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Test & Technik: Bitte den Schlüssel

10.12.2020 15:00 Uhr | Lesezeit: 6 min
Test & Technik: Bitte den Schlüssel
Diana Roth bekommt von Pawel Lukasiewicz den Schlüssel für den 480er
© Foto: Karel Sefrna

Der TRUCKER war mit drei neuen MAN TGX bei der Spedition Hörndl, wo sich die Fahrer und die Chefs die neuen Trucks angesehen haben. Hier ihr Urteil.

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Auf dem Flur der Spedition Hörndl hat Chef Hubert Hörndl seine ganz persönliche Ahnengalerie an der Wand hängen. Auffallend oft sind auf den Bildern der Firmenhistorie Lkw von MAN zu sehen. Ob er denn bei so viel MAN-Geschichte bei einem Fahrertest noch neutral sei, wollen wir wissen, und Hörndl lacht. „Der Anteil an MAN in unserem Fuhrpark schrumpft seit Jahren, weil wir nicht immer ganz glücklich mit den Trucks aus München waren.“

Vielleicht auch deshalb war der Chef des Forstinninger Transportunternehmens gleich bereit, den TRUCKER zu unterstützen. Man wollte sehen, ob der neue MAN wieder bei der Musik ist. Aktuell finden sich im rund 150 Fahrzeuge umfassenden Fuhrpark weniger als 25 Prozent MAN TGX. Zwei der Fahrer, die der Chef als „Tester“ ausgesucht hat, das Ehepaar Diana und Markus Roth, fahren dann auch New Actros und Volvo FH.

Zudem zählt zum Fahrer-Sextett Wolfgang Obermeier, Fahrertrainer bei Hörndl und TRUCKER-Lesern als Fahrer unseres Referenz-Lkw bekannt. Das Team wird vervollständigt durch den Prokuristen Benjamin Stein, der sich nicht nur als Einkäufer für die Technik interessiert, sowie Wolfgang Strick, früher Fuhrparkleiter und jetzt Technik-Experte bei Hörndl.

Die konventionellen Spiegel werden zeitnah digitalisiert

Für die Testfahrten hat MAN auf das ganz dicke Ding verzichtet – der mitgebrachte 18.640 als Flaggschiff der neuen TGX-Baureihe dient nur der statischen Präsentation. Aber mit 510 respektive 470 PS sind die beiden auf 40 Tonnen ausgeladenen Züge auch nicht gerade schwach motorisiert. Erster Eindruck von Hörndl, der ein Fan der Mirror Cams des Mercedes Actros ist: „Das hat sich MAN wohl nicht getraut.“ Rainer Miksch, Leiter des MAN-Fahrversuches, kontert: „Da kommt zeitnah was von uns und ich versprech’ eine bessere Lösung. Vor allem auch, weil wir alle Spiegel digitalisieren. Aber ich darf aktuell nicht mehr verraten ...“

Passt zum Testtag mit dem MAN: der Löwe am Eingang der Hörndl-Zentrale
© Foto: Karel Sefrna

Aber auch mit konventionellen Spiegeln weiß der neue MAN zu gefallen. Wolfgang Strick meint, das sei endlich ein MAN, bei dem man im Kreisverkehr etwas sehen würde. Beim Vorgänger hätten sich im toten Winkel der Spiegel ja ganze Transporter verstecken können. Einhellige Zustimmung finden auch die jetzt leicht nach innen eingezogenen Trittstufen. „Das fällt“, so Strick, „beim ersten Mal Einsteigen schon positiv auf.“

Positive Resonanz erzeugen auch die in den Testfahrzeugen installierten – aber aufpreispflichtigen – Recaro-Sitze. „Da sitzt man wirklich sehr bequem und die Verstellmöglichkeiten sind ideal“, kommentiert Markus Roth und findet damit den fast gleichen Wortlaut zum Lob von Wolfgang Strick. Markus probiert erst einmal die Lenkradverstellung aus und kommt zu dem Schluss, dass die jetzt mindestens so gut ist wie die im Scania. Von seinem Volvo FH in dem Punkt nicht wirklich verwöhnt, lässt Markus den Sitz nach hinten gleiten. „Das ist top – mehr Verstellbereich als früher und auch mehr als in meinem FH.“

MAN hat drei Autos aufgefahren. Am begehrtesten war natürlich der 510er
© Foto: Karel Sefrna

Seine Frau Diana muss sich nach eigener Aussage erst mal an den rechten Spiegel gewöhnen – liegt vielleicht auch daran, dass sie seit einem guten halben Jahr schon New Actros fährt ... Früher ist sie auch TGX gefahren und kann daher den direkten Vergleich ziehen. Nachdem sie den Blick hat schweifen lassen, meint sie: „Die Staufächer sind deutlich größer als früher.“ MAN hat zum Fahrertest die sogenannte GM-Kabine mitgebracht. Die entspricht der früheren XLX-Version, ist also nicht die größte Version, kommt aber dennoch gut bei den Fahrern an und auch beim Chef, weil sie einen besseren Luftwiderstand aufweist und damit den
Verbrauch reduzieren soll.

