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Test & Technik: Zeigt der Löwe seine Krallen?

13.01.2021 14:30 Uhr | Lesezeit: 5 min
Test & Technik: Zeigt der Löwe seine Krallen?
Im Test: Der Scania R 410 Highline, der MAN TGX 18.430 GM und der Mercedes-Benz Actros 1842 Streamspace
© Foto: Karel Sefrna/TRUCKER

Er wird ernst für den neuen MAN TGX! Beim Euro Truck Test trifft er mit dem Mercedes Actros und dem Scania R erstmalig auf harte Konkurrenz.

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Nicht mal 440 PS für einen ausgewachsenen Sattelzug? Nicht wenige Leser dürften da zweifelnd das Gesicht verziehen. Wir erlauben uns aber anzumerken: Es kommt eben immer auf die jeweilige Transportaufgabe an.

Im Falle des diesjährigen Euro Truck Tests (ETT) wiegt diese „nur“ 24 Tonnen – in Form unseres teilbeladenen Krone-Testaufliegers. Ergibt inklusive Zugmaschine ein Gesamtgewicht von knapp 32 Tonnen, wofür die 410 bis 430 PS der drei Testprobanden genügen sollten.

Beim Thema Kabine dürften die Fahrerhäuser von MAN, Mercedes-Benz und Scania weniger Zweifel auslösen. Die drei Hersteller schicken mit „StreamSpace“, „GM“ und „R Highline“ zwar nicht ihre jeweiligen „Raumwunder“ ins Rennen. Die mittelgroßen Hochdach-Fahrerhäuser bieten dem Fahrer aber einen vernünftigen Lebensraum und ausreichende Verstaumöglichkeiten aller Habseligkeiten. Vor allem aber sehen die Hersteller in ihnen den besten Kompromiss aus Platzangebot und guter Aerodynamik – schließlich ist ein niedriger Verbrauch einer der Schlüssel, um beim ETT ganz vorne zu landen. Nominell ist der TGX knapp der stärkste des Vergleichs

Vor allem MAN hat sich mit dem neuen TGX einiges vorgenommen. Ihm gebührt mit 430 PS und 2200 Newtonmeter Drehmoment zumindest schon mal die „Leistungskrone“. Wobei ihm Mercedes-Benz und Scania mit 421 PS (2100 Nm) beziehungsweise 410 PS (2150 Nm) dicht auf den Fersen bleiben.

Wenig Unterschiede ebenfalls beim Gundkonzept der Antriebe. Alle drei Hersteller setzten auf Reihensechszylinder mit ähnlichen Hubräumen zwischen 12,4 und 12,8 Liter. Dass sich auf der Straße trotzdem deutliche Unterschiede offenbaren, liegt zum einen an den Hinterachs-Übersetzungen, welche die Hersteller für die 343 Kilometer lange Testrunde wählten. Überraschend die Entscheidung von Scania, den R 410 mit einer 2,59er-Achse zu kombinieren. Mit der liegen bei Reisetempo 85 knapp 1200 Touren an, was heutzutage schon als kurz übersetzt gelten darf. Zum Vergleich: Der länger übersetzte Actros werkelt bei diesem Tempo mit 1100, der TGX sogar nur mit 1050/min.

Mit 7350 Kilogramm ist der MAN das Schwergewicht des Vergleichs – sicher könnte der TGX aber noch abspecken
© Foto: Karel Sefrna/TRUCKER

Auf der Habenseite verleiht das dem Schweden eine Leichtfüßigkeit, bei der die beiden deutschen Wettbewerber passen müssen. Nicht ein einziges Mal muss der Scania auf den Autobahnetappen der Testrunde steigungsbedingt zurückschalten! Der R 410 bewältigt jeden Berg im zwölften Gang, auch weil der GPS-Tempomat mitunter den extremen Drehzahlkeller von 800/min nicht scheut. Wirklich wohl fühlt sich der DC13-Sechszylinder dann zwar nicht mehr, nennenswerte Vibrationen oder Brummgeräusche sind aber nicht festzustellen.

