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Reportage: Die Legende lebt

07.10.2020 15:00 Uhr | Lesezeit: 6 min
Reportage: Die Legende lebt
Gerd Albrecht ließ den Mack „Rubber Duck“ nach Deutschland verschiffen
© Foto: Thorsten Link

Eine Filmszene aus "Convoy" prangte auf dem Titel der allerersten TRUCKER-Ausgabe. Als Rebell "Rubber Duck" stand Schauspieler Kris Kristofferson für ein neues Lebensgefühl. Legendär wurde sein 74er Mack, von dem es nur eine einzige originale Kopie gibt – und die steht in Schwäbisch Gmünd.

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Kanal eins neun, hört mich wer, hier spricht Rubber Duck, die Gummiente“, brüllt Gerd Albrecht in das Funkgerät seines 74er Mack, weil der drinnen etwas laut ist. Leider keine Rückmeldung. Wahrscheinlich gerade niemand in Reichweite, hier in der rauen Provinz rund um Schwäbisch Gmünd.

1978 läuft das anders, Hollywood macht’s möglich. Der Funkspruch des charismatischen Truckers mit dem amüsanten CB-Rufnamen Rubber Duck (deutsch: Gummiente) wird geradezu zum Evangelium der Fernfahrer, ruft eine gigantische Bewegung ins Leben, die ein Kino-Genre prägen soll. Hunderte Fernfahrer schließen sich Rubber Duck und dessen pechschwarzem Mack, Typ RL 700 L, an, ziehen im Konvoi durch den Südstaat Richtung New Mexico. Ein Protestzug gegen Behördenwillkür und Arbeitsbedingungen im Western-Stil.

„Wenn ich damals in der Nähe gewesen wäre, ich hätt’ garantiert mitgemacht“, sagt Gerd Albrecht mit bemerkenswertem Ernst, zieht sich seinen Lederhut noch etwas tiefer in die Stirn und schießt ordentlich was aus der Drucklufthupe. „Das kann man nur verstehen, wenn man mit Leib und Seele Trucker ist.“

„Rubber Duck“ auf dem Hof des schwäbischen Mineralölhändlers
© Foto: Thorsten Link

Der schwäbische Händler hat Convoy unzählige Male gesehen

Die späten Sechziger. PS-Outlaws machen die Straßen unsicher, erfüllen sich im Genre der Roadmovies den Traum von Freiheit und Unabhängigkeit. „Easy Rider“ (1969), „Fluchtpunkt San Francisco“ (1971), „Badlands – Zerschossene Träume“ (1973), „Sugarland Express“ (1974) – alles Filme, die eine ähnliche Tiefenstruktur prägt: der sozialkritische Protest gegen die verbürgerlichte Gesellschaft. Auch „Convoy“ aus 1978 gehört dazu, durch und durch. Jener Action-Klassiker von Regisseur Sam Peckinpah mit Country-Legende Kris Kristofferson, der sich mit seinen Trucker-Kumpels auf dem Ritt durch Arizona gegen die Staatsmacht auflehnt, mit Leib und Seele, wie Gerd Albrecht betont.

Albrecht hat „Convoy“ gefühlte tausend Mal gesehen und Rubber Duck, die Gummiente, aus Bronze und in Originalgröße auf seinem Büroschreibtisch immer in Reichweite. Er sitzt am Telefon, spricht mit Kunden. Albrecht hat einen Mineralölhandel am Ortsrand von Schwäbisch Gmünd, schon seit 1983. Den Chef eines solchen Ladens stellt man sich irgendwie anders vor, nicht so rebellisch wie den Schwaben mit seinen grauen Haaren, die hinten wie ein Vorhang fallen, immer Cowboyhut auf und einen lockeren Spruch auf dem Shirt.

„Ich hab als Kind schon mit den Siku-Lastern gespielt“, erzählt er. „Wenn andere Kinder in die Schulferien verschwanden, bin ich als Bub mit dem Nachbarn Fernverkehr gefahren, wochenlang. War toll. Das prägt.“ Die Firma liefert Heizöl, Diesel, Benzin an Großkunden aus. Vor dem Lager lauert eine Dogge, zum Glück an der Kette. „Meine Alarmanlage“, schmunzelt Albrecht, „muss ja nicht jeder wissen, was da in der Halle steht.“

Das klassische Mack-Cockpit mit Bakelit-Lenkrad von damals – die Lkw-Marke hat in den USA noch sehr viele Fans
© Foto: Thorsten Link

Das originale Filmfahrzeug wurde beim Dreh zerstört

Es ist ein pechschwarzer Mack, Baujahr 1974, acht Zylinder, 15 Liter Hubraum, 375 PS. Eines dieser amerikanischen Nutztiere, mit denen echte Trucker höchstens mal zum Tanken halten oder wenn ein Imbiss auf der Strecke liegt. In „Convoy“ rollt der Mack an der Spitze des Rebellenzugs, mit Kris Kristofferson am Lenker und Steve-McQueen-Gattin Ali MacGraw nebendran.