MAN-Fahrversuchsleiter Rainer Miksch (l.) mit Martin Hanek und Wolfgang Hudelmaier
© Foto: Karel Sefrna

Der ist heute kein Thema, zumal es an einer passenden Referenz fehlt. Aber Fahrertrainer Wolfgang Obermeier hat zusammen mit TRUCKER-Tester Jan Burgdorf den neuen TGX als 18.510 schon getestet (siehe TRUCKER-Heft 7/2020). Und da lag der Münchener auf einem Niveau mit dem anerkannt sparsamen Scania 500 S und einen knappen halben Liter besser als Volvos FH 500 I-Save.

Benjamin Stein ist noch relativer Neuling, wenn es ums Fahren von Lkw geht. Der Hörndl-Prokurist hat erst kürzlich seinen CE-Führerschein gemacht, „um mitreden und ab und zu auch mal mitfahren zu können“, wie er meint. Er kommt auf jeden Fall auf Anhieb klar mit dem neuen Truck aus München-Karlsfeld. Schnell findet er aber auch ein paar Punkte, an denen man noch nachbessern könnte: So zum Beispiel fehlt ihm eine induktive Ladefunktion fürs Smartphone. „Heutzutage noch Kabel zu verwenden, ist doch nicht mehr zeitgemäß.“

Noch mehr missfällt ihm, dass sich die reichlich vorhandenen Assistenzsysteme noch immer deaktivieren lassen. „Ich weiß, dass manche Fahrer sie als lästig oder Bevormundung empfinden. Dennoch kann es nicht Sinn der Sache sein, dass ein Lkw-Hersteller diese Dinge, die der all­gemeinen Sicherheit dienen, einbaut und die Fahrer sie ausschalten.“

Die sechs Testfahrer hatten ausreichend Gelegenheit, die neuen MAN zu fahren
© Foto: Karel Sefrna

Der Abbiegeassistent hilft – rechts und links

Trucker Markus Roth schließt sich dieser Meinung an und nutzt die Gelegenheit auf seiner Runde, die installierten Assistenten unter die Lupe zu nehmen. Sein Fazit: „Den aktiven Spurhalteassistenten finde ich sehr gelungen, der arbeitet auch sehr sauber. Das System empfindet man als Sicherheitsgewinn, ohne dass man sich bevormundet fühlt.“ Seine Frau Diana ist ebenfalls voll des Lobes: „Der arbeitet ja mindestens so gut wie der in meinem Pkw und hält dich sicher auf der Straße – ein echter Fortschritt.“

Markus testet inzwischen den Abbiegeassistenten und kommt ebenfalls zum Urteil „arbeitet perfekt“. Er findet es vor allem gut, dass MAN den Assistenten serienmäßig für rechts und links anbietet.

Auch Hubert Hörndl lobt das System, zumal es nicht nur beim Abbiegen gut funktionieren würde, sondern auch gleichzeitig die Funktion eines zuverlässigen Spurwechselassistenten übernehme. Markus ergänzt, dass er die Warntöne, die in anderen Lkw doch recht penetrant wären, im MAN als angenehm empfindet.

Im Vergleich zu früher, so die meisten Tester, hätte der neue MAN auch in puncto Ergonomie zugelegt. Vor allem das jetzt eingezogene und damit besser zum Fahrer hin angewinkelte Armaturenbrett kommt gut an. Sehr interessiert ist das Tester-Sextett am neuen Bedienkonzept mit Smart-Select-Button. „Damit kommt man wirklich schnell zurecht“, lobt Wolfgang Strick, „und kann alle wesentlichen Bedienfunktionen intuitiv anwählen.“ Nur die Handauflage hinter dem Button sehe billig aus, meint der Fuhrparkleiter, und dass man sie nicht seitlich wegklappen könne, sei auch nicht so toll. MAN-Mann Miksch demonstriert noch die Abklappfunktion nach unten, kann aber nur noch bedingt punkten ...

Fahrverhalten und Lenkpräzision – schon vorher gut – erhalten beste Noten von den Testern
© Foto: Karel Sefrna

Markus empfindet den von Wolfgang geäußerten Makel als nicht wirklich schlimm. „Wichtig ist doch die Bedienfunktion mit Dreh-Drück-Knopf, so wie zum Beispiel aus dem BMW bekannt. Das erlernt man nahezu intuitiv. Und wenn man es mal intus hat, muss man nicht mal mehr von der Straße aufsehen und kommt doch in alle wichtigen und nötigen Menüpunkte.“