Die Strategie möglichst niedriger Drehzahlen auf ebener Strecke fährt der MAN. Zusätzlich setzt der neue Münchner mit seiner dynamischen Segelfunktion auf eine weitere, wenn auch für den Fahrer gewöhnungsbedürftige Waffe: Bei eingestellten 85 km/h beschleunigt die Elektronik den TGX auf Tempo 88, um anschließend in Eco-Roll zu schalten und die Fuhre bis hinunter auf 82 km/h rollen zu lassen. Dann wird wieder auf 88 beschleunigt, und das Prozedere beginnt erneut.

Zumindest so lange, wie sich dem TGX keine Berge in den Weg stellen. An solchen verfällt die Elektronik trotz der langen Übersetzung nicht in hektische Rückschaltungen, sondern setzt zunächst auf das ab 930/min voll anliegende Drehmoment – auch wenn’s deutlich hörbare Brummgeräusche in der GM-Kabine zur Folge hat. Erst dann tritt das Tipmatic-Getriebe in Aktion und muss an mancher Steigung der Testrunde als Einziger des Testtrios gar auf den 10. Gang zurückgreifen. Weshalb es der 18.430 auf der Autobahn am Ende auf insgesamt zwölf steigungsbedingte Schaltungen bringt.

Dass es im Actros davon noch mal vier mehr sind, liegt vorrangig an der Charakteristik des 421 PS starken OM 471. Er stellt sein maximales Drehmoment erst ab 1100 Touren bereit und damit später als die beiden Wettbewerber. In der Folge scheut der Reihensechszylinder niedrigste Drehzahlen, worum auch die Powershift-Schaltautomatik weiß und lieber früh, in Bereiche um 1050/min, zurückstuft.

Was außerdem auffällt: Verglichen mit den geschmeidigen Schaltboxen in TGX und R – in beiden Fällen kommt das Opticruise-Getriebe von Scania zum Einsatz –, geht Powershift ruppiger zu Werke. Das gepaart mit der Tatsache, dass die Geräuschdämmung des Daimlers weiterhin zu wünschen übrig lässt, spiegelt sich auch in der Fahrerwertung wider, wo der Actros entsprechend Punkte liegen lässt.

Die SteamSpace-Kabine bietet einen ebenen Boden, dafür fällt der Einstieg höher aus
© Foto: Karel Sefrna/TRUCKER

Keine Punkte mehr aufzuholen gibt es für den Stern beim Zusammenspiel von Getriebe und Motor mit dem GPS-Tempomaten – bislang eine Domäne des Actros. Dabei ist es keinesfalls so, dass der Mercedes diese nicht mehr perfekt beherrschen würde, nur haben die Systeme der Konkurrenten kräftig aufgeholt. Unterschiede offenbaren sich lediglich in der Philosophie: Rollt der Actros eigentlich bei jeder sich bietenden Gelegenheit im Neutral-Modus, lassen MAN und Scania den Gang meist drin und setzen auf die verbrauchsfreie Schubabschaltung – welche Strategie am Ende die bessere ist, lässt sich pauschal nicht sagen, sondern hängt von der jeweiligen Situation ab.

Eine von uns schon oft bemängelte Problematik sollte Daimler aber endlich mal ­angehen: Rollt der Actros im Eco-Roll-Modus in eine Steigung hinein, braucht die Elektronik zu lange, um den Kraftschluss wiederherzustellen. So fällt die Tachonadel einige km/h unter die eingestellte Tempomatgeschwindigkeit, die der Motor – sofern überhaupt möglich – am Berg mühsam wieder aufholen muss. MAN und Scania beherrschen diese Disziplin besser, indem sie entsprechend früher den Kraftschluss wiederherstellen.

Durchweg auf hohem Niveau präsentieren sich die Lenkungen der drei Testfahrzeuge. Neues offenbart hier der Scania, der nun ebenfalls über eine elektromechanisch gesteuerte Steuerung verfügt. Die präsentiert sich erfreulicher Weise ähnlich fahraktiv wie die bisherige Lenkung – genau so, wie man es von der Marke eben erwartet. Die elektronische Unterstützung bildet die Grundlage für Assistenten wie eine aktiv eingreifende Spurbindung, mit der das Testfahrzeug zwar noch nicht ausgerüstet ist, mit der Scania aber den Anschluss an die Konkurrenten auf diesem Gebiet wiederherstellen will.

