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AdBlue-Betrug: Ein neuer Abgas-Skandal?

01.03.2016 08:00 Uhr
AdBlue-Betrug: Ein neuer Abgas-Skandal?
AdBlue: Wieviele Lkw fahren ohne?
© Foto: Picture Alliance/Oliver Berg

Nach dem VW-Skandal könnte schon die nächste Abgaskrise drohen. Diesmal durch Lkw, die mit manipulierter AdBlue-Anlage fahren.

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Das Ziel war eigentlich ein ganz anderes: Ursprünglich wollte Andreas Mossyrsch, Vorstand des Transportbranchen-Verbandes Camion-Pro, Sozialdumping-Machenschaften in der Branche aufdecken.

Genauer gesagt, die von deutschen Transportunternehmen, die dafür ein zweites Standbein in Osteuropa aufbauen. Dafür bemühte Mossyrsch drastische Maßnahmen: Er schlüpfte in die Rolle des Frank Meinhard, einem skrupellosen Geschäftsmann, gierig nach dem schnellen Geld und bereit, dieses mit kriminellen Machenschaften zu verdienen. Er gründet das fiktive Transportunternehmen "Trans Gloria Freight" und reiste nach Rumänien, von wo aus das Unternehmen agieren und Transporte nach und in Deutschland durchführen soll.

Meinhard schaltet entsprechende Inserate, knüpft in Bukarest schnell Kontakte zu Fahrern, Disponenten und anderen Insidern des rumänischen Transportmarktes. Die ihm bald auch gewinnmaximierende, aber eben illegale Dienstleistungen anbieten. Einer davon ist ein gewisser Mustafa, der ganz offiziell per Mail die sichere Manipulation der Digi-Tachos für Meinhards Lastwagen anbietet, für 500 Euro pro Fahrzeug.

DIE ADBLUE-ANLAGE FÜR 300 EURO STILLLEGEN

Als "Bonbon" unterbreitet Mustafa noch ein zusätzliches Angebot, das Andreas Mossyrsch aufhorchen lässt: Für weitere 300 Euro pro Lkw könne er zudem die AdBlue-Anlage in den vermeintlichen MAN TGX der "Trans Gloria Freight" stilllegen, wodurch das Transportunternehmen die Kosten für den Harnstoff sparen könne. "Eine solche Möglichkeit war mir bis dato völlig neu", berichtet Andreas Mossyrsch.

Nicht nur ihm, wie TRUCKER auf Nachfrage bei verschiedenen Institutionen und Lkw-Herstellern erfuhr. Nirgendwo hatte man bislang von der Problematik eines eventuellen AdBlue-Betrugs gehört. Für Andreas Mossyrsch ein Grund, bei seinem Anbieter in punkto Technik nachzuhaken. Mustafa gab bereitwillig Auskunft, machte keinen Hehl über die Funktionsweise der illegalen Umrüstung.

EINE SPEZIELLE SOFTWARE TÄUSCHT DIE ELEKTRONIK

Die AdBlue-Anlage ließe sich bei jedem Lkw, egal welcher Marke, stilllegen. Dafür würde ein 5x5-Zentimeter großes Kästchen versteckt im Sicherungskasten angeschlossen. Im Inneren befände sich eine Software, welche die AdBlue-Pumpe außer Kraft setze, diese Nichtfunktion der Lkw-Elektronik aber vorenthalte. Selbst im Fehlerspeicher werde nichts hinterlegt, erklärte Mustafa nicht ohne Stolz in einem Telefonat, berichtet Mossyrsch. Zudem basiere das System auf Hersteller-Software. Gedacht sei diese eigentlich für die Rückrüstung auf eine niedrigere Schadstoffklasse, sollte der Lkw nach seinem "ersten Leben" in Europa in Schwellenländer exportiert werden. Eine Behauptung, der MAN widerspricht: Solch eine Software sei für TGX/TGS zwar in der Entwicklung, aber noch nicht auf dem Markt (siehe Kasten rechts).