Seine Frau Diana pflichtet ihm bei und ergänzt zum Thema Bedienkonzept: „Die Schalter unten in der Tür für wichtige Funktionen sind doch mal eine echt gute Idee – warum ist da vorher noch nie jemand drauf gekommen? Wie oft steigt man aus, merkt, dass man zum Beispiel die Fenster offen gelassen hat, und klettert wieder hoch. Das kann man sich beim neuen MAN sparen.“ Wolfgang bleibt dennoch bei einer gewissen Skepsis. Die Türlösung findet er auch gut. Aber mit den berührungsempfindlichen Tasten in der Mittelkonsole kann er sich nicht vollends anfreunden. „Für mich ist das ein Ticken zu viel Spielerei – wobei ich ja zugeben muss, dass es schon zufriedenstellend funktioniert.“

Der Praktiker denkt gleich weiter und hat noch vom Einführungsgespräch das Thema Kamera statt Spiegel im Gedächtnis. „Wie viele dieser Kameras könnt ihr denn auf eurem Display einblenden, zumal ihr ja alles digitalisieren wollt?“ MAN-Mitarbeiter Rainer Miksch lächelt, lässt sich aber nichts entlocken. „Wir kommen mit einer guten Lösung, die ein besseres Bild liefert als aktuell bekannte Systeme. Wir kennen ja die Kritik, die Fahrer aktuell äußern“, antwortet er diplomatisch. Schon früher wurde MAN für seine guten Betten gelobt. Auch an dem Punkt haben die Münchener weitergearbeitet. Beim neuen Modell gibt es drei lieferbare Matratzenstärken, „somit sollte für jeden Fahrer das passende Modell dabei sein“, meint Rainer Miksch.

Nachdem alle sechs Tester eine ausgiebige Proberunde mit den voll ausgeladenen Zügen gedreht haben, geht’s in die Beurteilung der Fahreigenschaften sowie des Antriebsstrangs: „Ein wirklich gutes Fahrverhalten“, lautet die knappe Zusammenfassung von Benjamin Stein. Er habe sich vom ersten Meter an wohlgefühlt und wäre gut mit dem TGX klargekommen. „Auch eine sehr schöne Schaltung“, ergänzt Hubert Hörndl. Der probiert nach dem Zurückkommen noch den Rangiermodus aus und setzt den Sattelzug rückwärts in eine enge „Parklücke“. „Das funktioniert prima, die Manövrier-Funktion arbeitet sauber und das Auto an sich ist übersichtlich.“

Markus Roth findet, dass der neue „Smart-Select-Button“ eine tolle Idee ist
© Foto: Karel Sefrna

Das dynamische Rollen spart, aber findet wenig Akzeptanz

Dass man den Retarder über einen Tipp am Bedienhebel aktivieren muss, findet Hörndl nicht optimal. „Eine klare Stufung am Hebel wäre mir lieber.“ Miksch ergänzt, dass man durch ein Tippen aufs Bremspedal die Maximalgeschwindigkeit setzen könne und der Lkw alles Weitere ohnehin alleine machen würde.

Markus Roth hadert noch ein wenig mit dem „dynamischen Rollen“. „Ich geb’ zwar zu, dass das ganz an­genehm funktioniert. Aber das Beschleunigen und anschließende Rollenlassen führt doch dazu, dass mein Hintermann denkt, ich hätte einen an der Waffel ...“ Markus meint, das mache nur Sinn, wenn alle Lkw so eine Funktion hätten und auch alle Fahrer dieses „Segeln“ aktivieren würden, sodass alle gleich führen.

Diana Roth lobt das sehr niedrige Geräuschniveau des neuen MAN – obgleich sie lachend einräumt, dass sie da von ihrem Mercedes Actros nicht sonderlich verwöhnt sei. „Aber im Ernst, das Fahrwerk des TGX ist toll abgestimmt und der Lkw fährt sich sehr komfortabel. Vor allem die Lenkung ist wirklich sehr direkt und gefällt dennoch bei aller Direktheit durch niedrige Bedienkräfte.“ Die Lkw-Fahrerin hat nur ein wenig Bedenken, dass der neue MAN doch in vielen seiner Funktionen sehr stark auf „eco“ ausgelegt wäre. „Wir fahren viel nachts, da muss man Strecke machen und kann nicht immer nur sparen. Da ist Zeit Geld und nicht der Verbrauch ...“

Die Kritikpunkte am Vorgänger wurden alle abgearbeitet

Wolfgang Obermeier geht zum Abschluss noch mal ums Fahrzeug und klettert schließlich auf die Plattform hinter der Kabine: „Die Unterbringung der Kabel und Leitungen hat MAN gut hinbekommen. Grundsätzlich macht das Auto einen gut verarbeiteten Eindruck. Und was mir am meisten gefällt: Offensichtlich haben die Entwickler auf die Kritik der Fahrer gehört und haben ganz viele Kritikpunkte beseitigt.“

Wenn MAN das Thema Verbrauch und Zuverlässigkeit jetzt noch in den Griff bekommen hat – und danach sieht es aus –, stehen die Chancen gut, dass der Anteil im Hörndl-Fuhrpark wieder zunimmt. Dann wird die Ahnengalerie vor Hubert Hörndls Büro vielleicht auch wieder mehr MAN-Bilder zeigen ...

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