Dass der Mercedes-Benz kommoder über Fahrbahnunebenheiten hinweggleitet, liegt vor allem an seinen Zweiblatt-Parabeln an der Vorderachse. Scania und MAN haben dagegen alternativ Einblatt-Federn im Programm, deren Gewichtsvorteil man guten Gewissens mitnehmen kann, denn der Fahrkomfort fällt in beiden Fällen befriedigend aus. Nicht wirklich störend ist, dass die höher montierte Actros-Kabine bei Kurvenfahrt etwas mehr zur Seitenneigung tendiert – viele Fahrer werden das in Hinblick auf den ebenen Kabinenboden gerne akzeptieren.

Als ältester Vertreter des Test-Trios – schließlich ist das aktuelle R-Modell auch schon wieder seit vier Jahren auf dem Markt – präsentiert sich der Arbeitsplatz des Scania noch mit weitgehend analogem Bedienkonzept. Nachteile ergeben sich dadurch nicht, Bedienung und Ergonomie gehören weiterhin zum Besten, was der Markt bietet. Trotzdem arbeitet man in Södertälje sicher intensiv an einem neuen digitalen Konzept.

Ohne Scheinwerfer im Hochdach und sogar ohne Dachluke ist dieser R 410 auf niedriges Gewicht getrimmt
© Foto: Karel Sefrna/TRUCKER

Das Bedienkonzept des MAN kommt bei den Testern gut an

Orientieren dürfen sich die Scania-Ingenieure gerne bei der Konzernschwester MAN: Die Bedienung mittels des in der Mittelkonsole integrierten Smart-Select-Buttons geht im TGX schon nach wenigen Minuten in Fleisch und Blut über – auch weniger digitalaffinen Fahrern.

Im Mercedes-Benz mit seinem Touchscreen rechts vom Fahrer braucht die Gewöhnung deutlich länger. Selbst einfache Funktionen wie das Einschalten der Nebelleuchten funktionieren ausschließlich über den Bildschirm. Zwar helfen Schnellwahltasten, dennoch sind die Augen des Fahrers deutlich länger vom Geschehen auf der Straße abgelenkt.

Wichtiger dürfte den meisten Chefs das Thema Wirtschaftlichkeit sein. Grundsätzlich macht man bei dieser Wertung mit keinem der drei Lastwagen einen Fehler, denn die Unterschiede fallen mit weniger als 0,3 l/100 km gering aus. Trotzdem hat MAN seine Hausaufgaben auch hier gemacht, denn der TGX 18.430 zieht unseren Testauflieger mit 23,41 l/100 km am sparsamsten über die Testrunde. Dass er dabei knapp 1 km/h langsamer unterwegs ist als der schnelle Scania, dürfte für die meisten eine untergeordnete Rolle spielen. Das hohe Tempo des R 410 resultiert aus seiner kurzen Achsübersetzung; mit einem drehzahlschonenderen Übersetzungsverhältnis wäre verbrauchsseitig vielleicht mehr für den Schweden drin gewesen?

Freuen wird man sich in München auch über die Fahrerwertung, denn die entscheidet der MAN ebenfalls klar für sich. Vor allem bei Antriebsstrang, Fahrwerk und Bedienung sammelt der neue TGX Punkte – gut gebrüllt, Löwe!


Fazit:

Glückwunsch an MAN, der 430er-TGX zeigt in diesem Vergleich tatsächlich seine Krallen. Er entscheidet die Fahrerwertung für sich und liegt auch beim Verbrauch vorne. Wobei bei letzterem Thema alle drei Testfahrzeuge eine sehr gute Vorstellung abliefern. Trotzdem dürfte man sich bei Scania ärgern, denn mit einer längeren Gesamtübersetzung hätte der R 410 beim Spritkonsum vielleicht noch besser ausgesehen? Auch der Mercedes-Benz liegt nur um einen kleinen „Schluck“ hinten, mehr Verbesserungspotenzial offenbart der Stern beim Getriebe, wie auch der OM 471 in Sachen Kraftentfaltung nicht ganz mit den beiden VW-Brüdern mithalten kann.



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