Um jeder Irritation vorzubeugen: Albrechts Mack ist nicht das originale Filmfahrzeug. Das wurde bei den Dreharbeiten zerstört, ein anderes gilt schon lange als verschollen, andere angebliche „Originale“ gelten als zweifelhaft. Albrechts aber ist eine Besonderheit: Es ist der weltweit einzig bekannte Mack, den der US-Hersteller selbst vor vielen Jahren zum Rubber Duck umgebaut hat, mithilfe altgedienter Mechaniker, die das Filmfahrzeug noch kannten. Er weicht nur in ein paar Details vom Original ab, der Sleeper etwa ist etwas größer, aber wen stört das schon.

Albrecht schaffte es, Mack das Fahrzeug abzuschwatzen

Albrecht hatte von der Laster-Ikone ein Leben lang geträumt, bis ihm vor fünf Jahren der Zufall in die Hände spielt. Er kommt in Kontakt mit Rudi Sevrin, einem Deutschen, der im US-Bundesstaat New Jersey lebt und sich dort als Restaurator von Truck-Oldies einen passablen Ruf erworben hat. „Sevrin erzählte mir, dass Mack diesen besonderen Nachbau habe, ich soll mich bei denen mal melden.“ Gerd Albrecht zögert nicht, und es wird wohl immer sein Geheimnis bleiben, wie es ihm mit seinem ausgeprägten schwäbischen Akzent gelingen konnte, dem Hersteller im fernen North Carolina das Fahrzeug abzuschwatzen, hartnäckig am Telefon. „Sevrin hat ihn dann restauriert und aufs Schiff gepackt, so kam er her.“

Bremerhaven, die große Stunde. Übernahme am Terminal nach großer Fahrt über den Teich. Und dann ein kleiner Dämpfer: Rubber Duck ist da, zwar leicht ramponiert, aber immerhin. Allerdings fehlt die Kühlerfigur, jene Chrom-Ente, das Symbol der Trucker-Rebellen. „Das hat mich total geärgert, denn mein Kumpel hatte die Befestigungsschraube extra rund geschliffen, damit da keiner was klaut.“

Wer wie Gerd Albrecht am Steuer des Macks sitzt, entwickelt ein prickelndes Freiheits­gefühl – auch wenn das Fahren selbst anstrengend ist
© Foto: Thorsten Link

Albrecht macht aus der Not eine Tugend, er lässt die Ente in den USA von einem Spezialisten als Gussform in Bronze nachfertigen, mit der sich Kopien herstellen lassen. Sein Plan: Seine komplette Firmenflotte soll mit der Gummiente ausgerüstet werden, aber daraus wird nichts. „Das sei eine bauartliche Veränderung, haben die beim Amt echt gesagt, keine Betriebserlaubnis, kein Versicherungsschutz. Muss man sich mal vorstellen. In Amerika hätt’ kein Hahn danach gekräht.“ Amtsschimmel, Regelwerk der Obrigkeit. Als sei es eine Episode aus dem Convoy-Drehbuch.

Als „Convoy“ 1978 in die Kinos kommt, zeigt sich die Kritik anfangs eher enttäuscht. Das letzte größere Regiewerk des Western-Spezialisten Sam Peckinpah sei eher schlicht geraten, heisst es oft, eine simpel gestrickte Gut-gegen-Böse-Story mit wehmütigen Western-Reminiszenzen, mehr habe „Convoy“ nicht zu bieten. Doch der Eindruck wandelt sich bald. Es wird die bildgewaltige Inszenierung gelobt. Kaum ein anderer Film hätte die Freiheit der Straße eindringlicher vermittelt, kaum ein anderer setzt so konsequent auf Solidarität mit den vermeintlichen Outlaws, die die Obrigkeit zu Schießbudenfiguren degradieren. In keinem anderen Film würden alte Western-Motive so lebendig wie hier, heißt es. Der Trucker als ungehobelter Vorzeige-Amerikaner mit dem Herzen am rechten Fleck – das ist neu im rebellischen Siebziger-Jahre-Kino und macht „Convoy“ quasi, wenn auch mit Anlauf, zum Inbegriff des Genres.

