Gattung. Im Verhältnis zum 650er-Scania verbrauchte Daimlers Topmodell allerdings satte 1,6 l/100 km weniger. Womit sich Daimlers eingangs erwähntes Verbrauchs-Versprechen bewahrheitet.

 

Praktisch sind die beiden großen Schubladen
© Foto: Karel Sefrna

Die Gigaspace-Kabine steht dem Topmodell sehr gut

Trotzdem, der Luxus sich den König des Actros-Programms zu gönnen, bleibt schon wegen des zu erwartenden hohen Listenpreises ein teures Vergnügen.

Von der Möglichkeit, bei der Kabine ein paar Euro mittels Downgrade auf das kleinere Big- oder gar StreamSpace-Fahrerhaus einzusparen, würden wir im Fernverkehr abraten. Nach dem Daimler-Werbeslogan „Das Beste oder nichts“ passt die GigaSpace-Großraumkabine einfach am besten zum Sternen-Flaggschiff! Dazu vielleicht noch das optionale Solo-Star-Alleinfahrer-Konzept sowie das ein oder andere mehr aus den Optionslisten, dann stünde der perfekte Fahrermotivator mit Stern auf dem Firmenhof!


Fazit: Unauffällig, dafür sparsam

Ohne Frage hat der 1863 (fast) ohne Ende Power, man muss sie aber konkret abfordern, ansonsten hält sich das Flaggschiff aus Verbrauchsgründen vornehm zurück. Den, der die Spritrechnung zahlen muss, wird’s freuen, die Emotion, die in dieser Klasse eine wichtige Rolle spielt, bleibt so aber etwas auf der Strecke.



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