DAS RISIKO ERWISCHT ZU WERDEN IST GLEICH NULL

Der Einbau sei innerhalb von 45 Minuten erledigt, versicherte Mustafa und bot sogar an, nach Deutschland zu kommen und die Manipulation vor Ort vorzunehmen. "Mustafa behauptete, dass bis zu 70 Prozent aller in Rumänien zugelassenen Lastwagen mit manipuliertem AdBlue-System fahren würden", berichtet Andreas Mossyrsch dem TRUCKER.

Wenn das stimmt, dann ist (wie so oft) die Umwelt der größte Verlierer. Denn wird kein AdBlue in den Abgasstrom eingespritzt, funktioniert die Umwandlung der Stickoxide im SCR-Katalysator nicht mehr. Die Abgase liegen damit anstatt auf Euro-6- lediglich auf Euro-3-Niveau. Es bedeutet zudem Kfz-Steuer- und Mautbetrug, schließlich ist das Fahrzeug laut Papieren als Euro 6 eingestuft und zahlt somit weniger Steuern. Auf deutschen Autobahnen gilt für diese Lkw ein niedrigerer Mautsatz.

Und das Risiko, erwischt zu werden? Tendiert gegen Null. Denn die Funktionstüchtigkeit der Abgasreinigung wird bei Kontrollen nicht überprüft und wäre laut TÜV auch nur mit einigem Aufwand möglich (siehe Kasten rechts). Anbieter Mustafa sieht offenbar keinerlei Risiko, gibt Frank Meinhard aber noch einen Tipp: Unbedingt solle er den AdBlue-Tank immer halb gefüllt lassen. Falls sich ein Kontrolleur eben doch mal den Tank genauer ansähe oder im Bordcomputer einen Blick auf den Füllstand werfe. JB

DAS SAGT HERSTELLER MAN DAZU

Rückrüstung nur für den Export

"Eine Rückrüstung auf dem Schwarzmarkt für 300 Euro ist MAN bislang nicht bekannt.

Von derartigen Eingriffen raten wir auch dringend ab, da hier der Verbrauch extrem steigen dürfte, die Lebensdauer des Motors stark gesenkt werden kann und bei entsprechender Nichtanmeldung der Rückrüstung Mautprellerei begangen würde und möglicherweise die Zulassung des Fahrzeuges in Frage gestellt würde.

MAN arbeitet an einer seriösen Euro-6-Rückrüstung auf Euro 4/5 SCR für eine Gebrauchtwagenvermarktung außerhalb Europas und Regionen mit schlechter Dieselqualität. Diese soll dann eine Umbaudokumentation und eine homologierte Abgasbescheinigung beinhalten."

Martin Böckelmann, Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei MAN Truck&Bus

HINTERGRUND

Warum werden Lkw für den Export in Schwellenländer zurückgerüstet?

Neben einer unzureichenden Versorgung mit AdBlue ist vor allem der in Schwellenländern oft höhere Schwefelanteil im Diesel problematisch. Dieser macht schon nach wenigen Kilometern den Oxidationskatalysator unwirksam. In der Folge verstopft der Dieselpartikelfilter und das Fahrzeug bleibt liegen. Dazu kommt, dass sich über Kondensation in der Abgasrückführung Schwefelsäure im Brennraum bilden kann und es zu starker Korrosion an Kolben und Laufbuchsen kommt.

(Quelle: MAN)

NACHGEFRAGT: TÜV-SÜD

Kann man die manipulierte AdBlue-Anlage bei einer Kontrolle feststellen?

"Sollte die Software tatsächlich so programmiert sein, dass der NOx-Sensor in der Onboard-Unit keinen Fehler hinterlegt, dann ist die Manipulation nur schwer nachzuweisen. Dann bleibt nur, mit entsprechender Messtechnik eine Probefahrt zu unternehmen. Während dieser müsste der Lkw bis in den Volllastbetrieb gebracht werden, um den tatsächlichen Schadstoffausstoß zu messen. Dies ist aber zumeist rechtlich schwierig, so lange für eine solche Maßnahme keine ausreichenden Verdachtsmomente vorliegen."

Jürgen Wolz, Geschäftsleitung TÜV-Süd

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