Der Mack kommt auf den Tieflader für die Fahrt nach München
© Foto: Thorsten Link

Wir sind mit Gerd Albrecht unterwegs durch die schwäbische Provinz und er lässt es mit seinem Rubber Duck ganz schön krachen. Albrecht liebt diese amerikanischen Langhauber. Deutsche Laster, sagt er, sähen doch im Grunde aus, als hätte man sie gegen die Wand gefahren. In Amerika waren Trucks immer auch Kunstwerke, Fahrzeuge mit Charakter, da mache das Trucker-Dasein noch Spaß. „Die haben noch richtig Musik gemacht“, schwärmt Albrecht, während er im Getriebe rührt, um irgendeinen Gang zu finden, „dieser herrliche Sound. Heute sind Lkw ja leiser als Omnibusse, wegen der Abgasnormen und dem ganzen Zeugs.“

Ein Wink des Schicksals? Kris Kristofferson ist im Land

Trotz dieser faszinierenden Fahrkultur wäre der Mack für alltägliche Aufgaben höchst ungeeignet. Der Mack sei kriminell, lernen wir, rangieren sei praktisch unmöglich, weil man sowohl nach vorne als auch nach hinten so gut wie nichts sieht. „Was ist der Unterschied zwischen einem Trucker und einem Fernfahrer?“, will Albrecht wissen. Keine Ahnung. „Der Trucker hat Cowboystiefel an, der Fernfahrer kann rückwärtsfahren.“

Zu gerne hätte Albrecht seinen Truck dem wahren Rubber Duck einmal präsentiert. Nie gab es Gelegenheit, und die Zeit, sagt Albrecht, laufe ihm allmählich davon. In der Tat. Kris Kristofferson ist 83 Jahre alt, lebt nicht gerade um die Ecke, sondern auf Hawaii, ist nur höchst selten in Europa und gilt außerdem als ausgesprochen medienscheu. Aber wir haben uns da was ausgedacht. Dazu muss Rubber Duck verladen werden. Unser Ziel: München.

Und tatsächlich: Der Händedruck von Kris Kristofferson ist die Krönung des Tages
© Foto: Thorsten Link

Es muss wohl ein besonderer Spaß des Schicksals sein, dass Kris Kristofferson zeitnah zu unserer Geschichte ausgerechnet in Deutschland eines seiner höchst seltenen Gastspiele gibt. Im Circus-Krone-Bau. Wir platzieren Rubber Duck im Innenhof, auf dem Parkplatz der Stars. In der berühmten Arena wird gerade geprobt. Wer als Musiker was auf sich hält, muss einmal im Leben hier aufgetreten sein, erfahren wir. Von Kristofferson aber keine Spur. Der probt nicht, wozu auch.

Wir haben Gerd Albrecht eine Eintrittskarte besorgt mit Zutritt in den VIP-Bereich. Werden wir den Hollywood-Star hier treffen? Höchst ungewiss. Noch eine Stunde bis Konzertbeginn. Noch immer tut sich nichts. Doch dann kommt ein Van durchs Tor, mit Blaulicht, abgedunkelten Scheiben. Ist er das? Wir sollen zurückbleiben, ermahnt uns irgendein Agent. Aus der Distanz beobachten wir, wer aus dem Fahrzeug steigt. Es ist tatsächlich Kris Kristofferson, er muss gestützt werden, die Reise hat ihm offenbar zugesetzt. Seine Frau und ein Mitglied der Crew helfen ihm ein paar Schritte in den bereitstehenden Tourbus. Das war’s wohl.

Nur noch zehn Minuten bis zum Konzert. Dann öffnet sich die Tür erneut. Kristofferson kommt heraus, wird von David Garcia empfangen, einem Mitarbeiter der Konzertagentur, der offenbar verstanden hat, wie wichtig uns das alles ist. Er flüstert Kris was ins Ohr, deutet auf den Mack. Als Kristofferson den sieht, kommt er.

Gerd Albrecht zittert vor Begeisterung, öffnet die Beifahrertür, um Kris die Kabine zu präsentieren. „I’m the Rubber Duck of Germany!“ Kris Kristofferson grinst, reicht Albrecht die Hand, sagt nur ein Wort: „Great!“ Dann dreht er sich um, schwingt die Gitarre über die Schulter, verschwindet Richtung Bühne.

Für Gerd Albrecht ist der Händedruck ein Ritterschlag fürs Leben, er hat Tränen in den Augen. In solchen Momenten werden sogar echte Trucker-Herzen weich. Der Gummiente sei Dank.

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